Ist die EU besser als ihre Nationalstaaten?

Andere EU möglich ? Persönliche Betrachtungen als Linker zu Europa und linken Positionen und Positionen der Linkspartei zu Europa

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Die „Integration Europas“ (der europäischen Nationalstaaten in Europa) kann vielleicht zu einem „linken Projekt“ gemacht werden, wenn die Völker die dabei mitmachen, das wollen und es „von Unten“ gewollt, erkämpft und getragen wird.

Die aktuelle EU ist kein „linkes Projekt“

Keiner der europäischen Nationalstaaten, die die EU tragen, ist ein linkes Projekt – was sollte sie motivieren, gemeinsam ein solches zu schaffen?

Die letzte halb-linke Regierung eines mächtigen EU-Staates, mit einigen Hoffnungen verbunden, Hollande, der als handzahmer Papiertiger sprang.....ist soeben voll als Bettvorleger im neoliberalem Lager gelandet. Von seiner „schmeiß die Roma alle raus“ - Politik einmal ganz abgesehen.

Die frühen Erbauer der EWG, Adenauer und de Gaulle, bauten in dem was sie taten und wollten, nicht auf dem theoretischen Fundament von SozialistInnen, linken SozialdemokratInnen, wie Karl Kautsky oder Rudolf Hilferding aus USPD – Zeiten auf.

Genauso wenig auf dem, von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

De Gaulle und Adenauer wollten weder ein anti-imperialistisches oder ein anti-militaristisches noch ein irgendwie egalitäres Europa. EWG ist mit Europäische Wirtschaftsgemeinschaft schon richtig benannt gewesen - und der Titel des recycelten Fernsehformats „EWG - Einer Wird Gewinnen“, erweist sich als treffsichere Weissagung.

Einige der mächtigsten EU Staaten sind außenpolitisch in vielen Teilen der Welt aktiv, um die dortigen politischen und ökonomischen Verhältnisse nach den Bedürfnissen der hiesigen nationalen, kapitalistischen Eigentürmerklassen zu gestalten. Das geschieht auch und zunehmend wieder mit militärischen Mitteln. Und keineswegs im europäischem Interessengleichklang. Deutschland wollte die Jugoslawien - Intervention, Frankreich und Großbritannien nicht. Frankreich wollte den Krieg in Libyen und Zentralafrika – Deutschland eher nicht.

Die EU dient nicht der Zähmung sondern der Bündelung und Effizienzsteigerung dieser militärischen und politischen (Droh- und Eingriffs) Potentiale und ihrer Anwendung.

Innenpolitisch (sozial-ökonomisch) erleben viele Menschen die EU als etwas, was ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechtert, teils existenziell bedroht. Die Institutionen der EU werden als noch viel unkontrollierbarer, als die „eigenen“ nationalen Parlamente erfahren. Viele EU-Institutionen sind von nationalen Regierungen ernannte Stellvertretergremien mit geringer demokratischer Legitimation.

Das EU—Parlament hat eine demokratische Legitimation, erfahren wird es jedoch von vielen, die es beobachten, häufig als teure parlamentarische Veranstaltung, Früh-Verrentungsplatz von Politikern, die man in ihren Nationalstaaten nicht mehr braucht, ein Haufen, der viel labert aber wenig zu sagen hat. Eine sicherlich überzogene Kritik, mit wahrem Kern.

Die sicherlich ehrliche Motivation, auch von de Gaulle und Adenauer, nie wieder Kriege europäischer Nationalstaaten gegeneinander haben zu wollen, ist nicht zu unterschätzen und ich halte das für den größten Erfolg dieser EU, der alten EWG, EG. Auch wenn das leider nicht die Ablehnung des „Krieges als Mittel der Politik“ , mit einschließt.

Maastricht bewirkte genau das, was seine linken Kritiker vorher befürchteten

Die niedrigsten Standards der europäischen Nationen bei Steuern, Sozialem, Regulierung von Märkten, öffentlicher Daseinsvorsorge und öffentlichem Eigentum, öffentlicher Infrastruktur, Löhnen...setzten sich durch.

Die nationalen ArbeiterInnenklassen wurden nicht stärker, sondern als Konkurrenten gegeneinander ausgespielt und geschwächt.

Die EU hat in den EU - Staaten Sozialdemontage und Rechtsentwicklung forciert.

Diese EU hat den Nationalstaat nicht fortschrittlicher gemacht, ihn tendenziell progressiv in etwas „Höherwertigem“ aufgehoben sondern reaktionärer geformt. Das Gesamtkonstrukt EU steht weder „links“ vom typischen EU-Nationalstaat noch beeinflusst es ihn irgendwie von links.

Das Gegenteil ist der Fall.

EU – mehr Gegner der „kleinen Leute“ als der alte Nationalstaat?

Da viele Menschen, je nach Region und Land unterschiedlich betroffen, die EU eher gegnerisch erleben, stärkt sie „Unten“ einen neuen Nationalismus. Daran sind aber kaum die Schuld, die die Fehler dieser EU aufzeigen und beheben wollen, sondern ihre Verursacher.

