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Sozialdemokratie Eine attraktive Idee von sozial-ökologischer Modernisierung, das wäre mal eine Politik, die das Wort „Mitte“ verdient – und der SPD stünde
Ausgabe 26/2019
Nur noch ein Schatten ihrer selbst: Personaldebatten werden die Sozialdemokratie nicht retten
Nur noch ein Schatten ihrer selbst: Personaldebatten werden die Sozialdemokratie nicht retten

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Für Malu Dreyer steht das Wunschergebnis schon fest. Sind die neue Vorsitzende, der neue Vorsitzende oder die neuen Vorsitzenden gefunden, sollen alle sagen können: „Die SPD ist quicklebendig.“ Nehmen wir zu Dreyers Gunsten an, dass sie nicht glaubt, ihre Partei ließe sich allein durch Personalentscheidungen wieder zum Leben erwecken. Sondern dass sie im Rahmen der Vorsitzendenkür auf eine anspruchsvolle und fruchtbare Auseinandersetzung über die Ausrichtung der Sozialdemokratie hofft.

Das jetzt beschlossene Verfahren der Personalfindung bietet durchaus Gelegenheit dazu: Die Regionalkonferenzen und Mitgliederabstimmungen, die es vorsieht, haben immerhin das Zeug zur Selbstverständigung, und zwar im Dialog zwischen Basis, Funktionärsebene und (alter) Führung. Wenn das gelingen soll, werden die Kandidaten allerdings mehr Mut aufbringen müssen als all die schnell zerschlissenen Parteichefs vor ihnen. Die Partei hat den Versuch, die Idee der Sozialdemokratie unter den Bedingungen der Gegenwart neu zu definieren, fast schon zu lange unterlassen. Zu lange hat der mächtige Flügel um Olaf Scholz geglaubt, eine Gesellschaft in Bewegung mit ein paar punktuellen Erfolgen in einer Koalition des weitgehenden Stillstands abspeisen zu können. Mut gehört dazu, sich über Ideen, gerne auch Visionen jenseits des großkoalitionären Denkkorsetts zu verständigen. Diese Ideen müssten dann auch mit Ansagen zu einer möglichen Machtperspektive verbunden sein.

Wo also könnte der Platz einer modernisierten Sozialdemokratie heute liegen? An der Seite des grünen, metropolitanen Kosmopolitismus? Oder eher da, wo sich auch bei Linken die Idee einer neuen Sozialpolitik mit irritierend nationalen Tönen zu Migration und Europa mischt? Beides nicht. Diese Rollen sind vergeben, und besonders attraktiv sind sie auch nicht. Wie wäre es stattdessen, wenn die SPD sich an die Auflösung des angeblichen Widerspruchs zwischen (nationaler) Sozialpolitik und internationalistischer Weltoffenheit wagte?

Die Zahl der Menschen, die sowohl kosmopolitische Einstellungen haben als auch einen Bedarf an neuen Systemen der sozialen Sicherung, wird ja nicht geringer – siehe nur die atypisch Beschäftigten der Internetbranche. Sie zu gewinnen, muss andererseits niemanden hindern am Versuch, auch dem Handwerker oder Metallarbeiter durch gute Sozialpolitik den „Angst-Rohstoff“ (Oskar Negt) zu entziehen, der die extreme Rechte ernährt. Diese grobe Verortung müsste natürlich mit konkretem Inhalt geführt werden. Gelingt das, könnte sie auch den Platz der SPD in einer künftigen Mitte-links-Regierung beschreiben. Sowohl dem sozial blinden oder kurzsichtigen, kosmopolitischen Liberalismus als auch dem Rückzug ins National-Soziale eine attraktive Idee von sozial-ökologischer Modernisierung gegenüberzustellen – das wäre mal eine Politik, die das Wort „Mitte“ verdient.

Es wäre übrigens die realistischste Position in einer rot-grün-roten oder grün-rot-roten Machtoption. Radikal wäre es nur gemessen am kleinmütigen Wursteln der SPD in der GroKo. Und unrealistisch ist in Wahrheit sowohl die Geschichte vom automatischen Glücksbringer Globalisierung als auch die Legende von der segensreichen Flucht ins Nationale.

Es kann nicht sein, dass es in der SPD keine führungsfähigen Persönlichkeiten gibt, die diesen neuen Realismus vertreten könnten. Sie mögen sich bitte melden.

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