Koalitionsausschuss zum Klimaschutz: Von wegen Modernisierungspaket
Verhandlungsmarathon Die Koalition rauft sich zusammen, mal wieder. Aber den großen Wurf bleibt sie schuldig. Das Versagen ist alles andere als ein Zufall
„Und dann hab ich den Grünen am Ende gesagt: Mensch, das macht ja doch noch richtig Laune mit euch!“
Foto: Michael Kappeler/dpa
Die Klimakrise hat viele schöne Begriffe zum Allgemeingut gemacht, zum Beispiel „nachhaltig“, „klimaneutral“ oder auch „energieeffizient“. Sogar ein „Energieeffizienzgesetz“ für Verwaltungen und Unternehmen bereitet das deutsche Wirtschaftsministerium vor, und energieeffizientes Heizen hatte auf der Hitliste koalitionärer Streitthemen in Berlin einen Spitzenplatz, bis der Koalitionsausschuss am Dienstag dieser Woche den Umstieg auf erneuerbare Energien beim Heizen mit ein paar ergänzenden Floskeln bekräftigte.
„Energieeffizienz“ steht (nach offizieller EU-Definition) für „das Verhältnis von Ertrag an Leistung, Dienstleistungen, Waren oder Energie zu Energieeinsatz“, auf gut Deutsch: Wi
eutsch: Wie bekomme ich für das, was ich an Energie aufwende, möglichst viel hinten heraus? Oder: Wie sorge ich dafür, dass das Haus ohne Gas und Öl so warm wird wie mit?Damit ist einer der wenigen Pluspunkte genannt, die sich die Grünen nach dem Koalitionsmarathon von Sonntag bis Dienstag anrechnen dürfen, abgesehen vielleicht vom 45-Milliarden-Paket für die Bahn: Es bleibt dabei, dass neue Heizungen von Anfang 2024 an zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. „Möglichst“ zumindest, „technologieoffen“, mit „ausreichenden Übergangszeiten“, unter Vermeidung „unbilliger Härten“ (so die in FDP-Handschrift eingefügten Weichspül-Elemente) und mit Berücksichtigung sozialer Aspekte. Immerhin.Ansonsten kann den 16 Seiten des „Modernisierungspakets für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ vor allem zweierlei entnommen werden: erstens die inzwischen üblich gewordene, putzige Selbstlob-Lyrik: „Diese Koalition ist angetreten, um Deutschland zu modernisieren. (…) Die Koalitionspartner arbeiten dafür an einem neuen Deutschlandtempo.“ Und zweitens, noch viel schlimmer, ein mehrfacher Kotau vor der FDP in der Klimapolitik.Klimapolitische KatastrophennummerDas gilt nicht nur für die schon jetzt legendären 144 Autobahnprojekte, die laut FDP-Chef Christian Lindner im beschleunigten Verfahren durchgezogen werden sollen. Es gilt vor allem für denjenigen Beschluss, der einen zentralen Fortschritt der Klimapolitik zunichtemacht: Die Pflicht, Ziele zur CO₂-Reduktion einzuhalten, soll künftig nicht mehr für jeden Sektor (etwa Gebäude oder Verkehr) einzeln gelten. Will heißen: FDP-Verkehrsminister Volker Wissing kann seine Reduktionsziele weiter wie üblich verfehlen, wenn in anderen Bereichen besser gespart wird. Der Druck Richtung Klimawende wird also in einem der schmutzigsten Sektoren erheblich vermindert.Es ist schon beachtlich, dass es die Grünen in rund 30 Verhandlungsstunden nicht geschafft haben (falls sie es intensiv versucht haben), diese klimapolitische Katastrophennummer abzuwenden. Wer vor diesem Hintergrund auf die Idee käme, das Wort „Energieeffizienz“ auf die Ampelkoalition anzuwenden, dürfte schon mal fragen, wie effizient es ist, wenn pro Stunde gut 0,5 Seiten dieser Qualität herausspringen. Müsste die Regierung des Sozialdemokraten nicht ein EU-Vertragsverletzungsverfahren befürchten, wenn ihre Arbeit an der europäischen „Energieeffizienz-Richtlinie“ gemessen würde?Fragt sich nur, wie es zu diesem Missverhältnis aus Aufwand und politischem Ertrag kommt.Es liegt allerdings weder daran, dass die Beteiligten gern nachts im Kanzleramt sitzen, noch liegt es daran, dass sie unter dem Verdacht der Faulheit stünden. Es wird vielmehr von Koalitionsstreit zu Koalitionsstreit immer deutlicher, dass es sich bei der politischen Energieverschwendung um ein fest eingebautes Strukturmerkmal dieser Regierung handelt. Mit anderen Worten: Eine Ampel, in der Rot, Gelb und Grün gleichzeitig um die Wette leuchten, verbraucht jede Menge Energie und sorgt doch nur für Chaos oder Stillstand an der Kreuzung.Parteipolitisch liegen Erklärungen auf der Hand: Bekannt ist, dass die Grünen ein bisschen weniger als machtlustige Kompromissmaschine wahrgenommen werden wollen, die sogenannten Freidemokraten ein bisschen mehr als Partei des marktwirtschaftlichen Heldentums und die SPD möglichst stark als wahre Hüterin des knorztrockenen