Die Katastrophe wird sich in dieser Form so schnell nicht wiederholen. Am 5. Februar 2020 hatte die CDU gemeinsam mit der AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich ins Amt des Ministerpräsidenten Thüringens gewählt. Einen Monat später war der Vorgang Geschichte: Kemmerich trat zurück, Bodo Ramelow konnte mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung weitermachen, diesmal versuchte die CDU erst gar nicht, den Spitzenmann der Linken gemeinsam mit dem AfD-Faschisten Höcke zu verhindern.
Zumindest formal blieb damit das „Äquidistanz-Gebot“ der CDU gewahrt: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“ Den Parteitagsbeschluss von 2018 können alle auswendig, die in der CDU etwas zu melden haben. Aber was sagt das aus über Grenzen und Berührungspunkte zwischen Union und AfD? Ist ein Jahr nach Erfurt alles gut?
Für Thüringen mag es fast so scheinen, denn seit Ramelows Wiederwahl läuft dort ein interessantes Experiment: Die CDU hat einen „Stabilitätspakt“ mit Rot-Rot-Grün vereinbart, der eine Zusammenarbeit bei bestimmten Projekten vorsah und gemeinsames Abstimmen von CDU und AfD praktisch ausschloss. Sogar den Haushalt haben sie so kurz vor Weihnachten verabschiedet.
Das zeigt nicht nur, dass sich entgegen negativen Vorurteilen mit Minderheitsregierungen arbeiten lässt. Der „Stabilitätspakt“ mag der Regierung einige schwierige Kompromisse mit der CDU abverlangt haben. Aber am wichtigsten Unterschied zu einer zusammengewürfelten AfD-Verhinderungskoalition wie in Sachsen-Anhalt ändert das nichts: In Erfurt findet die Verständigung im parlamentarischen Rahmen statt – und weder in den inneren Zirkeln eines Regierungsapparats noch unter den Zwängen eines Koalitionsvertrags.
Ob die faktische Kooperation der Thüringer CDU mit der Ramelow-Regierung noch zum Unvereinbarkeitsbeschluss passt, darf parteiinternen Textinterpretationen überlassen bleiben. Offiziell gilt sie gerade noch als opportun. Aber die wichtigere Frage lautet: Zeigt sich da ein Modell, bei dem sich die demokratischen Parteien gemeinsam gegen die extreme Rechte positionieren? Und wäre das schon die Idealform des parteipolitischen Kampfes gegen rechts?
Die erste Frage lässt sich auch jetzt nicht eindeutig mit Ja beantworten, jedenfalls nicht über die Landesgrenzen hinaus. In Sachsen-Anhalt, das am 6. Juni wählt, wäre die Koalition aus CDU, SPD und Grünen jüngst fast geplatzt, weil im Landtag die Erhöhung des Rundfunkbeitrags am gemeinsamen Nein von christdemokratischen Abgeordneten und AfD zu scheitern drohte.
Am Ende scheiterte die Erhöhung tatsächlich – aber daran, dass CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff den Antrag auf Zustimmung zurückzog. Mit anderen Worten: Um ein Ergebnis zu verhindern, das mit einer Mehrheit aus CDU und AfD zustande gekommen wäre, führte Haseloff das gleiche Ergebnis auf anderem Wege herbei. Dennoch leben viele in der Fantasie, das sei etwas anderes als Politik im Gleichschritt mit dem Rechtsextremismus.
Zumindest in den Ost-Bundesländern kann also von stabilen Bündnissen gegen rechts unter Einschluss der CDU keine Rede sein. Aber auch bundespolitisch ist vor Illusionen zu warnen. Denn die „Mitte“, die die Union für sich in Anspruch nimmt, liegt in Wahrheit ziemlich weit rechts – daran ändern die Legenden von Öffnung und „Sozialdemokratisierung“, die sich mit Angela Merkels lückenhaftem Modernisierungskurs verbinden, nichts.
Zwar wird die Ansage, sich nicht offen mit der AfD zu verbünden, auch unter Armin Laschets Führung gelten. Selbst Friedrich Merz hatte sich hier eindeutig positioniert – kein Wunder für einen, dem das Image des Wirtschaftsstandorts Deutschland so am Herzen liegt. Mit sinkenden Umfragewerten der AfD ist bei der Union wohl die Hoffnung gewachsen, die extreme Rechte wieder von der parlamentarischen Bühne verjagen zu können – eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz als Abschiedsgeschenk Horst Seehofers könnte einen entscheidenden Beitrag leisten.
Aber was wäre inhaltlich gewonnen, verschwände die AfD in der Bedeutungslosigkeit? Sicher würde die Union deren radikal fremdenfeindliche Positionen nicht übernehmen. Aber fährt sie nicht in Sachen Migration längst einen Kurs der Abschottung, bei dem die AfD sich fragen könnte, wogegen sie noch opponiert? Haben sich die Vorsitz-Kandidaten Laschet, Merz und Röttgen beim Thema „innere Sicherheit“ nicht in Harte-Jungs-Sprüchen gegenseitig überboten? Und in der Wirtschaft ist eine Abkehr von der Ignoranz gegenüber den am meisten Benachteiligten in der Gesellschaft weit und breit nicht zu erkennen – auch nicht bei Laschet.
Wer wissen will, wo die CDU im Verhältnis zur AfD steht, sollte also ruhig mal auf politische Inhalte schauen. Dann zeigt sich schnell: Im konkreten antifaschistischen Engagement können punktuelle Bündnisse mit Christdemokraten durchaus sinnvoll sein. Aber entscheidend für die Zukunft ist die Frage, ob es links der Union eine mehrheitsfähige, überzeugende Alternative gibt, die weder offen noch versteckt aus Ressentiments Kapital zu schlagen versucht.
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