Angelo Scholz: Bundeskanzler kann mit merkelesker Schlafmittel-Performance nur scheitern
Krise Der Bundeskanzler Olaf Scholz versucht seine Vorgängerin Angela Merkel zu imitieren. Doch auch das dritte Entlastungspaket zeigt: Seine Koalition verkennt den Ernst der Lage
Im Juni 2009 gab die amtierende Kanzlerin Angela Merkel vor der Bundestagswahl folgende Botschaft zum Besten: „Die Menschen können sich auf mich verlassen.“ Einen Wahlkampf später, im September 2013, hatte die CDU-Vorsitzende ihren wichtigsten Werbeslogan auf eine noch prägnantere Form reduziert: „Sie kennen mich.“ 2018 folgte, weniger bekannt, eine weitere Plattitüde: „Deutschland, das sind wir alle.“
Gemeinsam ist allen drei Zitaten, dass sie für eine ganz bestimmte Idee vom Verhältnis zwischen dem politischen Personal und der sonstigen Bevölkerung standen. Das wäre nicht mehr der Rede wert, säße jetzt nicht Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt. Der glaubt wohl bis heute, in der Rolle des Merkel-Imitators k
tators könne er am besten überzeugen. „You’ll never walk alone“, „zusammenstehen“ und „untergehakt“ lauten die verbalen Spitzenreiter eines Wortfindungssystems, das knallharte Krisen und die damit verbundenen Verteilungsfragen auf eine Art Mannschaftssport reduziert, bei dem ein williges Team seinem Trainer geschlossen Gefolgschaft leistet.Nicht dass er die von Wladimir Putin entscheidend beschleunigte Eskalation multipler Krisen verschweigen würde, das wäre dann doch zu offensichtlich daneben. An einem Kernelement des Merkelismus aber hält Olaf Scholz unbeirrt fest: den Menschen weiszumachen, das bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftssystem und die damit verbundenen Lebensweisen ließen sich mit ein paar Reparaturen im Prinzip aufrechterhalten.Das lässt sich sowohl an den Inhalten der „Entlastungspakete“ ablesen, deren drittes gerade beschlossen wurde, als auch an der Form, in der der Kanzler die Kompromisse der Ampelkoalition verkündete.Gewiss enthalten Paket Nummer drei und seine Vorgänger auch Vernünftiges. Dass auch Rentnerinnen und Rentner jetzt wenigstens eine Einmalzahlung erhalten, ebenso wie Studierende, gleicht immerhin eine „Eselei“ der bisherigen Beschlüsse aus. Dass sich wenigstens bei Stromproduzenten eine Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ abzeichnet, ist angesichts der von Christian Lindners FDP betriebenen Blockaden gegen eine Übergewinnsteuer ein Fortschritt. Selbst ein „Bürgergeld“ genannter Hartz-IV-Satz von 500 Euro ist mehr als zunächst erhofft, wenn auch längst nicht genug.Aber all das sind, wie gesagt, Reparaturen. Mit einem Versuch, die vom Krieg des Aggressors Wladimir Putin wohl endgültig erzwungene Energiewende zum ökologisch-sozialen Systemumbau zu nutzen, hat es wenig zu tun. Nicht einmal ein auf Dauer gestelltes System von „Energieschecks“, die das Sparen vor allem am unteren Ende der Einkommensskala belohnen würden, bringt diese Regierung zustande, vom „Gaspreisdeckel“ gar nicht zu reden – den will sie in irgendeiner Expertenkommission diskutieren lassen. Die Gasumlage, in einer Art umgekehrtem Gießkannenprinzip bei allen Haushalten kassiert, ist viel ungerechter, als es ein Ausgleich für explodierende Importpreise aus Steuermitteln wäre.Für die BesserverdienendenImmer noch hat die Ampel stattdessen Milliarden übrig, um die „kalte Progression“ in einer Weise zu dämpfen, bei der die Bestverdienenden in absoluten Zahlen am meisten profitieren. Von einer Steuerreform, die große Vermögen und Einkommen oder auch Erbschaften stärker zur Finanzierung der drängenden Staatsaufgaben heranzieht: kein Wort.All das „verkauft“ der amtierende Bundeskanzler mit einer merkelesken Rhetorik, als glaubte er immer noch, die Menschen einschläfern zu können. Schon um das zu verstehen – und Scholz’ zwangsläufiges Scheitern in dieser Rolle –, lohnt der Blick zurück auf die Methode Merkel.Sie funktionierte in etwa so: Die Kanzlerin präsentierte sich als Person des allgemeinen Vertrauens, hinter der ihre konkrete Politik weitgehend verschwand. Das Ganze lässt sich also als entpolitisierte Form politischer Führung beschreiben: Wenn es die Leute nicht so genau wissen wollen, umso besser. Es reichte, wenn die Kanzlerin den Eindruck vermittelte, sie halte den Laden schon am Laufen, ohne dass sich für die Einzelnen allzu viel änderte.So fiel kaum auf, dass Merkel wichtige Themen wie die eskalierende Klimakrise, die stockende Digitalisierung oder auch internationale Konflikte immer nur so weit bearbeitete, dass zweierlei gewährleistet war: Trotz aller Kompromisse wie des Mindestlohns durfte die neoliberale Hauptrichtung nicht gestört werden (siehe nur den Widerstand gegen eine harte ökologische Regulierung der Autoindustrie). Und die Illusion, „wir alle“ könnten weitermachen wie bisher, musste erhalten bleiben.Bis zum Herbst der Geflüchteten hat das ziemlich gut funktioniert. Danach stand die Kanzlerin bei vielen auch noch als Ikone einer liberalen Migrationspolitik da, trotz EU-Türkei-Abkommen, trotz stetiger Verschärfungen des Asylrechts. Was alles liegen geblieben war in 16 Jahren Kanzlerschaft, wurde einer breiten Öffentlichkeit erst bewusst, als es diejenigen zur Kenntnis nahmen, die noch kurz davor Lobeshymnen auf die Anführerin der freien Welt gesungen und geschrieben hatten.Olaf Scholz stört das wenig. Woher der Kanzler die Vorstellung holt, dass seine merkeleske Schlafmittel-Performance in diesen Zeiten weiterwirken könnte, ist ein Rätsel. Eine Bevölkerung, von der politischen Führung mit paternalistischem Unterton als „verunsichert“ beschrieben (so der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich), wird sich damit kaum ruhigstellen lassen. Denn sie ist nicht nur „verunsichert“, sondern erkennt in wachsender Zahl die Unzulänglichkeit der Politik, die sich hinter der Belehrungsrhetorik verbirgt.Grund zum Protest ist durchaus vorhanden. Es wäre die Aufgabe der gesellschaftlichen und parteipolitischen Linken, ihn nicht den Rechtsextremen zu überlassen. Olaf Scholz sollte daran gelegen sein, dass das gelingt, denn ein lebendiger demokratischer Diskurs – auch außerhalb des Parlaments – ist ja wohl zentraler Bestandteil jener Demokratie, die er verteidigen will. Stattdessen aber stellte er Protestierende pauschal unter Verdacht, als er bei der Präsentation des dritten Entlastungspakets sagte: „Wenn einige damit nicht einverstanden sind und die Formeln von Putin rufen, dann sind es eben einige.“Es ist höchste Zeit, dem Kanzler zu zeigen, wie viele Menschen in diesem Land „nicht einverstanden“ sind. Und zwar ohne „die Formeln von Putin zu rufen“.