Über den Umweg der EU, haben die nationalen Kapitale die erkämpften Errungenschaften „ihrer“ jeweiligen nationalen ArbeiterInnenklassen erfolgreicher als im nationalen Rahmen bekämpfen können.

Bauernlegen und Krümmungsgrade von Bananen und Menschen

Ein paar weitere beliebige Themen: Das jahrzehntelange Bauernlegen, mit fast abgeschafften Landwirtschaften und LandwirtInnen in einigen europäischen Ländern, der Förderung von ökologisch und sozial unverträglicher Massenproduktion und Überproduktion. Im Agra-Industriellen Sektor, die Übermacht der Konzerne auch dort, von Nestle, Müller-Milch.... Monsanto. Mit dem (Über)Angebot entsprechend minderwertiger Nahrungsmittel.

Der Ruin landwirtschaftlicher Produktion, in Teilen der „Dritten Welt“.

Alles gefördert mit dem größten EU-Haushaltsanteil.

Wir kennen die berühmten EU-genormten Krümmungsgrade von Bananen und Gurken. Die Durchsetzung des umweltschädlichsten Beleuchtungsmittels aller Zeiten, nach der Petroleumlampe, die sogenannte Energiesparlampe....

Es gibt einige wenige Ausnahmen fortschrittlicher Rechtsprechung, z.B. die klare Verurteilung des Berufsverbots mit Wiedereinstellungs- -verpflichtung und Entschädigung für eine Lehrerin, die Mitglied der DKP war, in Westdeutschland.

Folgt daraus nun die regelmäßige Aufforderung an Deutschland, seine Berufsverbotsopfer endlich und vollständig zu rehabilitieren?

Endlich auch jene Opfer des „Kalten Krieges“ verantwortet von westdeutscher Seite im eigenen Land?

Nein, beim Thema Menschenrechte geht es weder um Rumänien oder Lettland oder Ungarn oder gar Deutschland. Die jährliche EU- Menschenrechts- Kuba-Resolution ist hingegen Standard.

Demgegenüber stehen ein Wettbewerbsrecht und Ausschreibungsrichtlinien, selbst für die kommunale Ebene, die direkt von den großen europäischen Konzernen hätten diktiert sein können. Viele kleine und mittlere Firmen werden daran noch zugrunde gehen. Und Kommunen in sehr zweifelhafte (Konzern)Abhängigkeiten gebracht werden.

Die Bertelsmann Stiftung hat z.B. an vielen dieser Reformpakete „mitgeschrieben“.

Die Kontrolleure von Bananen- und Menschenkrümmungsgraden gucken weg, wenn Roma und Sinti (und nicht nur ihnen) die inner- europäische Reise – und Niederlassungsfreiheit (schon seit langem) verwehrt wird. Oder wenn sie verfolgt und terrorisiert werden.

Das tödliche Grenzregime „Frontex“ ist kein Betriebsunfall der EU, sondern ihr von fast allen relevanten politischen Kräften gewolltes effektives Abschottungsinstrument.

Für mich stellen sich folgende Fragen:

- Ist die EU reformierbar?

Wenn ja

- Wer sind die (möglichen) Akteure einer linken, fortschrittlichen EU-Politik?

- Wie viel und wie Demokratie ist in solch großen politischen Einheiten möglich ?

Sind Verteilungskämpfe gegen das Kapital überhaupt noch im „kleinen“ Nationalstaat gewinnbar – Fähigkeit zum Generalstreik und zur mehrheitlichen Wahl linker Parteien (Klassenbewusstsein) vorausgesetzt?

Wenn ein Supra-Staat (oder Staaten-Verbund) in erster Linie die negativen Seiten seiner kleineren Vorgänger aufnimmt, bei verminderter Demokratie, stellt das einen Fortschritt da?

Sind Perspektiven, Alternativen der Linkspartei und der Europäischen Linken – z.B. im künftigem EU-Wahlprogramm - glaubwürdige, vermittelbare, umsetzbare Alternativen ?

Eine andere EU ist möglich....hoffe ich

Noch bin ich der Auffassung, dass es sinnvoll und notwendig ist, für eine andere, eine fortschrittliche EU zu kämpfen.

Ich hoffe, die künftige Programmatik, das Wahlprogramm der europäischen und deutschen Linken zur Europawahl, liefert gute Grundlagen für diese Annahme.

Allerdings ist das Dogma

„EU = besser als Nationalstaat“

ohne den Nachweis, dass die EU wirklich besser ist, für mich nicht mehr zu halten, auch wenn ich das 30 Jahre so sah.

Die EU ist kein Ersatzgelände, auf dem imaginäre fortschrittliche Kräfte aus dem Nichts......die Kämpfe durchführen und gewinnen, die wir vor Ort nicht schaffen. Noch ist es eher das Gelände, auf dem wir noch schwächer und strategisch noch mehr im Nachteil sind, als vor Ort.

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