Oskar Lafontaine hat viele Feinde, aber einen Vorwurf wird ihm keiner machen: dass er beim Verfassen provokanter Thesen die Wirkung nach außen nicht bedenkt. Niemand wird glauben, dass der ehemalige Vorsitzende der Linkspartei nur mal laut nachdenken wollte, als er auf der Homepage seiner saarländischen Fraktion verkündete: Raus aus dem Euro. Angesichts der katastrophalen Zustände in Europas Süden, so Lafontaine, „muss man die einheitliche Währung aufgeben“.
Es kam, wie es kommen musste. Aufregung und Widerspruch aus der Bundespartei, ein paar kritische Zeitungskommentare, gefolgt von schadensbegrenzenden Worten des Vorsitzenden Bernd Riexinger („wichtige Debatte“). Aber wer mag da noch folgen außer ein paar Polit-Junkies im besonders interessierten Teil der Öffentlichkeit? Lafontaine wäre nicht „Oskar“, wenn er nicht sehr genau wüsste, was beim Großteil des Publikums hängen bleibt: Wer genug vom Euro hat, muss nicht den rechten Ausgang nehmen, wo die „Alternative für Deutschland“ (AfD) wartet. Es gibt – angeblich – auch einen Ausgang nach links.
Was in der Aufregung unterging, das waren die erstaunlichen Schwächen der Lafontaine’schen Argumentation. Wenn sein kleines „Diskussionspapier“ uns etwas lehrt, dann dies: Wer dem Drinbleiben-Pathos der Kanzlerin („Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“) nichts Besseres entgegenzusetzen hat als ein DIN-A4-Blatt mit simplen Ausstiegsfantasien, mag bei ein paar Überdrüssigen punkten. Zur Lösung der Krise trägt er kaum etwas bei.
Die Nähe zu Merkel
Im Zentrum der Diskussion steht, auch bei Lafontaine, die wichtigste Folge einer Währungsunion: Die Länder haben keine Drachmen oder Peseten, keine D-Mark und keinen Franc, die sie ab- oder aufwerten könnten. Das wichtigste Mittel, die unterschiedliche Stärke nationaler Volkswirtschaften ohne Überschuldung auszugleichen, gibt es nicht mehr: Die Abwertung zum Beispiel der Drachme hätte Griechenlands Importe verteuert und damit die Nachfrage nach heimischen Produkten gestärkt. Umgekehrt wären griechische Waren für das Ausland billiger geworden.
Das war ein eingespieltes, allerdings nicht gerade „linkes“ Modell. Lafontaine hat genug ökonomischen Sachverstand, um dies zu wissen. In seinem Papier benennt er sogar selbst die einzige einer linken Partei gemäße Antwort: „eine aufeinander abgestimmte produktivitätsorientierte Lohnpolitik“. Ergänzt, das muss hinzugefügt werden, durch eine abgestimmte Steuer- und Sozialpolitik. Also der Versuch, die Unterschiede nicht durch unterschiedliche Währungen auszugleichen, sondern durch gemeinsames Handeln für ein gerechtes Europa.
Das ist das Gegenteil der Schröder-Agenda und ihrer Fortsetzung nach Merkel-Art. Einer Politik, die die deutschen Arbeitskosten und damit die Preise unserer Waren drückt und damit die ungesunden Exportüberschüsse der deutschen Wirtschaft noch vergrößert – auf Kosten der Binnennachfrage und bezahlt mit genau dem Geld, das der ärmere Teil Europas sich (auch) bei unseren Banken lieh, um deutsche Autos zu kaufen.
Nicht, dass Lafontaine die Alternative nun plötzlich verworfen hätte. Aber er tut etwas, das zu einem linken Kämpfer so gut passt wie die Vermögensteuer zu Angela Merkel: Er resigniert. Und dann landet er in gefährlicher Nähe nicht nur zu rechten Anti-Euro-Populisten, sondern auch zur Politik der Kanzlerin, die er bekämpft.
Die Resignation liegt im einzigen Argument, das der Saarländer für seine Anti-Euro-Wende aufzubieten hat: „Weil ich diese Lohnkoordination für möglich hielt, habe ich in den 90er Jahren die Einführung des Euro befürwortet“, schreibt er. „Aber die Institutionen der Koordinierung … sind von den Regierenden unterlaufen worden. Die Hoffnung, dass durch die Einführung des Euro auf allen Seiten ökonomische Vernunft erzwungen würde, hat getrogen.“ Und wenig später: „Eine reale Aufwertung über steigende Löhne, wie sie im Falle Deutschlands notwendig wäre, ist mit den deutschen Unternehmerverbänden und dem diesen folgenden neoliberalen Parteienblock, bestehend aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, nicht zu machen.“
Mit anderen Worten: Ein führender Linker verwirft die Alternative zur herrschenden Politik, weil sie mit den Herrschenden nicht zu verwirklichen ist. Er verabschiedet sich von der „ökonomischen Vernunft“, weil er sie nicht durchgesetzt hat. Das hätte man eher von sozialdemokratischen Superrealos erwartet als vom prominentesten Mitglied der Linkspartei im Westen.
