Enthält Sprache

Bestseller Unser Autor Stephan Porombka weiß, wie man beim Deutschen Buchpreis sehr weit kommt
Ausgabe 38/2019

1. Triggerwarnung

Bis ganz nach vorne schaffen es nur Bücher, die niemanden mit unangenehmen Worten oder Formulierungen belästigen. Jeder soll nur das lesen, was er lesen will! Für den Fall, dass man bei der Verlagskontrolle doch etwas Anstößiges, Abstößiges oder Ausstößiges übersehen hat, sollte eine Triggerwarnung mitgedruckt werden. (Aber aufgepasst! Bereits die Triggerwarnung kann derart triggern, dass die Jury Angst hat, bei der Preisvergabe jemanden zu triggern, der jemanden kennt, der von Triggerwarnungen getriggert werden könnte.)

2. Autorenfoto

Nach der derzeitig gültigen Trend-Verordnung der veröffentlichten Meinung (§110, Abs.4) darf nur ein Buch mit Autorenfoto (m/w/d) gewinnen, auf dem die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale so in Szene gesetzt werden, dass deutlich wird, dass sie nur insofern von primärem Interesse sind, dass sich sekundär zuordnen lässt, wie primär bzw. sekundär sich um was für eine Identität bemüht wird. (Siehe auch #herkunft)

3. Hardcover

Zu klein, zu schmal, zu dünn, zu digital? Das kann man knicken. Das Gewinnerbuch muss superklassisches Hardcover sein. Es muss souverän von selber stehen. Der Brustpanzer muss den Härten des Buchmarktes trotzen. Gewichtig muss es in der Hand der Jury liegen. Und wenn es runterfällt, müssen die Leute aus der Wohnung unten denken: Da oben rasten schon wieder die krassen Hochkultur-Punks aus.

4. Einband

Der Einband des Siegerbuches muss nicht nur Staub abwehren. Er muss auch veritable Shitstorms aushalten. Von der herumfliegenden öffentlichen Scheiße sollte das Buch dann so gut wie alles spurlos abtropfen lassen und nur die wertvollen Mineralstoffe einsaugen, die das Immunsystem der bildungsbürgerlichen Filterbubble stärken.

5. Titel

Der Siegertitel muss sich gut per Hashtag in Umlauf bringen lassen: #miroloi … toll! #winterbienen … richtig gut! #kintsugi … naja, fast ein bisschen zu gewollt. Genial dagegen: #herkunft … Das ist kurz. Das ist knapp. Und „Herkunft“ ist ein Knallerthema. Da redet ohnehin schon jeder drüber. Die Hashtag-Umlaufmaschine läuft schon. Und wer Sieger werden will, läuft einfach erstmal im Mainstream mit.

6. Umschlag

Der Umschlag muss perfekt auf den Smartphonebildschirm passen. Bei Twitter und Instagram muss er fotogen auf den Frühstückstischen, auf den Wannenrändern der Schaumbäder liegen und über den knusprig braunen Sommerstrandbeinchen der InfluencerInnen schweben. Zumindest muss der Umschlag aufregender sein als das gelangweilte Nichtlesegesicht, das es später auf dem Selfie verdeckt.

7. Verlag

Je größer der Name des Verlags, umso sicherer kommt ein Buch auf die Liste und rutscht dann wie geschmiert weiter nach vorn. Dieser Nachteil lässt sich für kleine Verlage dadurch ausgleichen, dass man sich von einem großen Verlag kaufen lassen und im nächsten Jahr die Rutschbahn nachschmieren kann.

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8. Schicksalsgeschichten

Siegerverdächtig sind Schicksalsgeschichten von Heldinnen und Helden, die sich in einem Erfahrungshorizont bewegen, der sich mit dem Vorstellungshorizont der Jury deckt. Der wiederum muss passgenau auf dem Problemhorizont der Leserinnen und Leser liegen, der dem Verkaufshorizont der Buchhandlungen entspricht. Wobei immer gilt: Wenn man diesen Horizont nicht in zwanzig Sekunden mit einer Nacherzählung abschreiten kann, kann das Buch keinen Preis bekommen.

9. Experimente

Bloß keine literarischen Experimente. Beim Lesen muss man immer wissen, wo es langgeht. Das Gesetz sagt: Wenn nur einem einzigen Jurymitglied beim Lesen von einem Zivildienstleistenden geholfen werden muss, kann das Buch keinen Preis bekommen.

10. Runde Ecken

Es zahlt sich aus, wenn der Einband abgerundete Ecken hat. Niemand soll sich am Siegerbuch stoßen. Niemand darf sich verletzt fühlen. Und niemand aus der Jury soll sagen, das Buch habe die Nähte der Taschen vom Boss-Outlet-Jackett oder dem schnell noch bei Zalando bestellten Kritikerkostüm aufgerissen. Es soll immer wieder rein und raus, raus und rein geglitten sein, als wäre es von Anfang an nur für die feine Jury-Tasche geschrieben.

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