Beim Gang zur Frankfurter Buchmesse vergangene Woche ließ sich der „Grand Tower“ nicht übersehen. Gerade haben sie Richtfest gefeiert an dem Wohnhochhaus, wo sich liquide Zuzügler und Investoren den Quadratmeter zum Durchschnittspreis von 8.700 Euro gönnen. Ganz oben, in fast 170 Meter Höhe, sind es rund 19.000 Euro.
Von hier aus kann man herabblicken auf ein altes Arbeiterviertel, das „Gallus“. Es ist eine der günstigsten Gegenden im Main-Metropölchen, aber längst ist der Luxus auch dort auf dem Vormarsch. Die soziale Polarisierung ist mit Händen zu greifen, aber Volker Bouffier, der Ministerpräsident von der CDU, lächelt unverdrossen von den Plakaten am Straßenrand. Am 28. Oktober wählt Hessen einen neuen Landtag.
Bouffier, Chef der schwarz-grünen Koalition im Land, versucht es mit der Methode Merkel: Die soziale Gärung wird mit Erfolgsmeldungen dekoriert. „So viele Lehrer wie nie“, steht auf den CDU-Plakaten, während die Eltern kaum ein anderes Thema kennen als Lehrermangel. SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel („Zukunft jetzt bauen“) schultert einen Dachbalken, als wollte er an die Lasten erinnern, die der gemeine Sozialdemokrat trägt. Mit dem Thema Wohnen ist er aber sicher näher an der Wirklichkeit als Bouffier.
Eigentlich könnte es spannend werden: Umfragen sagen den Schwarz-Grünen einen Verlust ihrer Mehrheit voraus, und Rot-Rot-Grün scheint rechnerisch nicht ausgeschlossen. Aber politisch?
Schon 2013, als Rot-Rot-Grün eine knappe Mehrheit gehabt hätte, fehlte den Beteiligten der Mut zur Macht. Das hat vor allem mit dem großen Trauma der Hessen-SPD zu tun: Vor zehn Jahren, Anfang November 2008, scheiterte die damalige Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti mit dem Versuch, sich mit rot-rot-grüner Mehrheit zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Das markierte auch bundesweit das vorläufige Ende aller Bemühungen, eine linke Alternative zum Merkel’schen Neoliberalismus auf die Beine zu stellen.
Vor fünf Jahren dann ließen auch die Hessen-Grünen lieber die Finger von Rot-Rot-Grün und entdeckten ihre Freundschaft zur einst besonders reaktionären Hessen-CDU. Seitdem verwaltet Schwarz-Grün das Land so, als sei politische Geräuschlosigkeit die höchste Form der Regierungskunst. Fluglärm, die schlechteste Bilanz aller deutschen Flächenländer beim Wohnungsbau, Lehrermangel: Hier und da werden Trostpflästerchen verteilt, aber Durchgreifendes geschieht nicht. Negative Ausnahme: Kürzlich wurde mit grüner Zustimmung der neue Staatstrojaner zur Online-Überwachung eingeführt.
Die SPD, immer noch gezeichnet vom Ypsilanti-Experiment, macht aus der Biederkeit ihres Spitzenkandidaten eine Art Programm: Gerhard Schröders altes Motto „Vieles besser, aber nicht alles anders machen“, scheinen sie als geeignetes Beruhigungsmittel für das Wahlvolk zu sehen – als böte sich damit die Chance, der AfD, die auch hier in den Landtag einziehen wird, die Verunsicherten und Unzufriedenen abspenstig zu machen.
Findet die SPD doch noch den Mut zu Rot-Rot-Grün, falls das Wahlergebnis es hergibt? Ausgeschlossen ist das nicht, aber eher unwahrscheinlich, zumal die Grünen in der Rolle des bürgerlich-liberalen CDU-Korrektivs offenbar die entsprechenden Wählermilieus zu mobilisieren verstehen.
Sollte Schwarz-Grün die Mehrheit verfehlen, ließe sich immer noch die FDP in die Regierung holen. Oder Schäfer-Gümbel, dem Platz zwei in Hessen ziemlich sicher ist, würde eine Ampel versuchen – auch das nicht gerade ein Zeichen radikalen Wandels. Wieder wäre eine Chance vertan, zu zeigen, dass es zum Weiter-so linke Alternativen gibt und nicht nur die „Alternative“ von rechts. Oder belehrt die Dynamik aus Bayern die Beteiligten doch noch, dass es so nicht weitergehen kann?
Kommentare 10
Gute Frage. DKP und MLPD kommen doch gar nicht in den Landtag.
Mal abgesehen von den Fallstricken (Wahlergebnis, Mainstreammedien-Shitstorm, potenzielle Umfaller*nnen bei SPD und Grünen): Die richtige Frage bezüglich RRG wäre doch, was eine solche Koalition – wäre sie an der Macht – bewirken könnte oder von sich aus würde.
Ziemlich mau aus sieht es hier eigentlich bei ALLEN Koalitionen, in denen die Linkspartei (nur auf die kommt es hier eigentlich an) als Partner mitgewirkt hat. Von Thüringen hört man nichts; die seinerzeitige RR-Koalition unter Wowereit in Berlin fabrizierte auch wenig mehr als Sozialkahlschlag, und wo die Linken noch so im Bund an der Macht sind, müsste ich aktuell erst via Google erkunden (was positiv heißt: zumindest tot stellen können sie sich mindestens so gut wie die Sozen-Kandidaten Schäfer-Gümbel und der Frankfurter OB Feldmann).
