Es ist schon ein Meisterstück politischer Kommunikation, was Bundesinnenminister Thomas de Maizière da in den vergangenen Tagen abgeliefert hat. Die nächste Runde an Gesetzesverschärfungen einzuläuten und zugleich aufrecht als liberaler Gegner übertriebener Gesetzesverschärfungen dazustehen – das macht ihm so schnell keiner nach. Dumm nur, dass sich an der gefährlichen Idee von „innerer Sicherheit“, die der Minister verfolgt, dadurch gar nichts ändert.
Dass dem CDU-Politiker sein kleiner Coup gelang, hat er zum erheblichen Teil seinen Parteifreunden in den Bundesländern zu verdanken. Die Unions-Innenminister taten ihm – ob nun abgesprochen oder nicht – den Gefallen, die unsinnigsten und unanständigsten Forderungen aus ihrem Entwurf einer „Berliner Erklärung“ durchsickern zu lassen. Schon diskutierte die Republik über den wahlkampfgetriebenen Versuch, der AfD mit AfD-Politik das Wasser abzugraben. Alle, die im Rausch der „inneren Sicherheit“ den Verstand noch nicht ganz verloren hatten, wiesen die Forderungen der konservativen Scharfmacher zurück.
Nun war das Feld für de Maizière bereitet: Was Burka-Verbot und Abschaffung des Doppelpasses betrifft, distanzierte sich auch der Minister von seinen Länderkollegen – und erntete Schlagzeilen wie „De Maizière weist Scharfmacher zurück“ nebst einem ausdrücklichen Lob vom Bundespräsidenten. Dass de Maizière zugleich die nächste Runde bei der Beschränkung von Bürgerrechten einläutete, fiel kaum noch auf.
Man kann sich natürlich freuen, dass die Bundesregierung wenigstens den gröbsten Unsinn nicht mitmacht. Es ist auch in Ordnung, wenn de Maizière die schlimmsten Folgen der selbstverschuldeten Sparpolitik bei der Ausstattung der Polizei wieder beseitigen möchte. Und vielleicht sind manche sogar froh, dass diese Bundesregierung diesmal nicht noch Schlimmeres plant als die x-te symbolische Verschärfung der Abschieberegelungen und den kaum praktikablen Entzug der Staatsbürgerschaft für ausreisende Dschihadisten.
Totalausspähung in den sozialen Medien
Aber nicht durchgehen lassen sollte es eine kritische Öffentlichkeit dem Minister, wenn er so tut, als repräsentiere er das Nonplusultra einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Politik – nur weil er sich den schlimmsten Ideen verweigert. Das ändert nämlich nichts daran, dass das Handeln der Bundesregierung auf einem einseitig repressiven und damit untauglichen Begriff von „innerer Sicherheit“ beruht. Systematisch wird ignoriert, dass Eingriffe in wichtige Schutzrechte den Bürgerinnen und Bürgern auf Dauer mehr Schaden zufügen könnten als die Bedrohungen, vor denen sie angeblich schützen sollen. Das gilt zum Beispiel für die Vorratsdatenspeicherung oder – jetzt neu im Programm – die Rasterfahndung, sprich: die Totalausspähung in den sozialen Medien.
Zum anderen aber ist der vorherrschende Sicherheitsbegriff so gefährlich, weil er auf Selbstbetrug beruht: auf der Idee, eine Gesellschaft werde sicherer dadurch, dass der Staat sie umfassend kontrolliert; und neuerdings auf der besonders dreisten Lüge, der Terror sei mit den Flüchtlingen „importiert“, die man deshalb besonders scharf im Auge haben müsse.
Selbst unter größter Beschränkung der Bürgerrechte ist es noch keinem Staat der Welt gelungen, die Konflikt- und Gewaltpotenziale in der Gesellschaft zu unterdrücken. Natürlich ist es richtig, dort einzugreifen, wo es Hinweise auf drohende Taten gibt. Aber selbst ein totaler Überwachungsstaat könnte nicht überall sein und wenn, dann wäre er mit dem gesammelten Material überfordert. Ohnehin reichen die Werkzeuge der Überwachung und der Repression niemals bis an die Wurzeln der Gewalt.
Unsere Politiker dürften das sehr wohl wissen, auch wenn sie es oft verschweigen. Schließlich legen sie hier und da sogar ihren „Sicherheitspaketen“ die eine oder andere Präventionsmaßnahme bei. Aber im Großen und Ganzen gilt, von der AfD über die Hardliner der Union bis zum neuerdings so „liberalen“ Bundesinnenminister: Vor allem geht es darum, sich im Fall eines Terroranschlags rechtfertigen zu können, man habe doch alles getan.
Alles? Das wäre allerdings etwas anderes als das, was uns heute unter dem Stichwort „Sicherheit“ verkauft wird. Wer im Ohr hat, wie die Forderung nach gesellschaftlicher Prävention mit geringschätzendem Unterton als „Sozialarbeit“ verworfen wird, kann nur staunen. Wer soziale Brüche, ungleiche Bildungs- und Lebenschancen oder fehlende Integrationsarbeit anführt, wenn es um das Abgleiten junger Leute in gewaltbereite Szenen geht, muss sich des absurden Vorwurfs erwehren, er rechtfertige damit die Taten von Terroristen.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat in den vergangenen Tagen ein Signal gegeben, das zumindest ein wenig Hoffnung macht. Mehrmals betonte er, Deutschland brauche „soziale wie innere Sicherheit“. Diese beiden Aspekte zusammenzudenken, statt ausschließlich über Polizei und Geheimdienste zu reden – das wäre in der Tat der Weg zu einer inneren Sicherheit, die den Namen verdiente. Sie bestünde in einer Gesellschaft, die ihren inneren Zusammenhalt immer wieder neu suchen würde, ohne die Risiken auszublenden, die auch aus der Vielfalt hier und da wachsen. Eines aber ist jetzt schon sicher: Von diesem Weg ist der neuerdings so gepriesene Bundesinnenminister meilenweit entfernt.
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