Scholz-Pragmatismus, bedächtig führend in der Mitte zwischen den streitenden Partnerparteien.Kampf um WahlchancenDie Diagnose, dass daraus alles Mögliche entsteht, nur nicht der zum eigenen Motto erklärte „Fortschritt“, ist so verbreitet wie richtig. Es wäre allerdings fahrlässig, den Richtungsstreit allein auf mehr oder weniger persönliche Defizite wie etwa Profilierungssucht zurückzuführen, wie das oft innerhalb und außerhalb der Ampelkoalition geschieht. Denn eines muss man dieser Regierung lassen: Alle Beteiligten kämpfen nicht (nur) um Wahlchancen und persönliche Karriereaussichten, sondern um ihre jeweilige Sache. Genau hier liegt das Problem.Wenn die FDP sich für Autobahnen und Verbrennungsmotoren einsetzt, kann das bei ehrlicher Betrachtung niemanden überraschen. Eher wundert der späte Zeitpunkt, zu dem sie nach bitteren Landtagswahl-Niederlagen merkt, dass ihr Potenzial im Bündnis fossiler Beharrungskräfte in einer verunsicherten Gesellschaft mit ökonomischen Interessen liegt. Allenfalls kann der etwas überschießende Ehrgeiz verwundern, mit dem sie eine Art Planübererfüllung demonstriert: Selbst die Autoindustrie hat es bisher nicht gewagt, ihr Interesse am Bau (und vor allem Export) von Verbrennerfahrzeugen so unverhohlen zu benennen wie ihr parlamentarischer Arm.Wenn die Grünen mal klimapolitische Unbeirrbarkeit an den Tag legen wie jetzt in Sachen Gebäudewärme, dann hat auch das seinen Grund: Viel zu lange haben sie sich vom Vorsitzenden einer Partei auf der Nase herumtanzen lassen, der beim „Heizen“ vor allem ans Autofahren mit Höchstgeschwindigkeit zu denken scheint. Genau deshalb, ist anzunehmen, hat Robert Habeck statt machtbesoffener Biegsamkeit mal zeigen wollen, wer wirklich Klimaschutz will und gegen wen. Dummerweise hat er sich dabei so dilettantisch verhalten, dass Unionsparteien und Springerpresse den Leuten einreden konnten, sie müssten am 1. Januar 2024 ihre funktionierende Gasheizung aus dem Keller reißen.Wenn schließlich Olaf Scholz die Kunst des nervenstarken Zögerns zelebriert, dann natürlich in der Hoffnung, am Ende als Mittler zwischen Grün und Gelb zu erscheinen. Ein bisschen mehr Auto hier, ein bisschen mehr Wärmepumpe dort – und immer gerade so viel Klimawende, dass die Leute es nicht zu sehr merken: Im Hause des Kanzlers würde man das wohl „Deutschland-Geschwindigkeit“ nennen, in der Öffentlichkeit aber wird es als unangemessene Zögerlichkeit wahrgenommen, und bei genauer Betrachtung handelt es sich um genau die lavierende Hingabe an eine ominöse politische „Mitte“, mit der die Sozialdemokratie erneut vor der Aufgabe einer echten sozial-ökologischen Transformation versagt.Noch einmal: Das alles ist allein mit persönlichen Defiziten oder einem Übermaß an parteipolitischem Egoismus (der nebenbei bemerkt eine demokratische Notwendigkeit darstellt) nicht zu erklären. Hinter der Zerrüttung, die auch nach mühsamer Einigung über aktuelle Fragen nicht enden wird, steckt mehr. Die Ampel, ließe sich sagen, ist das Spiegelbild verbreiteter Unsicherheiten und Orientierungsschwierigkeiten in der Vielfachkrise. Sie repräsentiert auf erschreckend angemessene Weise die Gesellschaft, deren notwendiger Umbau an einer Mischung aus Angst vor Veränderung, mächtigen Interessen und fehlendem Reformwillen scheitert.Insofern hat die Mehrheit im Land leider die Regierung, die zu ihr passt. Sie repräsentiert die vorherrschenden Kräfte der Gesellschaft, nur diejenigen, die auf den notwendig radikalen Umbau drängen, repräsentiert sie nicht. Und jede der drei beteiligten Parteien spielt die Rolle, die von ihr zu erwarten war. Das bis zur Unkenntlichkeit zurechtdefinierte Wort Fortschritt, unter dem sich die drei beteiligten Parteien zusammenrauften, war von Anfang an Fake News, und wer wollte, konnte das auch von Anfang an erkennen. Der russische Überfall auf die Ukraine, der fast noch in die gespielte Anfangseuphorie der Ampel fiel, mag die innenpolitische Wirklichkeit für eine Zeit lang überdeckt haben. Aber zu übersehen war sie eigentlich nicht.Unbestritten hat die Ampel auch für Fortschritte gesorgt, zum Beispiel beim höheren Mindestlohn oder dem Abtreibungsrecht. Aber der Fortschritt, den sie sich so plakativ in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, war niemals das, was von einem Bündnis des sozial-ökologischen Umbaus zu erwarten wäre. Nur wer etwas anderes geglaubt hat, muss sich über die Zerstrittenheit dieser Regierung jetzt wundern.