Noch immer ist es das Ziel der UNO, wie vor sieben Jahren auf dem Millennium-Gipfel in New York beschlossen, Armut und Hunger auf der Welt bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Die deutsche Welthungerhilfe beteiligt sich an dieser Kampagne mit der Initiative "Millenniumsdörfer". Von 15 ausgewählten Regionen und Dörfern in Afrika, Südamerika und Asien soll das Signal ausgehen: Die Ziele sind erreichbar, halten die Geberländer ihre Zusagen ein.
Mit dem ersten Hahnenschrei sind die Frauen von Mangue auf den Beinen. Sie schleppen metallene Bottiche und Plastikeimer auf den staubigen Dorfplatz. Es verspricht ein klarer Tag zu werden, die Wolken sind groß und fest und heute sehr hoch. Der Wind lässt ein bisschen Dreck am Straßenrand fallen, auch an der Stelle, wo hinter einem Zaun aus Maschendraht die gemauerte Steinsäule mit einem Wasserhahn steht. Das Klappern der Wasserträger mutet an wie morgendliches Glockengeläut. Der ganze Ort erwacht davon, aus den grasgedeckten Lehmhütten treten verschlafene Kinder, bekleidet mit T-Shirts, die in Fetzen über aufgeblähten Bäuchen hängen. Parasitenbefall und mangelhafte Ernährung lassen sich nicht übersehen.
Frisches Trinkwasser schien vor einem Jahr im mittelangolanischen Mangue noch undenkbar. Die Frauen mussten Wasser aus einem Tümpel schöpfen, ein Infektionsherd sondergleichen, in dem gebadet und seit jeher Wäsche und Geschirr gewaschen wurden. Als Trinkwasserreservoir hat dieses Wasserloch nun endlich ausgedient. Albertina Teixeira, die Gesundheitsbeauftragte des Dorfes, ist heilfroh: "Seit wir frisches Quellwasser aus der Leitung haben, leiden weitaus weniger Leute an ständigem Durchfall und Infektionen."
Zu danken ist das den Männern des Dorfes, die sich der Wasserzufuhr annahmen, die Leitung kilometerweit verlegt haben, über Felder, die Böschungen hinauf und hinunter, bis in die Berge, wo die Quelle eines Flusses entspringt. Die PVC-Rohre erhielten sie von der deutschen Welthungerhilfe. Und das kostenlos. Hilfe zur Selbsthilfe nennt sich das Prinzip, nach dem die deutschen Entwicklungshelfer in Angola arbeiten, um zu beweisen, dass in einer der ärmsten Regionen Schwarzafrikas kleine Wunder möglich sind, dass Entwicklungshilfe funktionieren kann. Dass es sich gelohnt hat, Mangue nicht abzuschreiben, sondern als Musterdorf auszuwählen.
Steinzeit und Moderne
Mangue, der Lehmhütten-Flecken, liegt im Hochland der Provinz Kwanza Sul. Etwa 1.300 Menschen leben hier, inmitten einer weiten Hügellandschaft mit verwilderten Bananenstauden und massigen Affenbrotbäumen. Das Dorf kennt weder Stromzufuhr noch Autoverkehr. Nur einige Fahrräder, die den Kleinbauern gehören, gibt es. Manchmal kann man beobachten, wie Jutesäcke, gefüllt mit Bohnen oder Mais, auf ein solches Fahrrad gehievt werden, um die Fahrt nach Waku Kungo, die nächste Kleinstadt, anzutreten, wo auf dem Markt verkauft werden kann, was Bauern aus Mangue an bescheidenen Überschüssen erwirtschaften. Der Fußmarsch mit dem Fahrrad an der Seite dauert über zehn Stunden - die Stadt liegt 50 Kilometer entfernt.
Lemos Kibuambi, die muskulösen Arme selbstbewusst vor der Brust verschränkt, geht diesen Weg nur selten. Als Farmer erntet er nicht genug, als dass es sich lohnen würde, in Waku Kungo einen Stand zu mieten. Vor fünf Jahren hat der 32-Jährige sein Gewehr gegen eine Hacke und einen Hakenpflug eingetauscht. Aus dem Soldaten der angolanischen Regierungspartei MPLA* wurde ein Kleinbauer, der Bohnen, Erdnüsse und Mais pflanzt. Und das auf einem Stück Land nicht viel größer als ein deutscher Schrebergarten.
