Manchmal sind die Dinge ganz einfach: „Es kommt darauf an, unsere Soldatinnen und Soldaten mit Material auszustatten“, hat Annegret Kramp-Karrenbauer vor ein paar Wochen im Bundestag gesagt. „Die Initiative Einsatzbereitschaft (…) wird auch weiter ein dickes Brett bleiben.“
Da ist der CDU-Vorsitzenden und Bundesverteidigungsministerin nur schwer zu widersprechen: So ein bisschen Einsatzbereitschaft tut jeder Armee ganz gut. „Seit fast 20 Jahren beabsichtigt die Bundeswehr, einen speziellen Pionierwerkzeugsatz zu beschaffen, und seit 20 Jahren ist er immer wieder herunterpriorisiert worden“, klagte „AKK“ damals. „Damit muss Schluss sein.“
Nun ist natürlich das Pionierwerkzeug nicht der allerwichtigste Grund dafür, dass der Haushalt des Verteidigungsministeriums mitten in der Corona-Krise um 1,3 Milliarden auf 46,9 Milliarden Euro steigen soll. Wichtiger sind ganz andere Werkzeuge, sowohl technischer als auch politischer Art.
Es geht um neue Systeme, zum Beispiel bewaffnete Drohnen. Es geht um den offenbar wichtigsten Wert in der „Wertegemeinschaft“ Nato: das Ziel, in unverbrüchlicher Bündnistreue zu den USA zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für das Militär auszugeben (oder zumindest so viel, dass die Richtung „stimmt“). Und hinter all dem steckt die Frage, wie Europa und Deutschland sich künftig im transatlantischen Verhältnis positionieren.
Zunächst zu den Drohnen: In der vergangenen Woche kam es zu einem zeitlichen Zusammentreffen, das zwar dem Zufall geschuldet war, aber die Gemengelage treffend illustriert. Mittwoch sagte Kramp-Karrenbauer im Bundestag: „Wir sind für die Bewaffnung von Drohnen, damit wir unsere Soldatinnen und Soldaten schützen können.“ Donnerstag sprach das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein Urteil, in dem es um die ganz andere Seite des Drohnenkrieges ging.
Aktionstag für Abrüstung
Noch kann „AKK“, wenn sie „wir“ sagt, nicht offiziell für die ganze Regierung sprechen. Noch wartet eine erste Geldanforderung des Ministeriums beim Kollegen Finanzminister Olaf Scholz auf Freigabe. Noch wird die CDU-Chefin wohl ein wenig zusehen müssen, bis der längst bröckelnde Widerstand in der SPD gegen die Bewaffnung unbemannter Flugkörper endgültig zusammenbricht. Denn während einflussreiche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wie die Wehrbeauftragte Eva Högl und der altgediente Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu unter strengen Einsatzbedingungen zustimmen wollen, sind zumindest die Parteilinken noch nicht weichgekocht.
Der Berliner Landesverband hat gerade per Parteitagsbeschluss Nein gesagt, Gleiches gilt für das parteiinterne Forum Demokratische Linke oder etwa den Finanzpolitiker Lothar Binding, der auch für die „Arbeitsgemeinschaft 60 plus“ spricht. Das sind sicher nicht die wichtigsten Gremien der SPD. Aber sie können sich auf einen klaren Satz des heutigen Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich berufen: „Der Einsatz bewaffneter Drohnen verwischt den Unterschied zwischen Krieg und Frieden und droht, die Hemmschwelle zur Anwendung militärischer Gewalt zu senken.“
Das Zitat stammt aus dem Sommer 2013, damals war die SPD in der Opposition und im Wahlkampf. Ob die Partei als Ganze auch im Jahr 2021 noch dazu stehen wird, ist fraglich. Denn sie befindet sich ja tatsächlich in einem Dilemma: Innerhalb der militärischen Logik, nach der internationale Truppeneinsätze ablaufen, ist Kramp-Karrenbauers Hinweis auf den Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten nicht so leicht zu widerlegen. Sicher kann es Situationen geben, in denen ein Angriff verhindert werden kann, wenn die Drohne, die eine „feindliche“ Raketenbatterie ortet, auch bewaffnet ist. Wer gegen Kampfdrohnen ist, muss also auch über die Kriege sprechen, für die sie scheinbar so zwangsläufig benötigt werden.