Unter den gegebenen neoliberalen Voraussetzungen würde RRG allenfalls als Gegentrimm-Modell Sinn ergeben. Das heißt: Wo irgendwo möglich, zielgerichtet kapitalistische Härten rausnehmen. Also: kommunale Beschäftigungsprogramme, sozialen Wohnungsbau in der Menge UND bei Vergaben / Mieten equalisieren, soziale Dienste streuen, zielgerichtetes Kultur-Sponsoring in die Richtung, »unten« die Laune zu heben.
Von all dem ist bei hellrot und grün nichts und bei dunkelrot wenig zu hören. Allenfalls kehren SPD und Linkspartei in mantrahafter Form hervor, wie viele neue Trabantenstadt-Wohnsilos sie neu hochziehen wollen. Inwieweit ein Bundesland an der Stellschraube Mietpreisbremse drehen kann, ist eh dahingestellt, so dass man's im Zweifelsfall immer auf den Bund abschieben kann. Kurz: Bei keiner der drei möglichen Kandidaten ist auch nur ein Bewusstsein dafür erkennbar, was ein Gegentrimmen gegen den neoliberalen Hauptkurs (respektive: sozialistisch-radikaldemokratische Politik im Kleinen) überhaupt heißt.
Wählen? Am besten wohl Linkspartei. Die werden eh nichts zu melden haben und bei der Umsetzung des Standardpakets wenigstens die meisten Skrupel.
>>Unter den gegebenen neoliberalen Voraussetzungen würde RRG allenfalls als Gegentrimm-Modell Sinn ergeben. Das heißt: Wo irgendwo möglich, zielgerichtet kapitalistische Härten rausnehmen.<<
Genau das kann nicht funktionieren, denn die Linke wird von den Agenda-2010-Parteien nur als Mehrheitsbeschaffer akzeptiert: Zurücknehmen der „Haltlinien“ bis auf null gegen Pöstchen.
Besser wäre es, die Linke würde versuchen ihr Profil als Opposition gegen das verheerende Wirken der Kapitalparteien zu schärfen. Mit ihrem Erfurter Programm hätte sie gute Argumente als Opposition. Und mit der Satzung, in der immerhin steht dass keine Spenden von Firmen angenommen werden. So könnte die PdL allmählich mehr Menschen um sich versammeln die mit ihren Zielen übereinstimmen. Mit dem schamhaften Verschweigen von Satzung und Programm, um potentielle Koalitionspartner nicht zu verärgern kommt sie aus dem 9-10%-Ghetto nicht heraus.
Ich hoffe das Rot- Rot-Grün in Hessen kommt! Der Nachbar Thüringen hat es doch erfolgreich gezeigt – und nur so kann die SPD ihre Glaubwürdigkeit wieder herstellen!
Das ist mir zu formal. Was genau wurde in Thüringen zum Beispiel sozial- gesundheits- umweltpolitisch bewegt?
25 neue Herausforderungen an die Thüringer Sozialpolitik | Verbandwww.paritaet-th.de › Verband
... alles braucht Zeit und das traue ich der jetzigen Regierung mehr zu als der CDU o. AfD!
siehe oben ... sorry!
Dass der paritätische Wohlfahrtsverband Forderungen erstellt sagt nichts über die Regierung aus. Der Verband hat schon oft Regierungen kritisiert.
Der PdL traue ich auch eher Milderungen des kapitalistischen Verarmungswirkens zu als CDU/CSU/“S“PD/Grün/FDP/“A“fD.* Die Kapitalparteien „S“PD und Grüne können aber gar nicht anders als dies zu blockieren, sonst verlieren sie die Gunst ihrer Lobbyisten.**
Gibt es Thüringen wenigstens Koalitionsvereinbarungen, die dem „Paritätischen“ ein Stückchen weit entgegen kommen? Der sprengt ja nicht die private Kapitalverwertung, sondern fordert entlang gegebener Machtverhältnisse Milderungen.
*Das geht schon aus der Satzung hervor, gemäss der sie sich nicht von Kapitalverwertern so direkt abhängig machen will wie die anderen Parteien.
**Und sie haben kein Problem damit, eine Koalition platzen zu lassen, weil sie sehr gut mit den C-Parteien und der FDP harmonieren. Die weitgehende Übereinstimmung hat sich ja schon in "S"PD/Grün-Bundesregierungungszeit gezeigt. Die Linke ist in so einer Koalition in einer wesentlich unkomfortableren Lage.
..."„S“PD und Grüne können aber gar nicht anders als dies zu blockieren, sonst verlieren sie die Gunst ihrer Lobbyisten.**" Stimmt, habe ich nicht bedacht.
>>Voraussetzung wäre also ein Umdenken bei den möglichen Koalitionspartnern weg vom "neoliberalen" Weg. Und da liegt der Hase im Pfeffer: Das muss vorher geschehen, und nicht nach einer Wahl.<<
Die Parteien schweigen vor der Wahl. Sie wollen sich alle Optionen offfenhalten. Und die Wählerschaft muss im Dunkeln ihr Kreuz setzen, wenn sie überhaupt Bock hat, eines zu machen. Wer grün wählt, rechnet mit diversen Kostellationen nach der Wahl. Das entspricht dem Denken des neugrünen Booms.