Kibuambi war 18 Jahre alt, als er ihn die Armee rekrutierte. Er hat verstümmelte Soldaten gesehen, zerfetzt von Minen und Granaten, schreiende Kinder, vergewaltigte Frauen, verwahrloste Orte. 27 lange Jahre hat die Kriegsfurie sein Land abgegrast. Die Rebellenarmee der UNITA** kämpfte gegen die Soldaten der regierenden MPLA, deren Begründer Agostino Neto am 11. November 1975 als erster Präsident die Unabhängigkeit proklamiert hatte. Es war auch ein Stellvertreterkrieg, der Angola danach heimsuchte. Im Hintergrund standen West und Ost, die USA und die Sowjetunion, Cuba und Südafrika. Es ging um Öl und Diamanten, um Kupfer, Gold und Uran, um Einfluss im südlichen Afrika, als in Johannesburg, Pretoria und Kapstadt das Apartheidsystem noch für die Ewigkeit gemacht schien. Von alldem wusste Lemos Kibuambi nur wenig. Er wusste nur, dass er gegen die UNITA zu kämpfen hatte. Er tat es mit dem Mut der Verzweiflung, er tat es bis zum 22. Februar 2002, bis Jonas Savimbi starb und die UNITA an diesem Tag ihren Kopf verlor. Bald darauf schwiegen in Angola die Waffen.
Schon wenige Tage nach Friedensschluss zog Lemos Kibuambi seine Uniform aus und ging nach Hause. Als er ankam in Mangue, war da niemand, der ihn hätte empfangen können. Die UNITA hatte das Dorf verwüstet, alle Hütten niedergebrannt, die Bewohner in die Flucht getrieben. Wenn sich Kibuambi dieser Zeit erinnert, bringt er seinen Eindruck von damals immer auf den einen Satz: "Wir standen vor dem Nichts."
Doch bald kamen die Leute von der Welthungerhilfe. Sie verteilten Lebensmittel, später Saatgut und Hacken. Lemos Kibuambi erzählt, vieles sei dadurch besser geworden. "Wer zurückkehrte, fand die Kraft, seine Hütte wieder aufzubauen, Gärten und Felder anzulegen, sich selbst zu ernähren." Heute hungert niemand mehr in Mangue, die Leute "vom Projekt" sind trotzdem geblieben. Anfang 2007 bezogen sie sechs alte Schiffscontainer am Dorfrand. Accao Agraria Alema steht auf dem Schild am Eingang ihres Camps.
Das Büro, in dem Manuel Henriques sitzt, riecht nach frischer Farbe. Die Wände sind grün wie der Busch und die Berge rings um Mangue. Eingerichtet ist der Raum spartanisch: mit dem Stahlschrank, den Stühlen und einem grobgezimmerten Holztisch. Darauf steht das Allerheiligste, das Funkgerät. Der Kasten sichert den Kontakt zur Außenwelt, beteuert Manuel Henriques. "Über Funk treffe ich alle Absprachen mit der Zentrale der Welthungerhilfe in Luanda. Über Funk ordere ich alles, was ich brauche - Stromaggregate, Betonmischer, Steine, Farbe, Wellblech, Medikamente. Eben alles, was für unser Millenniumsdorf benötigt wird."
Manuel Henriques ist 51 Jahre alt, ein gebürtiger Angolaner mit raspelkurzen Haaren, der seit fast zwei Jahrzehnten für das deutsche Hilfswerk arbeitet und bis zum Jahr 2010 das Dorf Mangue von der Steinzeit in die Moderne geführt haben will. Er soll beweisen, dass Armut verschwindet, wenn die reichen Geberländer ihre Zusagen einhalten und ihr Geld in nachhaltige Projekte investieren. Agrarberater, Bautechniker und Sozialarbeiter stehen ihm zur Seite, ausnahmslos Angolaner. Lediglich sein Chef in der Zentrale der Welthungerhilfe in Luanda sei Deutscher, meint Henriques.
Der nun heißt Peter Hinn, ein erfahrender Entwicklungshelfer, seit vier Jahren in Angola unterwegs und vorher schon bei vergleichbaren Missionen in Botswana und Mosambik. Mit ihm bin ich von Luanda aus hierher gefahren. Es ging über holprige Straßen, vorbei an zerschossenen Kolonialbauten, an ausgebrannten Panzerwracks und Schildern, die vor Minenfeldern warnten, wir fuhren so lange, bis die Straße keinen Asphalt mehr hergab, und der Jeep sich durch Schlaglöcher und Schlammlachen wühlen musste.
Wer älter wird als 37
Als Peter Hinn das erste Mal in Mangue auftaucht, hat er gleich ein offenes Ohr für die Nöte der Leute, die von weniger als zwei Dollar am Tag leben. "Das größte Problem ist die katastrophale medizinische Versorgung", sagt er. "Wir haben deshalb zunächst den Gesundheitsposten aus der Kolonialzeit wieder aufgebaut. Als wir damit fertig waren, schickte das Gesundheitsministerium zwei Krankenpfleger aus Luanda nach Mangue, die nun zumindest kleinere Verletzungen, Durchfall und Erkältungen behandeln." Gegen schwere Erkrankungen aber sei man machtlos. Wer in Mangue älter als 37 werde, gehöre zu den Alten im Dorf.