Fände die Sozialdemokratie den Mut dazu, hätte sie durchaus wichtige zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure auf ihrer Seite: An diesem Wochenende findet in Berlin der „Aktionstag für Abrüstung und Entspannungspolitik“ statt, zu dem Friedensinitiativen, Gewerkschaften, Naturschutzverbände und der Deutsche Kulturrat gemeinsam aufrufen. Eine ihrer Forderungen lautet klipp und klar: „Die Bundeswehr darf nicht mit bewaffneten Drohnen ausgestattet werden.“ Eine SPD, die sich hier anschließen würde: Das wäre mal eine „große Koalition“ mit Zukunft.
Der Preis, den Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre Partei für die Zustimmung der SPD zur Drohnenbewaffnung zahlen, steht übrigens bereits fest: Sie versichern das Selbstverständliche. In einem Papier des Verteidigungsministeriums vom Juli, das als Zusammenfassung vorangegangener Debatten gedacht ist, heißt es: „Der Einsatz … unterliegt völker- und verfassungsrechtlichen Grenzen sowie den Grenzen, die der Deutsche Bundestag durch den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet und die einzusetzenden Fähigkeiten mandatiert hat.“ Und selbstverständlich dürften nur „legitime militärische Ziele im Sinne des Humanitären Völkerrechts“ angegriffen werden.
Das mag ehrlich gemeint sein, aber es lässt außer Acht, dass es längst Beispiele gibt für die Dynamik, die neue technische Möglichkeiten wie die Drohnen im Militärbereich entwickeln können. Genau dazu passt das zweite Ereignis, das in der vergangenen Woche praktisch zeitgleich mit der politischen Debatte stattfand: Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig errang die Bundesregierung einen Sieg mit Beigeschmack.
Es ging um die USA, die mit ihren bewaffneten Drohnen offenbar das tun, was zu vermeiden Kramp-Karrenbauer verspricht: Sie verstoßen nach Ansicht vieler Juristinnen und Juristen gegen das humanitäre Völkerrecht. Jenseits militärischer Kampfhandlungen im eigentlichen Sinn werden mögliche „Feinde“ im globalen „Anti-Terror-Krieg“ gezielt getötet.
Ein Urteil mit Beigeschmack
In Leipzig unterlagen drei Jemeniten, die 2012 bei einem US-Drohneneinsatz Angehörige verloren hatten. Sie bezogen sich darauf, dass die Steuerung der Flugkörper über eine Relaisstation auf der US-Basis im rheinland-pfälzischen Ramstein erfolgt. Die Bundesregierung sollte sich konsequent dafür einsetzen, dass die Nutzung von Einrichtungen auf deutschem Boden für solche Quasi-Hinrichtungen ohne Verfahren und Urteile unterbleibt.
Das Gericht aber betonte, Berlin habe „eine Zusicherung der USA eingeholt, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit geltendem Recht erfolgen“, und das reiche aus. Aber ausgeräumt ist die Vermutung, dass der wichtigste transatlantische Partner die Kampfdrohnen für völkerrechtswidriges Töten nutzt, damit noch lange nicht. Eigentlich ein schlagendes Argument für diejenigen, die vor der Einführung dieser Technik warnen.
In der Mitteilung des Leipziger Gerichts findet sich auch noch ein Satz, der weit über das Drohnen-Thema hinausweist. Da geht es um die Frage, ob die Bundesregierung nicht die Vereinbarungen über die Nutzung von Ramstein durch die USA kündigen könnte, um Missbrauch ganz auszuschließen. Eine solche Maßnahme, so die Richterinnen und Richter, „musste die Bundesregierung wegen der massiven nachteilhaften Auswirkungen für die außen-, bündnis- und verteidigungspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht ziehen“. Sind diese „Belange“ also wichtiger als das Völkerrecht?
