Dass Andreas Scheuer für das Amt des Bundesverkehrsministers ungeeignet ist, steht inzwischen in praktisch jedem Kommentar, der sich mit ihm beschäftigt. Selbst die FAZ titelte „Scheuers Scherbenhaufen“, nachdem der CSU-Politiker in der Nacht zum vergangenen Freitag im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu seinem legendären „Maut-Debakel“ aufgetreten war, und bei der Welt läuft er schon länger als „Pannen-Minister“.
Im Ausschuss hatte Scheuer zum letzten Mittel in Not geratener Politikprofis gegriffen: der Erinnerungslücke. Es ging um ein Angebot, das die als Mauteintreiber vorgesehenen Firmen nach eigener Aussage dem Minister gemacht hatten, bevor der Europäische Gerichtshof über die Rechtmäßigkeit des nationalen Maut-Alleingangs entschied: Sie hätten die Möglichkeit ins Spiel gebracht, so die Manager, die Verträge erst nach der Gerichtsentscheidung unter Dach und Fach zu bringen.
Die Unterzeichnung fand trotzdem statt, wenig später entschied das Gericht gegen die „Ausländer-Maut“ und Scheuer kündigte die fast noch druckfrischen Verträge – was dem Bund Schadenersatzforderungen der Betreiberfirmen in dreistelliger Millionenhöhe eingebracht hat. Klar, dass der Minister sich nicht erinnern kann, das Angebot einer Verschiebung mit derart teuren Folgen ausgeschlagen zu haben.
Nun sind sich also die kommentierenden Medien quer durch die politische Landschaft einig: Der CSU-Minister wäre längst weg, wenn sein Parteivorsitzender Markus Söder nicht so sehr mit Corona beschäftigt wäre. Und ganz sicher darf der Mann nach der nächsten Wahl nicht wieder mitmachen. Was, nebenbei bemerkt, auch für die anderen beiden CSU-Minister zutrifft, die sich allerdings freiwillig zurückziehen wollen: Horst Seehofer (Inneres) und Gerd Müller (Entwicklung). Womit Söder, ob als Kanzler oder nicht, vom Erbe seines Vorgängers Seehofer personell vollständig entlastet wäre.
So weit also die große Einigkeit bei so ziemlich allen außer dem „Pannen-Minister“ selbst. Aber worin genau bestehen eigentlich die Pannen?
Das Verrückte ist ja, dass der Mann aus Passau eigentlich passgenau zu der Politik passt, die von einer Großen Koalition unter Angela Merkel zu erwarten ist: Vorrang für deutsche Gaspedaleure und für die Industrie, die das rasende Volk mit ihren SUVs versorgt. Und, fast noch wichtiger: Privat geht vor Staat.
Scheuers marktliberale Kritikerinnen und Kritiker stören sich keineswegs an dieser ideologischen Grundausrichtung, im Gegenteil: Würde der Minister das neoliberale Programm exekutieren, ohne negatives Aufsehen zu erregen, hätten sie wohl nichts zu meckern. Nun aber droht er mit seinen unübersehbaren Skandalen die neoliberale Orientierung gleich mit zu diskreditieren – jedenfalls dann, wenn die breite Öffentlichkeit sich diesem ideologischen Kern irgendwann intensiver widmen sollte.
Andreas Scheuer steht mit seinem Politikverständnis in einer langen Tradition, die auch mit dem „Autokanzler“ Gerhard Schröder von der SPD nicht erst begann. Was die Autofreundlichkeit betrifft, zeigt sich gerade in Hessen, wie viel Rückgrat es eigentlich bräuchte, daran etwas zu ändern. Da soll mal wieder dem zunehmenden Verkehr ein weiteres Stück Autobahn hinterhergebaut werden, die A49. Die schwarz-grüne Landesregierung hält trotz massiven Protests an dem Neubau fest, während die Grünen im Bund mühsam vom Verhalten ihrer hessischen Freunde abzulenken versuchen, indem sie pauschal die Überprüfung aller Autobahnprojekte fordern. Daran, das Thema in Wiesbaden zur Koalitionsfrage zu machen, denkt in der „Klimapartei“ offensichtlich niemand.
Auch das Prinzip „Privat vor Staat“ hat keineswegs Andreas Scheuer erfunden. Schon Rot-Grün unter Schröder hatte Anfang der nuller Jahre entschieden, die Gebühr für die 2005 gestartete Lkw-Maut von privaten Firmen kassieren zu lassen. Weil das nicht so funktionierte wie gedacht, landeten der Bund und die Betreiberfirma Toll Collect in einem Rechtsstreit, in dem allein die Anwälte der Regierung mindestens eine Viertelmilliarde Euro kosteten. Scheuer ließ sich schließlich dafür feiern, diesen Zwist beendet zu haben – unter Verzicht auf mehrere Milliarden an Schadenersatz.
Das hat weder den CSU-Mann noch die Kanzlerin noch den Koalitionspartner SPD gehindert, der herrschenden Ideologie weiter zu folgen. Die Autobahnen insgesamt werden zwar nicht privatisiert, aber in eine „Infrastrukturgesellschaft“ überführt, die den Betrieb von Teilstücken unter 100 Kilometer an Private vergeben kann. Und bei der digitalen Infrastruktur sieht es nicht anders aus: „Neue Frequenzen nur gegen flächendeckende Versorgung“, so hieß noch im Koalitionsvertrag das Motto für die Vergabe neuer Mobilfunklizenzen. Jetzt soll eine staatliche Gesellschaft die Lücken füllen, die die privaten Betreiber wegen fehlender Renditeerwartungen hinterlassen.
Dass auch das aktuelle „Maut-Desaster“ mit dem fatalen Grundprinzip der Privatisierung von Daseinsvorsorge zu tun hat, liegt auf der Hand, schließlich wollte die Regierung trotz Toll Collect wieder das Kapital ins Boot holen. Neu an Andreas Scheuer ist nur, dass er sich womöglich sogar zu dumm angestellt hat, um später in der Branche eine lukrative Weiterverwendung zu finden.
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