Es ist vor allem das Tropenfieber Malaria, das die Menschen bedroht. Peter Hinn und seine Leute hoffen, die Krankheit zumindest eindämmen zu können. Das simple Erfolgsrezept: "Alle Familien bekommen kostenlos Moskitonetze." Außerdem verteilen die Entwicklungshelfer Artemisia-Pflanzen, ein natürliches und wirkungsvolles Malariamittel aus China. Die Blätter der Pflanze werden getrocknet und als Tee verabreicht.
Gleich neben dem Gesundheitsposten leuchtet rosafarben die Schule. Der Flachbau stammt ebenfalls aus der Kolonialzeit und war nur noch eine Ruine, als die Entwicklungshelfer in das Dorf kamen. Sie kauften Farbe, Mauersteine und Ziegel. Dann gab es Gespräche mit dem Soba, dem traditionellen Führer. Er rief die Dorfbewohner zusammen und erklärte ihnen, sie müssten mit anpacken, wenn sie wollten, dass ihre Kinder zur Schule gehen. Man ließ sich nicht lange bitten, eilte herbei und half.
Ein Lehrer unterrichtet heute 300 Schüler am Tag. Die Kinder sitzen auf einfachen Holzbänken - Schulbücher und Hefte liegen auf den Knien. Noch in diesem Jahr will die deutsche Welthungerhilfe in Mangue eine zweite Schule bauen für die Kinder aus der Umgebung. Vorausgesetzt, die angolanischen Behörden finden Lehrer, die in diesem abgelegenen Landstrich unterrichten wollen.
Ohne den Soba, den traditionellen Führer, bewegt sich nichts in Mangue. Mit ihm stimmen die deutschen Entwicklungshelfer ihre Arbeit ab. Was er sagt, ist Gesetz. Der Soba ist ein alter Mann mit blutunterlaufenen, müden Augen. MPLA steht auf seinem T-Shirt, das Kürzel der Regierungspartei. Der Soba beklagt sich bei Peter Hinn, dass die deutsche Welthungerhilfe noch immer keinen Lastkraftwagen geschickt hat, damit die Bauern ihre Produkte nicht länger mit dem Fahrrad auf den Markt nach Waku Kungo bringen müssen. Hinn fragt zurück, ob die Dorfbewohner die tiefen Schlaglöcher auf der Zufahrtsstraße zum Dorf schon zugeschüttet hätten, damit ein größeres Fahrzeug überhaupt bis nach Mangue durchkommen könne. Der Soba verneint, und Peter Hinn entgegnet: "Solange die Straße nicht intakt ist, werden wir euch auch keinen LKW schicken." Der Soba runzelt verärgert die Stirn.
"Es ist nicht immer so einfach, die Dorfbewohner zu Eigenverantwortung und Mitarbeit zu ermuntern", sagt Peter Hinn. "Aber was wäre Entwicklungshilfe ohne Hürden." Es gibt außer der Straße nach Waku Kungo noch eine andere Hürde, die er gerade zu nehmen sucht. 40 Ochsengespanne mit Pflug will Hinn in Mangue verteilen, damit den Bauern die schwere Arbeit auf dem Feld leichter von der Hand geht. So ein Gespann kostet 900 Dollar. Ein Vermögen im ländlichen Angola. Damit kein Sozialneid aufkommt, stellt Hinn gemeinsam mit den Dorfbewohnern Kriterien auf, wonach die Ochsengespanne dann verteilt werden. Seit Wochen schon reden die Männer im Ort über die vermeintlich beste Lösung. Wer hat ein besonderes Anrecht. Hat es Sinn, dass sich mehrere Familien zusammenschließen, um ihre Felder gemeinsam zu bestellen? Sollten auf jeden Fall die Familien profitieren, die sich bereits mit Zugtieren auskennen?
Noch ist nichts entschieden.
(*) Movimento Popular de Libertaçao de Angola
(**) Uniao Nacional para a Independência Total de Angola
Angola
Staatsform
Präsidialrepublik
(unabhängig seit dem 11. November 1975)
Religion
55 Prozent Katholiken
35 Prozent Naturreligionen
10 Prozent Protestanten
Fläche
1.246.700 Quadratkilometer
(Deutschland: 357.030 Quadratkilometer)
Einwohner
15,9 Millionen
BIP/ Einwohner
1.150 Dollar (2005)
Alphabetisierungsrate
67,4 Prozent
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