Das fehlerhafte System

Demokratie Wie viel Wahl steckt im Wahlergebnis? Wie viel Demokratie in der Wahl? Eine kurze System-Analyse.

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Die Union ist glücklich, FPD nicht, die AfD hätte es beinahe geschafft, und in der links-orientierten Ecke werden die Wunden geleckt. Die Bundestagswahl ist vorbei und Deutschland hat sich entschieden. Doch wie spiegelt sich diese Entscheidung im Bundestag wieder?

Legitimierte Regierung?

Vielen Menschen in Deutschland (dem Wahlergebnis nach anscheinend nicht genug) wissen bereits, dass die Wirtschaft massiv Einfluss auf die Parteien, besonders die regierenden, ausübt. Manche sind anfälliger dafür, manche weniger. Bei einigen kommt es ans Licht, bei den meisten allerdings bleibt es im Dunkeln. Und wiederum andere machen es ganz offensichtlich und werden dann mit dem Regierungsposten belohnt. Das Hofieren der deutschen Automobilindustrie scheint Merkels Wahlergebnis jedenfalls nicht geschadet zu haben.

Ein Einzelfall? Keineswegs, mit beispielloser Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit haben die Verlage es dieses Jahr geschafft, ihr Leistungsschutzrecht durch den Bundestag zu bringen. Durch den Gegenwind aus der Öffentlichkeit selbst wurde beim Gesetz zwar etwas zurückgerudert, aber Unsicherheit bei vielen Leuten bleibt. Blogger und kleinere Nachrichtenseiten fühlen sich existentiell bedroht aufgrund der unsicheren Rechtslage, auf deren Basis das Anwaltsschreiben eines Verlags jeden Tag im Briefkasten landen könnte (wahrscheinlich auch ein Grund, warum das Gesetz durchgewunken wurde, die Aufklärung der Bürger und die Verbreitung der Wahrheit stehen bei den meisten Parteien nicht an oberster Stelle). Jetzt hat die VG Wort angekündigt, dieses "Recht" durchsetzen zu wollen. Eine GEMA für Verlage, genau das, was Deutschland noch gebraucht hat.

Über Korruption und Lobbyismus könnte man sicher lange reden. Auch einseitige, unkritische Medienberichterstattung spielt mit hinein, gezielte Desinformation steht an der Tagesordnung. Doch die aktuelle Wahl zeigt noch einen anderen, sehr großen Fehler in unserem System: die Legitimation des Bundestages, einer der Grundsäulen unserer Demokratie.

Während sich die meisten Medien dieser Tage damit beschäftigen, wie der Bundestag aussehen wird und wer wie mit wem korpu.. äh koalieren wird, sollte man einmal einen Blick auf die Parteien werfen, die es nicht in den Bundestag geschafft haben. Zauberwort: 5%-Hürde. Hier der Zahlen der aktuellen Hochrechnung für diese Parteien (Quelle: FAZ):

  • FDP: 4,8%
  • AfD: 4,7%
  • Piraten: 2,2%
  • Sonstige: 4,1%

Macht nach Adam Riese 15,8% insgesamt. Diese Zahl muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen, damit man merkt, wie bitter sie eigentlich ist. Denn sie bedeutet schlicht und ergreifend, dass fast jeder 6te Wähler mit seiner Wahl nicht im Bundestag vertreten ist. Das ist eine sehr hohe Zahl für eine Demokratie. Sich nach der Mehrheit zu richten ist sinnvoll, so viel ist klar, man kann es nie jedem recht machen. Die Opposition ist dabei dafür verantwortlich, dass die Mehrheitspartei in die Schranken gewiesen wird und nicht diktatorisch jedes Gesetz ohne irgendwelche Hindernisse durchsetzen kann. Doch was ist das für eine Opposition, wenn 16% der Wähler nicht einmal in ihr vertreten sind? Das ist natürlich genau das, was etablierte Parteien, insbesondere die Union, wollen.

Wir müssen uns an dieser Stelle fragen, ob in dieser Weise noch eine Regierung legitimiert werden kann. Zusätzlich mit der Aussicht auf eine große Koalition ist dieser Problem wieder besonders akut, da in diesem Falle eine Opposition die nächsten vier Jahre so gut wie nicht-existent sein wird. Auch wenn es viele Menschen anscheinend noch nicht bemerkt haben: Unser demokratisches System ist stark angeschlagen. Wir müssen uns andere Fragen stellen als "Welche Partei soll ich wählen? Wer wird uns in den nächsten vier Jahren regieren?".

Stattdessen sollten solche Fragen gestellt werden:

  • Ist die 5%-Hürde wirklich sinnvoll?
  • Dürfen Regierungsmitglieder nach ihrem Ausscheiden direkt in die Wirtschaft wechseln?
  • Sollten Abgeordnete und die Parteien selbst ihre Verdienste offenlegen müssen?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, das System demokratischer zu machen (bspw. Volksentscheide, transparente Regierung)?

Und, und, und.. leider allerdings sieht es so aus, als stünde man mit dieser Meinung ziemlich alleine da. Die Wahlergebnisse spiegeln das wieder: rechts-konservativ bekommt das beste Ergebnis seit 20 Jahren. Und zu dieser Einstellung gehört es auch, das man das bestehende System nicht hinterfragt.

