Klein, aber mächtig

Arbeitgeber Bestärkt durch ein Versprechen im schwarz-roten Koalitionsvertrag kommen altbekannte Argumente wieder hoch: Dürfen Piloten und Lokführer das Land lahmlegen?
Ausgabe 37/2014
Klein, aber mächtig

Foto: Alexander Hassenstein/ AFP/ Getty Images

Man staunte nicht schlecht vor wenigen Tagen: Die Wirtschaft ruft nach dem Staat, und keiner lacht. In skrupelloser Offenheit verlangen Arbeitgeber und ihre Vertreter in der Politik wieder einmal nach dem, was sie sonst verlässlich für das Ende der Marktwirtschaft gehalten haben: Gesetze, Regulierung, Eingriff ins freie Spiel der Kräfte. Das war schon so, als es noch darum ging, den gesetzlichen Mindestlohn zu verhindern: „Kombilohn“ nannte man schamvoll die Aufstockung von Hungerlöhnen mit dem Geld der Steuerzahler. Jetzt heißt das Codewort, wieder einmal, „Tarifeinheit“. In einem Unternehmen soll nur noch ein Tarif für alle Beschäftigten gelten.

Bestärkt durch ein Versprechen im schwarz-roten Koalitionsvertrag und befeuert durch die Streiks von Lokführern und Piloten, kamen altbekannte Argumente wieder hoch: Kleine, aber starke Berufsgruppen dürften nicht das Land lahmlegen. Nur die Gewerkschaft, die in einem Betrieb die meisten Beschäftigten vertritt, soll Tarifverträge schließen dürfen. Also Verdi für die Ärzte oder die DGB-Gewerkschaft EVG für alle Eisenbahner, also auch auf den Loks.

Für alle, die keine Lust haben, dass ihre Urlaubs- oder Geschäftsreise wegen eines Streiks zur Lotterie wird, klingt das auf den ersten Blick recht verlockend. Aber auf lange Sicht wäre es ein Fehler, den Rufen aus der Wirtschaft (denen sich der DGB zum Glück nicht mehr anschließt) und dem Versprechen des Koalitionsvertrags zu folgen.

Nicht dass Tarifeinheit im Prinzip etwas Schlechtes wäre. Aber wo kluge Gewerkschaften und Betriebsräte die Kräfte bündeln und ihre Forderungen zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen vernünftig austarieren, haben sie auch ohne zusätzliche Gesetze die Chance, der Arbeitgebermacht etwas entgegenzusetzen. Das ist nicht leicht, denn mit freundlicher Unterstützung der Politik sind in den vergangenen Jahren Belegschaften bis zur Unkenntlichkeit zersplittert worden durch Leiharbeit oder das Unwesen der Subunternehmerwirtschaft. Wer aber dagegen vorgehen will, sollte sich nicht auf einen Irrweg locken lassen, der die Tarifautonomie am Ende schwächt.

Eine Regelung, die die Beschäftigten und ihre unterschiedlichen Interessen künstlich unter einen Hut zwingt, mag zunächst den Spartengewerkschaften das Wasser abgraben. Aber der Hutwird die tatsächlichen Probleme in Wahrheit nur zudecken und keineswegs lösen. Und die Gewerkschaften würden womöglich, wie früher nicht selten geschehen, die höher bezahlten Berufsgruppen vergessen, statt deren Interessen mit denen der Niedriglöhner auszutarieren.

Diejenigen, die heute nach Tarifeinheit rufen, haben mit Waffengleichheit zwischen Unternehmern und geschlossen auftretenden Einheitsgewerkschaften nichts am Hut. Sie wollen nur verschont werden von den unterschiedlichen Wünschen aus den Berufsgruppen, die sie selbst nach Kräften gegeneinander ausgespielt haben. Für alle anderen aber gilt: Für Gesetze und Regulierung gibt es, auch in der Arbeitswelt, noch Anlass genug – siehe Leiharbeit oder Werkvertragsmissbrauch. Für die Tarifeinheit gilt das nicht. Wenn Unternehmer berechenbare Verhältnisse zurückhaben wollen, dann sollten sie zuerst einmal aufhören, Belegschaften zu spalten und aus den Flächentarifen zu flüchten. Und wer starke Einheitsgewerkschaften will, kann ja schon mal Mitglied werden.

Stephan Hebel ist Buchautor und Journalist

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