Jetzt staunt ganz Deutschland, und der Zypriot wundert sich: Alle dachten, Wolfgang Schäuble zu kennen. Aber plötzlich ist alles anders. Plötzlich gefällt dem Mann sein liebstes Geschäftsmodell nicht mehr. Jedenfalls nicht in Zypern.
Wolfgang Schäuble war ein begnadeter Handwerker bei der Euro-Reparatur nach Merkel-Art. Einer, der als Finanzminister kräftig mitspielte, wenn es um das „Geschäftsmodell“ der möglichst luxuriösen Bedingungen für Banken und Anleger ging. Einer, der gern darüber schwieg, dass Deutschland sich so billig verschuldet wie nie, während sich griechische Rentner die Zinsen für unsere „Hilfskredite“ vom Munde absparen.
Jetzt sollen wir lernen: Wolfgang Schäuble ist in Wahrheit ein mutiger Kämpfer gegen Niedrigsteuern für Unternehmer und gegen die Privilegien der Finanzinvestoren.
Steueroase auf der Sonneninsel
Das klingt wunderbar, aber ein Hinweis sei erlaubt: Es wäre noch wunderbarer, verabschiedete sich der Minister vom Geschäftsmodell der privaten Bereicherung und öffentlichen Verarmung nicht nur auf einer Insel, sondern in ganz Europa. Er wird es nicht tun. Nachhaltig lernen wird er aus dem Zypern-Desaster nicht. Sonst hätte er es längst getan. Dass das Geschäftsmodell „nicht funktioniert“, kommt ihm reichlich spät in den Sinn.
Dass es sich bei der Sonneninsel um eine Steueroase mitten im Euro-Raum handelte, war ja seit Langem kein Geheimnis. Aber solange sie Gewinn abwarf, interessierte sich der deutsche Finanzminister dafür kaum. In seiner Welt war nichts Böses daran, wenn einer der Kleinen sich „den Märkten“ mit besonders profitablen Konditionen anbot. Es war genau die Politik, für die er und seine Kanzlerin im Grundsatz stehen.
Allerdings, das wissen die beiden auch: Das Modell ist nicht mehr allzu beliebt, seit sich die Gewissheit verbreitet hat, dass im Fall des Scheiterns der Steuerzahler für die Verluste der Investoren aufkommt. Grund genug, sich zwischendurch mal als Gegner des Casino-Kapitalismus zu verkleiden. Aus mehreren Gründen war Zypern dafür besonders geeignet.
Uraltes Ressentiment
Erstens: In seiner allzu radikalen Ausformung drohte das Geschäftsmodell die ganze Spekulationsbranche in Verruf zu bringen. Das aufgeblasene Banksystem des Kleinstaats war in derart eklatanter Weise auf Risiko gebaut, dass der Wertverlust griechischer Anleihen für einen Kollaps genügte.
Zweitens: In Deutschland kommt die Kritik an Zypern besonders gut, weil die bedrohten Geldanlagen großenteils Russen gehören. Die sollen nach Volkes Meinung gerne bluten, wenn es ums Retten geht. Es stimmt natürlich, dass Europa keinen Grund hat, „Oligarchen“ aller Art zum Nulltarif vor Verlusten zu retten. Aber es hat etwas Abstoßendes, dass dies der deutschen Politik – auch der rot-grünen Opposition – vor allem dann auffällt, wenn es um „die Russen“ geht. So wurde ein uraltes nationales Ressentiment zum falschen Auslöser einer im Grunde überfälligen Debatte. Über deutsche „Oligarchen“, die ebenfalls in Zypern „engagiert“ sind, redet keiner.
Drittens: Auch in der Steuerpolitik hat die Insel übertrieben. Zehn Prozent auf Unternehmensgewinne? Das kann selbst Wolfgang Schäuble nicht wollen, denn da kommen wir nicht mit! Aber das bedeutet keineswegs, dass er die neoliberale Politik der Steuersenkungs-Wettbewerbe nun plötzlich prinzipiell für falsch halten würde. Auch jetzt gibt es keinen Hinweis, dass die deutsche Regierung endlich europäische Mindeststandards gegen Steuerdumping verlangt.
Schäuble agiert wie ein Mafia-Boss, dem der zyprische Geldeintreiber ein bisschen zu plump geworden ist. Er beseitigt nicht das Geschäftsmodell, sondern nur die Auswüchse, die seine Akzeptanz gefährden könnten.
So verlogen sie ist – die Verkaufsveranstaltung unter dem Titel „Gerechter retten“ schien gut vorbereitet zu sein. Was dann schief ging, ist umstritten, aber fest steht: Der Eifer, es an diesem vermeintlich ungefährlichen Beispiel symbolisch den Vermögenden zu zeigen, machte die Beteiligten blind für den Sprengstoff, den sie mit verpackten.
Ein Gefühl für soziale Schieflagen ist Schäubles Stärke ohnehin nicht. Und in der Nacht auf den 16. März hat keiner der Beteiligten – auch der Deutsche nicht – damit gerechnet, dass sich ein zyprischer Kleinsparer nicht einfach unter dem Titel „Ran an die reichen Russen“ abkassieren lässt. Keinen hat wirklich gestört, dass die konservativen Freunde in Zyperns Regierung die Kleinen belasten wollten, um die Großen zu schonen. Und keiner merkte, dass eine Abgabe auf Guthaben unter 100.000 Euro das Versprechen, Bankeinlagen in dieser Höhe seien sicher, jeder Glaubwürdigkeit berauben würde. Jetzt wird korrigiert. Aber dass der zusätzliche Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit noch aus der Welt zu schaffen ist, glaubt wohl nicht einmal Wolfgang Schäuble.
Geradezu lächerlich machte sich der Minister im Nachhinein, als er verkündete, die Ausgestaltung der Zwangsabgabe auf Guthaben sei allein Sache der Zyprer gewesen. Deutschland hat keine Probleme, ganz Europa in die Abwärtsspirale einseitiger Sparpolitik zu zwingen. Aber es will nicht fähig gewesen sein, die 100.000-Euro-Garantie gegen ein 800.000-Einwohner-Land zu verteidigen?
Es kann schon erstaunen, welchen Slapstick sich einer der wichtigsten Minister im reichsten Land Europas erlaubt, ohne dass der ganze Kontinent in Gelächter ausbricht. Aber es ist ja wahr: Zu lachen hat Europa mit Wolfgang Schäuble nichts.
Stephan Hebel ist politischer Journalist und Buchautor. Zuletzt erschien: Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht (Westend)
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