Partei-Ausschluss von Sahra Wagenknecht unvermeidlich

Meinung Sahra Wagenknechts Rede im Bundestag zeigt deutlich, dass sie sich Beschlüssen der Linkspartei nicht verpflichtet fühlt. Wagenknecht und ihre Gefolgschaft haben eine eigene Agenda
Sahra Wagenknecht im Bundestag (Archiv)
Sahra Wagenknecht im Bundestag (Archiv)

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Ist es vernünftig, kontrovers über Sinn und Nutzen der Sanktionen gegen Russland zu diskutieren? Ja, ganz bestimmt, und die Bundestagsdebatte zur Energiekrisen-Politik am Donnerstag wäre ein guter Anlass gewesen. Gerade für eine Partei wie die Linke. Sie könnte schließlich die Kraft im Land sein, die sich der Mühe unterzieht, sich einerseits eindeutig an die Seite der völkerrechtswidrig angegriffenen Ukraine zu stellen und andererseits die eklatante soziale Schieflage der deutschen Regierungspolitik zu attackieren.

Wie gesagt, die Linke könnte. Aber sie kann oder will nicht. Jedenfalls nicht, wenn die Fraktion (offenbar gegen einigen Widerstand in den eigenen Reihen) die Abgeordnete Sahra Wagenknecht in die Debatte schickt. Alle Beteiligten hätten wissen können, dass Wagenknecht den Versuch ihrer Partei mutwillig zerstören würde, den Einsatz für die bei uns Benachteiligten mit einer klaren Haltung zu Putins Verbrechen zu verbinden.

Vor gerade mal drei Monaten hat der Linken-Parteitag einen Antrag beschlossen, in dem dieser Versuch einer differenzierten Beurteilung festgeschrieben war. „Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands und die von Russland begangenen Kriegsverbrechen aufs Schärfste und setzen uns für eine Bestrafung der Verantwortlichen ein. Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen“, heißt es dort. Und später: „Statt Rüstungsexporten und Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete – die eskalieren und in die falschen Hände geraten können – müssen nichtmilitärische Möglichkeiten erweitert werden: Sanktionen müssen sich gegen Putins Machtapparat und den militärisch-industriellen Komplex und damit gegen die Fähigkeit zur Kriegsführung richten.“ Es folgen Forderungen zum Umgang mit der Energiekrise in Deutschland: Übergewinnsteuer, Gaspreisdeckel und schnellerem Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Lippenbekenntnis von Sahra Wagenknecht

Daraus hätte sich genug Stoff ergeben für Kritik an der Ampelregierung, und ein Teil von Wagenknechts Rede widmete sich tatsächlich den schwerwiegenden Folgen einer sozial unausgewogenen Krisenpolitik. Ein Leichtes wäre es auch gewesen, sich mit der Ausgestaltung von Sanktionen kritisch-differenziert zu beschäftigen, das tut ja der Parteitagsbeschluss auch. Nicht aber Sahra Wagenknecht: Sie nimmt, sicher gezielt, das Wort „Wirtschaftskrieg“ in den Mund und beschuldigt noch dazu Deutschland, ihn „angezettelt“ zu haben. Sie lässt damit ihre eingeschobene Aussage, Putins Krieg sei „natürlich“ ein Verbrechen, auf das Format eines Lippenbekenntnisses schrumpfen. Nach dem Motto: Krieg macht der Westen ja auch, nur halt „Wirtschaftskrieg“.

Hier noch einmal zum genauen Nachlesen der entsprechende Auszug: „Wir haben wirklich die dümmste Regierung in Europa, wenn man sich das anguckt. Aber nicht nur, dass Sie zu feige sind, sich mit den Krisengewinnern anzulegen, das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen. Ja, natürlich ist der Krieg in der Ukraine ein Verbrechen. Aber die Vorstellung, dass wir Putin dadurch bestrafen, dass wir Millionen Familien in Deutschland in die Armut stürzen und dass wir unsere Industrie zerstören, während Gazprom Rekordgewinne macht – ja, wie bescheuert ist das denn?“ Im Protokoll folgt der Hinweis „Beifall bei der Linken und der AfD“.

Nebenbei bemerkt: Mit dem Spruch von der „dümmsten Regierung“ beleidigt Wagenknecht eher ihre eigene Intelligenz, über die sie ohne Zweifel verfügt. Eine geschulte Linke wie sie würde, ginge es halbwegs um die Sache, nie und nimmer mit der Kategorie Dummheit argumentieren, sondern mit Wirtschaftsstrukturen und der (tatsächlich im Übermaß vorhandenen) Rücksicht der Regierenden auf die Interessen des Kapitals. Das ist sogar Wagenknecht-Fans wie dem Autor des Portals „Nachdenkseiten“ aufgefallen, wahrscheinlich deshalb, weil sie sich täglich darin üben, jede politische Kraft außerhalb des Wagenknecht-Lagers als Büttel des Kapitals und der Nato zu entlarven. „Die Motivation der Regierung ist vermutlich nicht ,Dummheit‘, sondern deren Handeln erscheint zielgerichtet“, hielt der Autor der eigenen Ikone entgegen. Die natürlich ansonsten eine „wichtige Rede“ gehalten habe.

Bruch in der Linkspartei

Ja, in einer Hinsicht war die Rede tatsächlich wichtig: Sie lieferte den Beweis, dass der Versuch der Mehrheit bei den Linken, das Wagenknecht-Lager auf Loyalität gegenüber eindeutigen Parteitags-Beschlüssen zu verpflichten, zumindest vorerst krachend gescheitert ist. Wagenknecht und ihre Gefolgschaft haben eine eigene Agenda, und ob sie zu der Partei passt, die sie nur noch als Plattform zum Erregen öffentlicher Aufmerksamkeit nutzen, interessiert sie einen Dreck. Es ist eine Agenda, die darauf zielt, der AfD den Teil der Wählerschaft abspenstig zu machen, der für plumpe Elitenschelte („dumm“) und für eine im Kern nationalistische Sozialpolitik anfällig ist, bei der der linke Kerngedanke der internationalen Solidarität (etwa mit den Menschen in der Ukraine) keine Rolle mehr spielt.

Irgendwann könnte dieser Wagenknecht-Auftritt im Rückblick als der Moment betrachtet werden, der endgültig klargemacht hat: Der Bruch ist nicht mehr zu vermeiden. Es hat aus dem Teil der Linkspartei, der die Wagenknecht-Tiraden nicht mehr dulden will, die Forderung nach Ausschluss aus der Fraktion gegeben. Das wäre riskant, Wagenknecht hat ja ihre Anhängerschaft. Aber es wäre wohl auch das Mindeste, um die Linke als solidarische und freiheitliche Kraft erkennbar zu machen, die das Land dringend braucht.

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