Eigentlich macht Muhterem Aras alles Mögliche, aber einen langsamen Eindruck macht sie nicht. Reaktionsschnell, wortgewandt, immer mit hoher Drehzahl unterwegs – so wirkt die Stuttgarter Grüne bei öffentlichen Auftritten und auch im persönlichen Gespräch. Seit vor einem Jahr Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt wurde, sitzt sie im Stuttgarter Landtag. Und wer die baden-württembergische Landespolitik verfolgt, versteht immer besser, warum Aras für sich selbst ein Symbol-Tier wählte, das zu Temperament und Tempo so gar nicht zu passen scheint: die Schildkröte.
Nach dem grün-roten Wahlsieg im März 2011 fand sich Aras in den regionalen und überregionalen Medien als „Stuttgarter S
ttgarter Stimmenkönigin“ wieder. Die Mutter von zwei Kindern hatte mit dem für die Grünen sensationellen Ergebnis von 42,5 Prozent ein Direktmandat geholt. Sie wurde als künftige Ministerin gehandelt, was weniger an ihr als an Koalitionsinterna scheiterte.Die Schildkröte als SymbolAm Ende wurde sie, die Wirtschaftswissenschaftlerin mit eigenem Steuerberatungs-Büro, finanzpolitische Sprecherin der Grünen. Damit ist Aras, wenn auch nicht in allererster Reihe, eine wichtige Stütze der Regierung Kretschmann. Wahrlich eine Turbo-Karriere für eine 45-Jährige, die erst im Alter von zwölf Jahren mit ihren Eltern und Geschwistern aus der Türkei nach Deutschland kam – ohne Deutschkenntnisse, aber mit Ehrgeiz und einer Familie, die sie konsequent unterstützte.Wer mit Muhterem Aras spricht, wird Tempo und Leidenschaft auch heute noch spüren. Doch die Politik, die sie auf diese Weise vertritt, macht der Schildkröte alle Ehre: Grün-Rot bewegt sich in Zeitlupe. Und wo die Regierung ihre Ziele verfehlt, zieht sie den Kopf ein und versteckt sich hinter oft phrasenhaften Argumenten. Das beste Beispiel dafür ist der Umgang mit Stuttgart 21. Natürlich zählte auch Aras zu jenen, die gegen den Tiefbahnhof protestierten. Auf ihrer Homepage schrieb sie vor der Wahl: „Unsere Position zu S21 ist klar, und das seit Jahren. Ich bin mir sicher, dass unsere konstante Arbeit für das Ende des Milliardengrabs S21 Erfolg haben wird.“Demokratie und Stuttgart 21Nach der Volksabstimmung, die im Herbst mit einem Votum gegen den Ausstieg des Landes endete, kapitulierte auch Aras: „Jetzt von der Landesregierung zu verlangen, sie solle sich über die Volksabstimmung hinwegsetzen und ,was‘ tun, wäre ein höchst undemokratischer Akt.“Dass niemand verlangt, die Grünen sollten sich über die Abstimmung „hinwegsetzen“, bleibt unerwähnt. Dabei ginge es nur darum, im Rahmen des Ergebnisses politisch zu agieren – so wie es Grünen-Oberbürgermeisterkandidat Fritz Kuhn vorschlug, als er die Schonung des Schlossparks bis zur Klärung baurechtlicher und finanzieller Fragen forderte. Muhterem Aras schrieb dagegen in einem Gastbeitrag für die alternative Wochenzeitung Kontext im Februar: „Es gibt Kritiker, die jetzt das Ende der grün-roten Koalition fordern. Und dann? Käme es wahrscheinlich zu einer anderen Koalition, die dann da weitermachen würde, wo Schwarz-Gelb aufgehört hat – ohne jede Kritik.“Wo sich das grüne Verhalten davon unterscheidet, vermögen weder Aras noch Kretschmann zu erklären. Selten ist Machterhalt als Selbstzweck so lupenrein vorgeführt worden – ausgerechnet bei dem Thema, ohne das die Grünen nie und nimmer den Ministerpräsidenten stellen würden. Und selten ist solche Machtpolitik perfider versteckt worden unter dem Panzer eines pathetischen Bekenntnisses zur Demokratie."Das ist strukturell!"Im Gespräch kommt Muhterem Aras allerdings lieber auf ihre Lieblingsressorts: Finanzen und Bildung. Es dürfte nicht viele Politiker geben, die die eigene Mitgliedschaft in einer „Haushaltsstrukturkommission“ so kommentieren würden wie die 45-Jährige: „Das macht Spaß, das ist Gestalten.“ Einmal hat Grün-Rot auch gezeigt, was „Gestalten“ in Haushaltsfragen bedeuten könnte: Mit einer Erhöhung der Grunderwerbssteuer finanziert die Regierung den beschleunigten Ausbau der Kleinkindbetreuung. Seither allerdings gilt, nicht anders als bei Regierungen anderer Couleur, fast nur noch das Mantra vom Sparen. Aras legt an Begeisterung noch einmal zu, wenn sie zum Beispiel die Einsparungen bei Beamten verteidigt: „Das ist strukturell!“ Und ist es auch grün? „Grün ist, dass wir die Ausgaben strukturell anschauen, statt die Lage schönzureden.“ Ein Satz, der auch von Angela Merkel stammen könnte. Bis auf das „Grün“.Klar, dass dieses Spardiktat alle Reformen zum Schildkröten-Tempo zwingt. Aras‘ zweites Fachgebiet ist die Bildungspolitik, ein Kernressort jeder Landesregierung. Hier hat Grün-Rot die Einführung einer „Gemeinschaftsschule“ beschlossen. Ziel sei es, von der ersten Klasse bis zum Abitur die Möglichkeit gemeinsamen Lernens mit besserer individueller Förderung zu verbinden, sagt Aras. Und wann? „Irgendwann.“Die Langsamkeit hat sicher nicht nur finanzielle Gründe. Kretschmann und eine Mitstreiterin wie Aras gehören zu jenen, die das Heil in der ominösen „Mitte“ suchen und nicht im konsequenten, auch konfrontativen Verfechten eigener Positionen. Sie bilden den wachsenden Flügel der Grünen, der das Verhältnis von Grundwerten und Machtgewinn nicht als ständig neu zu tarierende Balance ansieht, sondern als entschieden. Es ist derselbe Flügel, aus dem man auf die Frage nach Schwarz-Grün hört: „Sofort! Wenn wir den Ministerpräsidenten hätten.“