Führende Politiker des Westens sagen immer wieder, in der Ukraine ginge es auch um den Erhalt der „regelbasierten Weltordnung“. Diese sei sowohl durch Russland wie auch durch China bedroht. Der aktuelle Streit zwischen den USA und der EU um die Subventionierung von Klimaschutztechnologie zeigt allerdings: Bei dieser Weltordnung kommt es maßgeblich darauf an, welche Regeln gelten. Und vor allem: wessen Regeln.
Die fortschreitende Erderwärmung haben die Weltwirtschaftsmächte zum Anlass genommen, den Klimaschutz zu einem Ertüchtigungsprogramm für ihre Industrien zu machen, indem sie ihre Wirtschaft und Gesellschaft weitgehend elektrifizieren. Dieser industrielle Umbau erfordert Billionen Dollar an Ausgaben, die als „Investitionen“ einen fin
einen finanziellen Überschuss bringen sollen. Dies wird allerdings nicht allen Standorten gelingen – wie bei jedem Wettbewerb stehen am Ende Gewinner und Verlierer. Um zu den Gewinnern zu gehören, muss ein Standort Technologien entwickeln, die (erstens) funktionieren und (zweitens) „Marktreife“ haben – also kostengünstig sind. Drittens muss die Technologie als global geltender Standard durchgesetzt werden. Denn das erhöht die Chance auf die Ökonomisierung der Investitionen über weltweiten Verkauf. Daher zielt die Politik in den USA, der EU und China inzwischen nicht mehr bloß auf „Wettbewerbsfähigkeit“, sondern auf „technologische Führung“.Die US-Regierung hat ihre globale Technologieführerschaft zu einer Frage der „nationalen Sicherheit“ gemacht und die EU zu einer Frage der „europäischen Souveränität“. Angesichts dieser großen Titel ist es nicht überraschend, dass die Politik den Erfolg ihres industriellen Umbaus nicht den Geschäftskalkulationen der heimischen Unternehmen überlässt. Also werden die Regierungen aktiv, betreiben Industriepolitik und legen milliardenschwere Subventionsprogramme auf, um klimafreundliche Technologien zu einer rentablen Anlage für privates Kapital zu machen.So soll der europäische Green Deal Europas Unternehmen „zur globalen Technologieführerschaft verhelfen“, erklärte EU-Kommissar Frans Timmermans. Das Wording zeigt: Hier geht es um Macht.Um ihren Erfolg zu sichern, hat die US-Regierung mit dem Inflation Reduction Act (IRA) nicht bloß ein weiteres Multimilliarden-Dollar-Paket aufgelegt, sondern zusätzlich per Gesetz dafür gesorgt, dass in den USA beheimatete Unternehmen von den Geldern profitieren. Mit dem IRA treten die USA in direkte Konkurrenz zu Europa, nicht nur was die Klimatechnologie angeht, sondern auch die Beschaffung der nötigen Rohstoffe. „Kritische Rohstoffe von verlässlichen Partnern könnten rar werden“, mahnt das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW.Wen juckt schon die WTO?Die „Buy-American“-Klauseln des IRA, wonach Produkte aus dem Inland bevorzugt werden, dürften zwar den Regeln der Welthandelsorganisation WTO widersprechen. Doch das spielt für die US-Regierung keine Rolle. Zudem hat Washington bereits unter Donald Trump das WTO-Schiedsgericht handlungsunfähig gemacht. Damit demonstrieren die USA, dass sie sich als Garantiemacht der Weltordnung befugt sehen, die Regeln dieser Weltordnung nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Schließlich waren es in der Vergangenheit genau diese Regeln, „die die USA zu einer globalen Wirtschaftsmacht gemacht haben“, so die US-Juristen Scott Anderson und Chimène Keitner.Diese Demonstration des Wechselspiels von Macht und Recht wird in Europa verstanden. Die EU fordert von Washington daher nicht, den IRA endlich WTO-konform zu gestalten, sondern bloß, in den privilegierten Kreis jener aufgenommen zu werden, die von den US-Milliarden profitieren können. Diesen Kampf um die Rechtslage in den USA ergänzt sie um einen Kampf um die Rechtslage innerhalb der EU: Die Mitgliedsstaaten streiten derzeit darum, in welchem Maße es ihnen erlaubt sein wird, ihre je nationalen Industrien zu subventionieren und sich damit Vorteile gegenüber den anderen zu verschaffen. Die ökonomisch mächtigen EU-Staaten wollen dieses Recht gewährt bekommen. Die ökonomisch weniger mächtigen wollen die Rechtslage so gestalten, dass sie an der Macht der anderen partizipieren, etwa über gemeinsame EU-Verschuldung.Auch das zeigt: Der Kampf um die „regelbasierte Weltordnung“ ist identisch mit dem Kampf darum, wer die Regeln setzt – wer also ordnet und wer geordnet wird.