Und dann die Nähe zu Merkel. Sie ist natürlich nicht gewollt, aber Lafontaine gerät im „Raus aus dem Euro“-Furor auf eine schiefe Bahn. Er unterschlägt einen entscheidenden Aspekt: Auch in einem System mit Auf- und Abwertungen ist Bereicherung der Reichen und Verarmung der Ärmeren möglich. Auch eine Abwertung würde ohne ausgleichende Sozialpolitik viele Griechen ärmer machen, weil sich alle Geschäfte mit Auslandsbezug verteuerten.
Eine koordinierte, sozial und ökonomisch ausgleichende Politik bräuchte Europa mit oder ohne Euro. Und genauso ist eine neoliberale, an „Wettbewerbsfähigkeit“ durch Sozialabbau orientierte Politik nicht nur mit Euro möglich, sondern auch ohne. Wer suggeriert, der Ausstieg aus der Währungsunion habe auch nur Ähnlichkeit mit einer Lösung der wichtigsten Probleme, der vergisst den Gerechtigkeitsanspruch, mit dem sich linke Parteien von anderen unterscheiden sollten. Und er fällt auf populistische Vereinfacher herein, die uns in eine dümmliche Rein-Raus-Debatte zu zwingen versuchen.
Werben um AfD-Wähler
Dieser Preis ist zu hoch für einen kleinen Coup, der im besten Fall den Anti-Euro-Populisten der AfD ein paar Wähler stiehlt. Lafontaine hat diese Partei in seinem Papierchen nicht erwähnt, das wahltaktische Motiv ist ihm also nicht nachzuweisen.
Umso deutlicher ist dafür Sahra Wagenknecht geworden. Am Tag vor dem Vorstoß ihres Gefährten wandte sie sich zwar noch gegen den Euro-Ausstieg: „Zu suggerieren, ,Wir müssen raus aus dem Euro, dann sind unsere Probleme gelöst‘, halte ich … für falsch“, sagte sie dem Fernsehsender n-tv.
Der AfD aber attestierte Wagenknecht zwar einerseits, „keine Perspektiven eines sozialen Deutschlands oder eines sozialen Europas“ zu vertreten, „Umverteilung nach oben“ anzustreben und Niedriglöhne oder Altersarmut zu ignorieren. Aber zugleich lobte sie die neue Konkurrenz: „Wer die Gründer der AfD als Populisten abstempelt, macht es sich zu leicht. In vielen Punkten haben sie mit ihrer Kritik an der derzeit praktizierten Euro-Rettung recht.“
Das war ein eigenwilliger, aber eindeutiger Versuch, potenziellen AfD-Wählern im Lager der Euro-Skeptiker noch mal den linken Ausgang zu zeigen. Natürlich nicht ganz ohne Risiko, denn zu viel Eindruck von Nähe kann dem Profil auch schaden und unerwünschte Reaktionen hervorrufen wie diejenige von Johannes Kahrs, SPD: „Linksaußen und Rechtsaußen schließen den Kreis.“ Also erklärte sich Wagenknecht knapp eine Woche nach ihrem Fernsehinterview erneut, diesmal im Neuen Deutschland, zur Beruhigung der linken Klientel: „Es besteht kein Zweifel, dass die AfD eine rechtskonservative Parteigründung mit knallhartem neoliberalen Profil ist.“
Allerdings war inzwischen im Hause Wagenknecht-Lafontaine die Euro-Frage geklärt. Die Linke, so Wagenknecht jetzt, könne sich „der Frage nicht verweigern, was passiert, wenn sie ihre Krisenlösungskonzepte weiterhin nicht umsetzen kann“. Das stimmt, nur: Es stimmt mit Euro oder ohne. Es ist von erstaunlicher Naivität, so zu tun, als sei das anders. Oder es ist gefährlicher Populismus. Wer den Abschied vom Euro für richtig hält, soll das in der Sache begründen – auch wenn das für Internationalisten und Freunde der friedlichen Einigung Europas nicht leicht werden dürfte. Aber Resignation ist keine linke Tugend.
Dieses Land braucht eine Links-Partei, die sie sich durch bestehende Mehrheiten nicht von Überzeugungen abbringen lässt. Die um neue Mehrheiten kämpft, ohne sich bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen. Wir brauchen sie nicht, wenn sie sich auf Kosten Europas den herrschenden Verhältnissen beugt, weil sie (noch) nicht gewonnen hat.
Stephan Hebel ist politischer Journalist. Zuletzt erschien von ihm: Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht
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