Zusätzlich besteht das Problem, dass Deutschland oft nicht so aufgeklärt ist, wie man es als regelmäßiger Internetnutzer gerne glauben möchte. Wer sich im Netz informiert, findet sehr schnell Nachrichten, Blogs und Berichte über alle möglichen Standpunkte. Und wenn man die Informationsflut erst einmal verarbeitet hat, wird den meisten Leuten schnell klar, dass es viele unangenehme Wahrheiten und nicht angesprochene Probleme gibt, die in den klassichen Medien unter den Teppich gekehrt werden.

Das absonderliche Internet

Leider stellt dieser Anteil bei weitem nicht die Mehrheit dar. Eine Begründung dafür ist im Jahresreport der Internationalen Fernmeldeunion zu finden: Nur 34% aller Deutschen hatten 2012 Zugang zu einem Breitbandanschluss, gerade einmal 41% haben einen mobilen Internetzugang. Das sind für einen Industriestaat, für ein "Fortschrittsland" beschämende Werte.

Doch nicht nur beim Zugang bestehen hier Probleme: Das Internet selbst ist zwar in der Mitte angekommen, allerdings nicht als Medium. Das liegt vor allem daran, dass in der Frühphase das Internet als etwas sehr Schlechtes propagiert wurde, in dem in allen Enden und Ecken Gefahren lauern (teilweise ist das auch richtig, aber wo ist das heutzutage nicht mehr so?). Demnach war das Vertrauen erschüttert. Aber es hat sich wieder erholt, nur nicht komplett: Die Menschen nutzen es um sich Kleidung, Elektroartikel usw. zu kaufen, die neusten Rezepte auszuprobieren, mit Freunden in Kontakt zu bleiben und, zu einem geringen Teil, um Nachrichten zu konsumieren.

Dabei hat sich, zumindest inhaltlich, einfach nur das Zeitungswesen ins Internet verlagert. Wer früher seine Bild-Zeitung las, hat nun die Bild-App, oder beides. Die Leute vertrauen im Internet nur "ihrer" Zeitung, alles andere ist nach ihrer Meinung kein guter Journalismus und damit keine gute Informationsquelle. Zu einem großen Teil kann man die Schuld daran der Generationenverteilung in Deutschland geben. Über 50% der Wähler sind älter als 50 Jahre. Den Großteil davon findet man im Bereich über 70 (20% aller Wähler) wieder. Der Bereich 18-21 kommt dabei nur auf ernüchternde 3.6%, im Bereich 21-30 sieht es mit 12,5% auch nicht sehr viel besser aus. (Quelle: bundeswahlleiter.de) Fakt ist also: Der Durchschnittsdeutsche ist Senior oder auf dem besten Weg dahin. Das Problem: Das Internet als Medium wird bei den meisten Menschen dieser Altersgruppe immer noch als dubios und fremdartig angesehen, und man bleibt lieber bei dem, was man kennt, um sich zu informieren.

Gegen diesen Trend vorzugehen, ist schwer. Nach meiner Meinung gibt es für dieses Problem zwei Wege, die man einschlagen kann: Man wartet auf die nächste Generation, die sich hoffentlich umfassender informiert und nicht auf die Aussagen der Parteien hereinfällt, sondern deren Wert an den eigentlichen Taten messen. Das könnte allerdings auch schnell nach hinten losgehen, wenn diese Generation nicht so ist, wie man sie sich vorstellt.

Auf der anderen Seite bleibt nur die Möglichkeit, sozusagen aus dem Schatten des Internets herauszutreten und zu versuchen, mehr Leute zu erreichen. Das klingt im ersten Moment sehr merkwürdig, ist aber schlicht die Wahrheit. All die kritischen Blogs und Beiträge (wie dieser hier) werden zum größten Teil von Menschen gelesen, die so und so derselben oder einen ähnlichen Meinung sind. Die Aufgabe sollte es sein, diese Meinung auch nach außen hin zu tragen. Die Piratenpartei hat dies versucht, ist allerdings leider daran gescheitert, in der Mitte in Deutschland anzukommen. Das ist zu einem Teil natürlich die eigene Schuld, zum anderen geht das auch auf das Medienembargo zurück, das besonders zum Thema NSA-Affäre die Piraten ausschloss. Jedenfalls haben sie es nicht geschafft, sich auch außerhalb der Internetnutzer zu platzieren und haben während dieses Prozesses ihre Wähler verloren, die ihnen diese verpatzten Versuche übelnahmen.

Wir haben vier Jahre Zeit. Vier Jahre, um unsere Strategie zu überdenken, um neue Wege einzuschlagen, um unsere Demokratie wieder demokratischer zu machen. Wenn wir auf diesem Pfad weiterwandern, bleibt uns nur die Hoffnung auf die nächste Generation. Wem allerdings wirklich etwas an der Veränderung der aktuellen Verhältnisse liegt, der sollte nicht nur hoffen, sondern selbst aktiv werde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steve König

Männlich, 24 sucht Demokratie zum zusammen alt werden. Ernsthafte Absichten sind ein Muss.

Steve König

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