Verbunden im Zweifel

Briefwechsel Stephan Reinhardt über die Freundschaft zwischen Max Frisch und Alfred Andersch
Ausgabe 06/2014
Max Frisch
Max Frisch

Foto: Paco Junquera/Cover/Getty Images

Nachdem neulich im Freitag Max Frischs Beziehung zu den Berliner Kollegen interessierte, soll hier an seine Freundschaft zu Alfred Andersch erinnert werden. Zum ersten Mal begegneten sich Frisch und Andersch im Frühjahr 1957 im „Odeon“, dem legendären Zürcher Dadaisten-Café. Andersch, der die lengedäre Sendereihe radio-essay des SDR leitete und zugleich mit texte und zeichen die anregendste Kulturzeitschrift herausgab, befand sich auf Dienstreise in der Schweiz. Er bat Frisch, der gerade seinen zweiten Roman Homo faber abschloß, um eine Lesung daraus im radio essay sowie einen Vorabdruck in texte und zeichen. Andersch, 1946 mit Hans Werner Richter Herausgeber des Ruf und Mitbegründer der „Gruppe 47“, hatte als Rundfunk- und Zeitschriftenredakteur ein einzigartiges Netz von Autoren, Themen und Formenvielfalt geknüpft. Näher kamen sich Frisch und Andersch, als sich das Ehepaar Gisela und Alfred Andersch 1963 einige Male während eines parallelen Romaufenthaltes mit Max Frisch und dessen Lebensgefährtin Marianne Oellers trafen. Im folgenden Jahr kaufte Frisch im 800 Meter hoch gelegenen Tessiner Bergdorf Berzona ein Haus, nicht weit entfernt vom Anwesen der Anderschs, die sich dorthin schon 1958 zurückgezogen hatten. Im Mai 1965 zog Frisch mit Marianne Oellers nach Berzona.

Andersch und der drei Jahre ältere Frisch teilten ähnliche Lebenserfahrungen in der Zeit des „Dritten Reiches“. Frisch war von 1934 bis 1938 eng liiert mit Käte Rubensohn, die als Jüdin in Berlin nicht hatte studieren können. Den Antisemitismus, den er in Deutschland kennenlernte, hat er zum Thema gemacht in Homo faber und in Andorra. Andersch wiederum hatte 1935 die „Halbjüdin“ Angelika Albert geheiratet und sich im Januar 1943 von ihr scheiden lassen. Angelika überlebte den NS-Terror in Olching bei München.

Dunkle Geschichten

Dort besuchte und unterstützte Andersch sie und die gemeinsame Tochter Susanne bis zu seiner Einberufung, danach tat es seine Mutter. Andersch war sich freilich der Schuld bewusst, die er mit dieser Scheidung auf sich geladen hatte. Am besten, erklärte er nach 1945, wäre er 1936 mit Angelika in die Schweiz emigriert, mindestens hätte er der Gefährdeten seinen Schutz nicht entziehen dürfen. Diese Erfahrung liegt Anderschs lebenslanger Auseinandersetzung mit dem Terror des „Dritten Reiches“ zugrunde. In Sansibar rettet Fischer Knudsen die Jüdin Ruth vor dem Zugriff der Nazis. In Efraim sucht der gleichnamige jüdische Journalist im Berlin des Jahres 1962 nach Überlebensspuren der unehelichen „halbjüdischen“ Tochter seines Londoner Chefredakteurs. Der hatte sie 1938 schutzlos in Berlin zurückgelassen. Frisch lektorierte den Roman.

Zur schweren Störung zwischen den beiden kam es, als Frisch Andersch im Winter 1971 vorab den Text einer Porträtskizze schickte, die im Tagebuch 1966-1971 enthalten war. Andersch fühlte sich verletzt. Frisch, den er für seinen Freund hielt, hatte sich von seiner Ernsthaftigkeit, mit der er das für ihn so Existenzielle des Schriftstellerberufs immer betonte, distanziert. Andersch ignorierte in seiner Reaktion freilich, wie der Herausgeber des gerade bei Diogenes erschienen Briefwechsels, Jan Bürger, im Vorwort zu Recht hervorhebt, dass Frisch im Porträt des Freundes im Grunde seine eigenen Selbstzweifel mit beschrieb.

Ihre zweite Freundschaft – sie kommt bewegend zum Ausdruck in Frischs Rede zum 65. Geburtstag des bereits schwer kranken Andersch – begann um 1974. Eine USA-Reise hatte Anderschs Zweifel verstärkt: War das noch Roosevelts soziale Demokratie, für die er sich als Kriegsgefangener begeistert hatte? Die Übermacht des Finanzkapitals, der Konzerne und des Lobbyismus, so hatte er es eben erlebt, führte zu tiefer sozialer Spaltung. Und der Hegemon der westlichen Welt ließ keinen Zweifel, sei es in Vietnam oder Chile, an seiner auf Gewalt und Krieg drängenden Feindbild-pflege. In seinem Antikriegsroman Winterspelt hatte Andersch gerade jenen widersprochen, die Kriege für unvermeidlich hielten. Andersch und Frisch, Freunde erneut, verbunden in der Überzeugung, dass das Freiheits- und Gerechtigkeitsversprechen des demokratischen Sozialismus keine Phrase ist – auch angesichts des „moralischen … Bankrotts“ durch eben jene „Weltmacht, die unsere Schutzmacht ist“ (Frisch).

Alfred Andersch / Max Frisch: Briefwechsel Jan Bürger (Hg.) Diogneses 2013, 176 S, 19, 90 €

Von Stephan Reinhardt (geb. 1940) erschien 1990 eine Biographie über Andersch, ebenfalls bei Diogenes

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