Von wegen Klimaterrorismus: Widerstand in Lützerath ist Pflicht
Meinung Aktivist:innen stemmen sich gegen die Räumung des Dorfes Lützerath. Juristisch ist die Sache klar, der Energiekonzern RWE ist im Recht. Aber ziviler Ungehorsam ist trotzdem geboten. Es geht um mehr als Eigentum: um unsere Zukunft
Es gibt Zufälle, die sich schöner kaum erfinden ließen, zum Beispiel diesen: Einen Tag, bevor die polizeiliche Räumung des nordrhein-westfälischen Weilers Lützerath begann, gab eine unabhängige Jury ihre Entscheidung über das Unwort des Jahres bekannt. Es lautet: „Klimaterroristen“. Hier die polizeilich durchgesetzte Praxis einer Politik, die sich weigert, die formale Legalität ihres Handelns an der höheren Legitimität grundsätzlicher (Klima-)Ziele zu messen; dort eine Begleitmusik in Teilen von Politik und Medien, die den Widerstand gegen diese Praxis auf eine Stufe mit Mord und Zerstörung stellt. Das furchtbare Wort von der „Klima-RAF“, das der AfD-Imitator Alexander Dobrindt von der CSU gebraucht ha
hat, war von der Unwort-Jury ausdrücklich mitgemeint.Es verbirgt sich hinter diesen Tönen und erst recht hinter der Besetzung im Braunkohle-Revier eine durchaus ernsthafte Frage: Woher nehmen die Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung das Recht zum Widerstand gegen das Abbaggern der Kohle unter Lützerath? Geben nicht der Kompromiss von Bund und Land, der dem Energiekonzern RWE die Zerstörung des Dorfes erlaubt, und entsprechende Gerichtsurteile dem Staat jedes Recht zu dem Polizeieinsatz im Dienste von RWE?Luisa Neubauer bleibt gelassenZunächst: Die Klimabewegung ist klug genug, die Terrorismusvorwürfe nicht mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Ihre De-facto-Sprecherin Luisa Neubauer hat diese Klugheit am Tag vor Räumungsbeginn in einem bemerkenswerten Deutschlandfunk-Interview auf den Punkt gebracht: Der möglichen Versuchung, nun ihrerseits das staatliche Handeln als rechtlos oder gar terroristisch zu verunglimpfen, gab sie an keiner Stelle nach. Sehr wohl wies sie auf Gutachten hin, die im Gegensatz zur Behauptung der Regierenden den energiepolitischen Bedarf an der Braunkohle unter Lützerath bestreiten. Aber Neubauer und mit ihr die ganze Klimabewegung wissen auch, dass diese Argumente vor Gericht nicht ausgereicht haben.Das vorausgesetzt, stellen sie allerdings die Frage der Rechtmäßigkeit in einer Weise, die wenigstens Grünen in den Regierungen von Bund und Land eigentlich zu denken geben müsste. „Wer gibt den Aktivisten jetzt das Recht, diesen politisch gefundenen Kompromiss zu blockieren?“, wollte der Deutschlandfunk-Moderator wissen, und Neubauer antwortete: „Na ja, das Pariser Klimaabkommen. (…) Das heißt, natürlich läge es an der Bundesregierung, eine Energiepolitik zu finden, die vereinbar ist mit dem Pariser Abkommen und ja auch mit dem, was das Verfassungsgericht uns zugesichert hat, nämlich: Wir haben ein Recht auf Klimaschutz, der vereinbar ist mit dem Pariser Abkommen.“Klimadebatte auf einer neuen EbeneNoch einmal: Formaljuristisch gibt es dieses Recht – und damit das Recht auf Widerstand in Lützerath – momentan nicht. Auch das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das künftigen Generationen das Recht auf Klimaschutz ausdrücklich zuspricht, dürfte nach Meinung von Expertinnen und Experten keine juristische Grundlage abgeben für das Verhindern konkreter Aktionen wie der Zerstörung des nordrhein-westfälischen Dorfes. Aber die Klimabewegung hebt die Debatte mit Recht auf eine andere Ebene: Nicht nur legitim, sondern dringend notwendig ist die Frage, ob nicht Widerstand geradezu Pflicht ist gegen eine Politik, die selbst dem Geist verpflichtender, wenn auch kaum zureichender internationaler Vereinbarungen wie des Pariser Abkommens Hohn spricht. Wenn irgendwann auch Gerichte wie das höchste deutsche noch einmal urteilen sollten, dass die Politik angesichts dieser höheren Rechtsgüter auch juristisch versagt hat, wird es für Lützerath wohl zu spät sein. Staatliche Daseinsvorsorge, das war einmalNicht unerwähnt bleiben sollte im übrigen, dass der von Grünen wie Robert Habeck und seiner nordrhein-westfälischen Kollegin Mona Neubaur mitverantwortete Kompromiss mit dem Energiekonzern RWE nicht zuletzt auf einem Rechtsgut fußt: dem Eigentum an dem Grund und Boden, unter dem die Kohle liegt. Auch hier zeigt sich eine fatale Eigenschaft des gegenwärtigen Kapitalismus: Was einst als Beitrag zur Daseinsvorsorge verstanden wurde – die Versorgung mit Kohle –, legte die herrschende Politik in die Hände eines privatrechtlich organisierten Konzerns.Jetzt, da weitsichtige Daseinsvorsorge gerade aus dem Verzicht auf den CO2-Treiber Kohle bestehen müsste und der konkrete Bedarf ohnehin infrage steht, würde selbst eine bessere Politik womöglich an eben dem Eigentumsrecht scheitern, das dem Konzern einst zugestanden wurde. Was Politik unter diesen Umständen erreicht, unterliegt der Freiwilligkeit des Eigentümers. Auch das gehört zu den Rechtsfragen rund um den Kohlekompromiss, den regierende Grüne so gern feiern: Lützerath als symbolisches Opfer für einen fossilen Kapitalismus, in dem die Bibel unserer Rechtsordnung, das Grundgesetz, allenfalls eingeschränkt gilt. Eigentum verpflichtet? Zum konsequenten Schutz unserer Lebensgrundlagen offensichtlich nicht.Von wegen „Klimaterrorismus“Nein, es ist kein „Klimaterrorismus“, einen symbolischen Ort mit zivilem und hoffentlich gewaltfreiem Widerstand gegen diese Verletzung der Rechte künftiger Generationen zu verteidigen. Es ist, ließe sich sogar sagen, nicht einmal besonders radikal. Schon öfter ist im Zusammenhang mit den Aktionen der „Letzten Generation“ darauf hingewiesen worden, dass die Klimabewegung sich fast schon brav innerhalb des bestehenden Systems bewegt, wenn sie die bestehenden politischen Institutionen und Verfahren nicht etwa infrage stellt, sondern an sie vergleichsweise bescheidene Forderungen stellt wie Tempo 100 auf Autobahnen. Und wer sich die Äußerungen der Aktivistinnen und Aktivisten in Lützerath anhört, muss nach Systemsprengern lange suchen.Der Gründer der Kampagnen-Plattform Campact, Christoph Bautz, hat in diesem Zusammenhang an den Philosophen John Rawls erinnert, den er mit folgenden Worten zitiert: „Ziviler Ungehorsam ist eine in der Öffentlichkeit stattfindende, gewaltfreie, gewissensbestimmte und gesetzeswidrige Handlung mit Appell- und Symbolcharakter.“ Und dann: „Menschen, die zivilen Ungehorsam anwenden, bringen durch die Gewaltfreiheit und Öffentlichkeit ihrer Handlung sowie durch die bewusste Inkaufnahme juristischer Folgen ihre grundsätzliche Anerkennung der politischen Ordnung zum Ausdruck.“So ist das auch mit den „Klimaterroristen“ von Lützerath: Den Auswüchsen des fossilen Kapitalismus stellen sie sich höchst verdienstvoll entgegen. Aber irgendwann werden sie sich auch die Frage nach der Legitimität einer Rechtsordnung stellen müssen, die die Verweigerung von „Zukunftspolitik“ (Luisa Neubauer) immer wieder legitimiert.
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