Wie Annegret Kramp-Karrenbauer das sieht, hat sie in den vergangenen Tagen sehr deutlich gemacht. „Ohne die nuklearen und konventionellen Fähigkeiten Amerikas können Deutschland und Europa sich nicht schützen“, sagte die Ministerin Mitte November vor Studierenden der Bundeswehr-Uni in Hamburg (der Freitag 48/2020). „Die Idee einer strategischen Autonomie Europas geht zu weit, wenn sie die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die NATO und ohne die USA gewährleisten.“
Die Grünen machen mit
Das wurde vor allem als Antwort auf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron verstanden, der ähnliche Äußerungen der deutschen Ministerin zuvor als „historische Fehlinterpretation“ bezeichnet hatte. In der Tat wird hier eine strategische Differenz deutlich, die sich als Auseinandersetzung über zwei unterschiedliche Aufrüstungskonzepte verstehen lässt. Macron hatte gesagt: „Wir müssen unsere Autonomie auch weiter für uns selbst aufbauen“, so wie die USA und China es ebenfalls täten. Kramp-Karrenbauer antwortete: „Wir haben ein besonderes Interesse daran, dass Amerika weiter an der Verteidigung Europas interessiert ist. (…) Nur wenn wir unsere eigene Sicherheit ernst nehmen, wird Amerika das auch tun.“
Ausdrücklich sprach die Ministerin vor den Hamburger Studierenden von einem „Systemwettbewerb“: „Einige Staaten stellen dem westlichen Modell der offenen Gesellschaft, der Demokratie und des Rechtsstaats ein anderes Modell entgegen, das mit unseren Werten in keiner Weise vereinbar ist.“ Das klingt eindeutig nach westlicher, transatlantischer „Wertegemeinschaft“, notfalls in Konfrontation gegenüber Ländern wie Russland.
Selbst die Grünen scheinen sich, Schwarz-Grün im Blick, in diese Richtung zu bewegen. „Es wäre gerade jetzt das falsche Signal, uns von den USA abzukoppeln“, hat ihre Vorsitzende Annalena Baerbock im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Das war wahrscheinlich eine wesentlich diskutablere Positionsbestimmung als Baerbocks interpretierbare Äußerungen über den Militäretat, auf die sich die Linkspartei sogleich mit Hingabe stürzte.
Von der Idee jedenfalls, mit einem neuen Anlauf zu europäischer Entspannungspolitik eine regionale Sicherheitsordnung inklusive Russland wenigstens langfristig anzustreben, ist weder bei Kramp-Karrenbauer noch bei Baerbock etwas zu spüren. Dieser Ansatz ist fast nur noch in der Linken zu Hause – er wäre allerdings noch überzeugender, wenn er nicht so oft mit einer ziemlich unkritischen Haltung gegenüber Moskaus aktueller Politik verbunden wäre.
Wie sieht sie also aus, die Sicherheitsstrategie der näheren Zukunft? Es mag Leute geben, die von Militäreinsätzen wie in Afghanistan oder Mali tatsächlich aus humanitären Gründen überzeugt sind. Es gibt sicher auch Leute, die ernsthaft glauben, Europas Sicherheit ließe sich durch astronomische Ziele für die Höhe der Rüstungsausgaben gewährleisten. Aber auch sie sollten auf die Wortwahl der Verteidigungsministerin achten. „Wenn unser Geschäftsmodell global ist, dann muss auch unsere Sicherheitspolitik global sein“, hat Annegret Kramp-Karrenbauer vor ein paar Wochen gesagt. Es geht also hochoffiziell vor allem um die Sicherung des „Geschäftsmodells“ Deutschland.
Wer erinnert sich noch an Horst Köhler? Ist es wirklich erst ein Jahrzehnt her, dass er wegen eines Halbsatzes über die militärische Sicherung „freier Handelswege“ vom Amt des Bundespräsidenten zurücktreten musste? Heute ist so etwas derart konsensfähig, dass es kaum noch jemand beachtet. Aber ob es um Drohnen geht oder um westliche Werte: Wer glaubt, mit der Union Sicherheitspolitik machen zu können, sollte ihre ideologischen Grundlagen nicht ignorieren.
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