Mona Neubaur ist eine Grüne, und deshalb gefällt es ihr gar nicht, wenn noch mehr Braunkohle aus dem Boden geholt und verfeuert wird. Mona Neubaur ist aber auch Wirtschaftsministerin der schwarz-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen, und deshalb hat sie genau das durchgesetzt, was ihr so gar nicht gefällt. Wer darin immer noch einen Widerspruch erkennt, hat sich in den Regierungsgrünen der deutschen Gegenwart gewaltig getäuscht. Am Schicksal und der polizeilichen Räumung des rheinischen Dörfchens Lützerath zeigt sich überdeutlich: Zur Leitlinie dieser Partei sind genau die Verhältnisse geworden, die zu verändern sie einst angetreten war.
Das mag man schulterzuckend zur Kenntnis nehmen und sich abwenden von der einstigen „
„Öko-Partei“. Aber das Problem geht weit darüber hinaus: Nach Lützerath dürfte endgültig klar sein, dass die Klimaschutzbewegung im Parteienspektrum fast keine nennenswerten Verbündeten mehr hat, wenn es um eine konsequente Orientierung am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens geht. Klimaschutz ist zwar Mainstream geworden. Aber wir erleben in der Politik eine sehr große Koalition, deren Handlungsbereitschaft genau dort endet, wo das Erbe des fossilen Kapitalismus im Wege steht.Ministerin Neubaur hat den Widerspruch zwischen grünen Bekenntnissen und dem eigenen Handeln mit einer Aussage aufgelöst, die den Zustand ihrer Partei leider treffend dokumentiert: „Auch wenn ich mir es anders gewünscht hätte: Wir müssen anerkennen, dass die Realität eine andere ist.“ Aha, die „Realität“ ist es also, die die Grünen angeblich zum politischen Handeln gegen eigene Überzeugungen zwingt. Ja, dass Politik Rücksicht nehmen muss auf reale Tatsachen, ist schwer zu bestreiten. Aber welche Realität ist hier gemeint? Muss die Braunkohle abgebaggert werden, weil die Erde eine Kugel ist und keine Scheibe? Muss Lützerath weg, weil die „Realität“ irgendwelcher Naturgesetze das erzwingt?Wenn Regierungsgrüne die Realität ins Feld führen, wollen sie offensichtlich genau diesen Eindruck erwecken. Aber genau damit schließen sie sich endgültig einem angeblich ideologiefernen Pragmatismus an, der längst selbst zur Ideologie geworden ist: Die bestehenden Verhältnisse werden sozusagen in den Rang der Naturgesetzlichkeit erhoben.Bagger-Recht gehört zu fragwürdiger RealitätAm Beispiel Lützerath: Ohne das schon erwähnte Erbe des fossilen Kapitalismus wäre die Situation dort so nicht denkbar. Sie beruht nicht nur darauf, dass die Politik (hier allerdings nicht die Grünen) viel zu lange auf Öl, Gas und eben auch Kohle gesetzt hat. Zu den tieferen Gründen für das Schlamassel zählt auch, dass die Energieversorgung als ein zentraler Teil der Daseinsvorsorge in der Vergangenheit in die Hände privater Konzerne wie RWE gelegt wurde. Ein Kardinalfehler der neoliberalen Epoche, den Grüne eigentlich nicht achselzuckend hinnehmen sollten.Aber was heißt das in der konkreten Situation? War es nicht doch ein Erfolg, der Eigentümerin RWE wenigstens einen Teil ihrer Schürfrechte abzuverhandeln? Mona Neubaur und Robert Habeck werden es genauso sehen. Was sie aber übersehen, ist: Eine grüne Partei, die sich ihrer einst fundamentalen Haltung zum Vorrang des Klimaschutzes erinnern würde, hätte auf einer grundlegenden Neubewertung der Lage bestehen müssen, nachdem das Bundesverfassungsgericht der Politik eine konsequentere Gangart beim Klimaschutz auferlegt und nicht nur ein Gutachten erhebliche Zweifel an der Notwendigkeit eines so umfangreichen Braunkohleabbaus geweckt hatte. Einem neuen Dialog aller Beteiligten, wie ihn zum Beispiel Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung forderte, hätte sich unter entsprechendem öffentlichen Druck auch so ein großer Konzern wie RWE kaum entziehen können.Stattdessen ergingen sich Regierungsgrüne in Hinweisen darauf, dass RWE nun einmal das gerichtlich bestätigte Recht besitze, zu baggern. Aber dieses Recht selbst gehört zu jener fragwürdigen Realität, der sich eine grüne Partei entgegenstemmen müsste. Nicht weil die formale Gültigkeit anzuzweifeln wäre, Deutschland hat keine Willkürjustiz. Sondern weil es noch eine andere, durch Klimaabkommen oder das Verfassungsgerichtsurteil bestätigte Legitimität gibt, die der Genehmigung entgegensteht. Juristisch wird sie nicht reichen, den Kohleabbau zu kippen. Aber politisch wäre es eigentlich eine Pflicht der Grünen, sich genau darauf zu berufen und den Druck auf RWE zu erhöhen.Apropos Recht: Erinnert sich jemand an Wackersdorf? An dem bayerischen Ort (übrigens eine Neuansiedlung, deren Vorgängerin um 1950 dem Braunkohleabbau weichen musste) sollte einst eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage entstehen. Der Plan scheiterte 1989 nach heftigen Protesten unter anderem der Grünen. Auf deren Homepage ist noch heute zu lesen: „Was für eine Bestätigung, dass sich jahrelanger, hartnäckiger Einsatz vieler Aktiver schließlich auszahlt!“ Kleiner Hinweis am Rande: Natürlich bestand in Wackersdorf bereits Baurecht, als die Grünen dort demonstrierten.