Mythen und Mutmaßungen über Marx

Die Buchmacher Ein neuer Band versucht, populäre Irrtümer über Marx zu korrigieren
Ausgabe 17/2018
Hatte Marx doch recht?
Hatte Marx doch recht?

Foto: Pixabay (CC0)

Hatte Kant doch recht? Oder Hegel? Oder Nietzsche? Die Beantwortung dieser Fragen dürfte ein breites Publikum weitgehend ungerührt lassen. Ganz anders bei „Hatte Marx doch recht?“. Die Antwort darauf spaltet auch 200 Jahre nach Karl Marx’ Geburtstag noch immer die Lager. Denn hier geht es nicht um reine Theorie, sondern um Praxis: Wer Marx zustimmt, der will die Gesellschaft grundsätzlich verändern. Und wer ihn verwirft, für den oder die gibt es nun ein neues Buch, das einige Irrtümer und Missverständnisse geraderückt.

Mythen über Marx ist ein in jeder Hinsicht leichtes Buch – leicht geschrieben, von geringem Gewicht und Format, es passt in die Hosentasche. 21 Behauptungen über Marx arbeiten die Autorinnen und Autoren nacheinander ab: dass es heute keine Klassen und Ausbeutung mehr gebe, dass Marx alles verstaatlichen wollte und Antisemit gewesen sei, dass er individuelle Freiheit gering schätzte und am Stalinismus schuld sei, dass er Geschlechterfrage und Ökologie ignorierte und den Untergang des Kapitalismus voraussagte.

Gegen die Behauptung, Beschäftigte würden heute in den reicheren Nationen nicht mehr ausgebeutet, stellt das Buch klar: Bei Marx ist „Ausbeutung“ keine moralische Kategorie, die besonders schlechte Arbeitsbedingungen beschreibt. Vielmehr ist sie ein analytischer Begriff, mit dem erklärt wird, wo der Profit herkommt – nämlich daher, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter länger arbeiten, als für ihren eigenen Lebensunterhalt eigentlich nötig ist. Ohne Ausbeutung daher kein Unternehmergewinn und kein Kapitalismus.

Zudem macht das Buch deutlich, dass Marx keineswegs nur die Industrie des 19. Jahrhunderts analysiert und dass die Erklärung von Finanzkrisen, Digitalisierung und Dienstleistungsgesellschaft ihn nicht überfordert hätte. Denn er untersucht den Kapitalismus als System, also in dem, was ihn grundsätzlich ausmacht. Marx bleibt damit aktuell, solange es Kapitalismus gibt. Und so lange gibt es auch die Klassen, die für Marx keine Kategorie der Spaltung in Arm und Reich waren, sondern mit denen er bloß die Gesellschaftsmitglieder einteilte nach ihren Einkommensarten: Lohn für die Arbeiter, Gewinn für die Kapitalisten, Rente für die Grundeigentümer.

Die Autorinnen gestehen zu, dass viele Sätze von Marx sich so lesen lassen, als hätte er das notwendige Ende des Kapitalismus prophezeit. Dass die Sache aber nicht ganz so einfach ist, das belegen sie mit verschiedenen Zitaten, die zeigen, dass Marx den Kommunismus zwar für eine gute, aber nicht unausweichliche Angelegenheit hielt.

Die Aufklärung gelingt den Autoren nicht immer gleich gut, was kein Wunder ist. 150 Jahre theoretische Debatten lassen sich nicht auf 134 kleinen Seiten entscheiden. Das Buch wendet sich daher weniger an theoriebewehrte Marxisten, sondern an jene, die Marx vor allem durch den populären Diskurs kennen. Auch für diese Lesenden bleiben nach der Lektüre zwar viele Fragen offen. Doch das Buch gibt jede Menge Hinweise, in welche Richtung man weiterforschen und -denken kann.

Marx hat viele Texte hinterlassen und seine Gedanken oft revidiert. Allein deswegen kann das Buch die Frage „Hatte Marx recht?“ nicht abschließend beantworten. Aber das ist kein Mangel. Denn die heiße Frage ist ja nicht, ob Marx unfehlbar war. Sondern ob der Kapitalismus eine feine oder zumindest alternativlose Sache ist. Dazu hat Karl Marx einiges gesagt, mit dem man sich beschäftigen sollte. Dieses Buch lädt dazu ein.

Info

Mythen über Marx. Die populärsten Kritiken, Fehlurteile und Missverständnisse Autor*innenkollektiv Bertz + Fischer 2018, 136 Seiten, 8 €

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