Hose, luftig

Sportplatz Von Fussballer-Hosen ist viel zu lernen. Meteorologie, Kapitalismus, Lacan, Knigge, Gender Trouble und anderes mehr. Doch fangen wir von vorne an. ...

Von Fussballer-Hosen ist viel zu lernen. Meteorologie, Kapitalismus, Lacan, Knigge, Gender Trouble und anderes mehr. Doch fangen wir von vorne an. Unlängst trug es sich nämlich zu, dass ein Mann in den besten Jahren in einer Fussballer-Hose im Büro auflief. Groß war der Aufruhr! Mächtig das Gemurmel! Schräg die Blicke! Der Mann aber schien unbeeindruckt. Schützte die Ruhe selbst vor. Wenigstens äusserlich. Innerlich eigentlich auch, denn nur so, in der gelassenen Gleichmut kühler Wohlüberlegtheit, konnte er, wie er vermeinte, das ihn gänzlich berechtigterweise in die Fussballer-Hose zwängende Argumentarium auffalten, um sich vor dem geistigen Auge die Richtigkeit der Gründe für die Wahl seines Beinkleides zu versichern. Entgegen den Missfallensbekundungen des Büro-Kollegiums! Jawoll!

Da waren einmal die meteorologischen Verhältnisse. Die Exegese unterschiedlichsten Datenmaterials aus Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet, gepaart mit den Erfahrungswerten langjährigen, jeweils frühmorgendlich abgehaltenen Studiums von Wolkenformationen, Windverhältnissen und Himmelsverfärbungen legten den einzig möglichen prognostischen Schluss nahe: es wird heiss. Schweineheiss. Die physioklimatischen Auswirkungen des Hochdruckkeils würden spätestens nach dem Mittagessen dergestalt in die Lendengegend fahren, dass sich dortselbst ein oberflächlicher, klebrigfeuchter Schweissfilm mit den entsprechenden odoralen Irritationen (Großraumbüro) als Signum eines sich zum innerlichen Wärme- und alsbald Hitzestau auswachsenden Temperaturüberschusses fortbilden würde. Ein Königreich für ein Lüftchen also. Denn der Hitzestau wiederum würde sich alsbald aus der Lendengegend Richtung Kopf ausbreiten und sich finaliter in Gestalt einer Schlapp-, Matt- und Trägheit in Klein- und Grosshirn formieren und breitmachen, die sich nur noch mittels präverbaler Entäußerung innerer Befindlichkeit Raum zu verschaffen imstande sähe: Uff. Puh. Nix Arbeit.

Dieser Aussicht galt es entschieden in den Weg zu treten. Raus aus dem meteorologischen Fatum, rein in die kurze Hose, so hatte der Mann in den besten Jahren überlegt und eilte kurz entschlossen zum Wäscheschrank. Dort oh lag sie; zwiefach gefaltet, ihr Blau blendete königlich von der Ablage, weiße Streifen mit grünen Fein-Bordüren als Abschluss zierten ihre Seiten, Nike-Swoosh und der viergestirnte C.B.F.-Aufnäher veredelten ihren Anblick: die Fussballer-Hose! Von Brasiliens Nationalmannschaft! Original! Ausgabe Weltmeisterschaften France 2000! Mit schaumigem Mund zuckte in ihnen der epilleptische Ronaldo vor dem verlorenen Finalspiel, knatternd flatterte ihr Tuch um die starkschenkligen Oberbeine des vergeblich auf der Aussenbahn spurtenden Roberto Carlos, zart umspielte sie die feingliedrigen Läufe des zauberischen Rivaldo ... der Mann vor dem Wäscheschrank schweifte ab, offensichtlich. Er besann sich auf das Entscheidende: Auf die aerobe Durchlässigkeit des Innenslips. Das würde helfen, gegen die Meteorologie und ihre Folgen. Nicht aber gegen die werte Mitarbeiterschaft

»Nike steht für Kinderarbeit«, zischte der politisch korrekte Administrator der Firma. »Brasilien ist linksliberaler Mainstream«, ließ der Fussballsoziologe aus der Buchhaltung verlauten. »Hier sind nur Hosen von Schalke erlaubt«, blaffte der Exil-Gelsenkirchner von der Spedition. »Sexuelle Belästigung«, murrte der Schwule aus der Werbeabteilung. »Beine rasiern«, fiepte der Sekretär, kurz: volle Kanne Ahnungslosigkeit. Der Mann in den besten Jahren bestrafte die geifernden Kollegen mit eisiger Ignoranz. Er blieb innerlich fest. Was denn hätte er anlegen sollen? Khakibraune Elefantenjägershorts? Macht die Hüften dick, die Beine dünn und bleich, kolonialistisch-imperialer Camel-Trophy-Quatsch. Radlerhose? Bedeutet schweisstreibende Synthetik, Grillmeister-Faschismus, Camper-Spießigkeit. Trainigshose? Vielleicht in Tschetschenien oder auf dem Balkan ... Der Mann in den besten Jahren beschloss seinen inneren Monolog im sicheren Wissen, dass es keine Alternative gab. Es war rechtens, das Unterteil.

Hatte hier denn niemand Ahnung? Der Mann im besten Alter setzte sich an seinen Tisch. Draußen zogen Wolken auf. Er dachte an Ronaldo, feuchten Rasen und Dul-X. Die Hose war nun nicht mehr zu sehen, für ihn entfaltete sie trotzdem ihre Wirkung. Sein Kopf war so klar wie seine Hosenbelüftung kühl. Plötzlich stiess ein Windböe durch die offenen Bürofenster und zauberte bei allen anderen, die in ausgebeulten Bügelfaltenhosen oder in weissen Sommerjeans auf ihren Sesseln klebten, jenes Lächeln stiller Glückseligkeit auf die Gesichter, das der Mann im besten Alter innerlich triumphierend zur Kenntnis nahm. Man konnte viel lernen von einer Fussballer-Hose. Dann entlud sich das Gewitter.

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