Frank-Walter Steinmeier sagt über seinen Vorsitzenden Sigmar Gabriel: „Natürlich kann er Kanzler.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sekundiert dem Außenminister: „Seine erfolgreiche Politik in der Bundesregierung prädestiniert ihn dafür, unser Kanzlerkandidat zu sein.“ Irgendwie klingt es, als lobten sie Gabriel lustig zum Kanzler-Könner hoch, weil bei seinem Verzicht sonst jemand anderes in das ziemlich aussichtslose Rennen gehen müsste.
Den Titel „Spaßvogel 2015/16“ haben Steinmeier und Oppermann allerdings nicht verdient. Er gebührt Nils Schmid aus Stuttgart. Das ist der erste Mensch auf Erden, der die Sozialdemokratie als Juniorpartner in eine grün-rote Landesregierung führen durfte. Am 13. März wird in Baden-Württemberg wieder gewählt, und Schmid hat sich einen humorvollen Wahlslogan ausgedacht: „Wer mit Angela Merkel sympathisiert … kann am 13. März eigentlich nur SPD wählen.“ Der witzige Genosse wollte damit eigentlich nur erläutern, dass der CDU-Spitzenmann Guido Wolf den „Seehofer für Arme“ gebe und deshalb auch für Merkel-Fans nicht wählbar sei. Allerdings bedeutet der Appell im Umkehrschluss auch: Wer nicht mit Merkel sympathisiert, muss sich eine andere Alternative suchen als die SPD. Und da hat Nils Schmid leider Recht. Ganz im Ernst.
Damit ist das gar nicht lustige Dilemma angesprochen, in dem sich die SPD im Jahr vor der nächsten Bundestagswahl befindet – und zwar nicht nur, aber auch aus eigenem Verschulden: Niemand erkennt sie als Alternative. Schon objektiv ist die Lage schwierig. Der europäische Rechtspopulismus begegnet berechtigten wie übertriebenen Globalisierungsängsten nicht nur mit nationalen Wiederauferstehungsfantasien. Er macht der Sozialdemokratie auch eines ihrer traditionell wichtigsten Themen streitig, indem er den nach außen abgeschotteten Nationalstaat als Garanten der sozialen Sicherheit verkauft. Das hat in Polen entscheidend zum Wahlerfolg der PiS-Demagogen beigetragen.
Gerade jetzt, da die Flüchtlingsfrage die Debatte beherrscht, scheint es in Ländern wie Polen, Frankreich oder auch Deutschland nur noch darum zu gehen, die „Mitte“ gegen rechts außen zu verteidigen. So jedenfalls stellt es sich weiten Teilen der Öffentlichkeit dar, und so wird es leider in vielen Medien dargestellt. Links dagegen ist Ebbe, denn zur Mitte zählen sich Konservative wie Sozialdemokraten gleichermaßen – womit sie den Eindruck, sie seien ohnehin kaum voneinander zu unterscheiden, noch befördern.
Nach dieser Logik ist klar: Den Kampf kann nur Angela Merkel gewinnen. Sie ist es schließlich, die unverdrossen „Wir schaffen das“ ruft, während der SPD-Vorsitzende mit seinem Parteitag darum ringt, ob er den Rechtspopulisten wenigstens ein bisschen entgegenkommen und auf „Begrenzung“ plädieren darf. Dass beide zusammen – Union und SPD – erst einmal das Asylrecht massiv verschärft haben, scheint niemanden zu interessieren. Dieselbe Kanzlerin, die aus dem grün-links-liberalen Lager Ergebenheitsadressen für ihre Offenheit einsammelt, rühmt sich als CDU-Vorsitzende per Parteitagsbeschluss der „härtesten Verschärfung des Asylrechts seit 20 Jahren“, will Afghanen abschieben und die Familienzusammenführung erschweren – aber Protest kommt fast nur noch von der Hilfsorganisation Pro Asyl.
Aber auch von links sieht sich die Sozialdemokratie unter Druck, zumindest in Teilen Europas. In neuen Bewegungen und Parteien wie Podemos und Syriza organisiert sich die Unzufriedenheit darüber, dass sich auch Sozialdemokraten seit Jahren dem neoliberalen Politikmodell und damit jener amorphen politischen Klasse angeschlossen haben, die als sich selbst genügendes System des Immergleichen empfunden wird. In Deutschland sind neue Politikangebote dieser Art allerdings nicht in Sicht, und ob die Linkspartei aus ihrer Geschichte und ihren internen Kämpfen heraus deren Platz einnehmen wird, ist fraglich. Aber gerade darin könnte für die SPD eine Chance stecken, dem Schicksal der spanischen PSOE, der griechischen Pasok oder des polnischen SLD zu entgehen: Sie läge in dem Versuch, sich (wieder) zu einer modernen, auch für unzufriedene bürgerliche Schichten anschlussfähigen Alternative von links zu entwickeln.
Wie gesagt: auch für bürgerliche Schichten. Gabriel hat ja Recht, wenn er sein Heil nicht nur in den klassisch linken (und schrumpfenden) Wählermilieus sucht, sondern auch bei der vielzitierten Mitte. Aber er begeht den Fehler, die politische Mitte mit der gesellschaftlichen zu verwechseln. Und deshalb sucht er sein Heil in der Anpassung an den modernisierten, mittigen Konservatismus à la Merkel.
Linke Projekte wie der Mindestlohn, für die Steinmeier und Oppermann den Vorsitzenden loben, helfen wenig, wenn man sich bei Mitte-Themen wie Vorratsdatenspeicherung oder Kohlekraftwerken von der Union nicht unterscheidet – und beim Freihandelsabkommen TTIP einen Eiertanz nach dem anderen aufführt. Sich hier dem bis weit in die gesellschaftliche Mitte verbreiteten Protest ohne Wenn und Aber anzuschließen – das wäre nicht nur in der Sache geboten, sondern böte Anschluss an neu erwachende Bewegungen auch in der deutschen Gesellschaft. Sigmar Gabriel hat im Dezember eingeräumt, er habe seiner Partei „einiges zugemutet“. Ihren Gegnern müsste er endlich einmal etwas zumuten!
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