Ohne Leidenschaft durch die Politik

Emotionlosigkeit Um sich für etwas einsetzen zu können, müssen Gefühle, egal ob positiv oder negativ, vorhanden sein. Bei unseren Politikern sucht man diese allerdings vergebens

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Ohne Leidenschaft durch die Politik

Foto: Odd Andersen/ AFP/ Getty Images

Mit beispielhafter Geschicklichkeit ist es Peer Steinbrück ("Spitzenkandidat" SPD) wieder einmal gelungen, in ein unübersehbares Fettnäpfchen zu treten: Er warf Kanzlerin Merkel Europa-Leidenschaftslosigkeit vor, weil sie aus der DDR stammt. Während man sich zu Recht fragen kann, ob dieser Mann (und damit sein Wahlkampf und damit seine Partei) noch zu retten ist, muss man ihm beinahe Recht geben. Allerdings nur unter der Prämisse, dass man den DDR-Teil und "Europa" aus der Aussage streicht.

Bloß keine Gefühle zeigen

Auf den ersten Blick könnte man der Leidenschaftslosigkeit (nicht nur von Merkel, sondern von fast der gesamten deutschen Politikerriege) mit Verständnis begegnen. Mit Blick auf unsere Geschichte, in der uns ein Verrückter mit seiner "Leidenschaft" ins Verderben führte, muss man mit seinen Emotionen als Politiker vorsichtig umgehen und darf sie maximal in kleinen Dosen auf die Bevölkerung loslassen. Das funktioniert bspw. sehr gut bei einem Großereignis wie einem Fußball-Länderspiel, bei dem man mal (für die Kamera) so richtig schön aus sich herausgehen kann.

Das würde auch wunderprima funktionieren, wenn diese Emotionslosigkeit nicht einen kleinen Haken hätte: Will (muss/kann/soll) man sich für eine bestimmte Sache einsetzen, dann wird gerade Leidenschaft benötigt. Ungerechtigkeiten wie die Totalüberwachung durch die USA müssen massive Empörung hervorrufen, und aus dieser Empörung Taten folgen. Bei unserer Politik ist das nicht der Fall, insbesondere bei unserer Kanzlerin. Deswegen sehen wir bisher auch nur halbherzige und lahme Reaktionen wie angebliche Kontrollgremien, seichte Anfragen und die Reise unseres Innenministers in die USA. Reaktionen, die wichtig wirken sollen, es aber nicht sind. Und das Fazit? Alles nicht so schlimm wie man denkt, alles im Rahmen von "Recht und Gesetz".

Dabei bräuchten wir jetzt genau jemanden, der Recht und Gesetz wirklich (an der richtigen Stelle) in Frage stellt, bspw. ob Geheimgerichte den Geheimdiensten Befugnisse erteilen dürfen, ob Geheimdienste selbst nicht zu geheim sind oder ob PRISM und Vorratsdatenspeicherung, wenn auch gesetzlich legitimiert, wirklich legal sind. Leider tut dies jetzt niemand (bis auf meist eher weniger gehörte Politiker und unsere Justizministerin).

Durch die Bank weg

Natürlich gibt es noch ein Lager, dass sich in präsent in den Medien aufregt: die Opposition. Doch sieht man sich das einmal genauer an (mal abgesehen davon, dass die SPD/Grünen in ihrer Regierungszeit auch mit in diese Sache verstrickt waren), dann versteckt sich auch hinter dieser scheinbaren Leidenschaft nur trockenes Kalkül. Denn die Empörung richtet sich hauptsächlich gegen die Regierung, und nicht gegen die Überwachung selbst. Man fordert Maßnahmen, ja, aber besonders werden Merkel & Co wegen der Maßnahmslosigkeit kritisiert. Dabei springt die Opposition einfach auf den fahrenden Zug der Empörung auf, der momentan durch einen Teil der Bevölkerung tuckert. Das Thema ist dabei egal, Hauptsache, man kann die Wahlkampfgegner mit Dreck bewerfen. Dass man selbst diesen Dreck produziert hat, ist dabei irrelevant.

"Wunderbar" kann man diese Leidenschaftslosigkeit an der Sprache der Kanzlerin und des Kandidaten der SPD erkennen. Gleich vornweg, eigentlich bin ich kein Fan von dieser relativ nüchternen Sprachauswertung. Ich programmiere beruflich viel und an schlechten Tagen würde wahrscheinlich das Wort "Scheiße" in Schriftgröße 50, fett und unterstrichen in meiner Wörter-Cloud die zentrale Rolle einnehmen. Dennoch finde ich Joachim Scharloths Analyse der Reden von Steinbrück und Merkel sehr interessant, besonders da er eine Zeitspanne von mehreren Jahren ins Visier nimmt (eine aufbereitete und leichter verdauliche Version findet man auch bei der Zeit Online).

Zu Merkels favorisierten Adjektiven gehören dabei eher Kuschelwörter, wie "gemeinsam", "lieb", "herzlich", "schön". Alles Wörter, die man auf den ersten Blick mit Gefühlen verwechseln könnte. Wer der Kanzlerin allerdings mehr als 10 Minuten zuhört, merkt ziemlich schnell, dass dahinter nicht viel steckt. Bei Peer Steinbrück sieht das ein wenig anders aus: In seinen Reden findet man andere Adjektive. Am häufigsten davon: "gelegentlich" (häh?), "finanzpolitisch", "konjunkturell", "ordnungspolitisch". Und jetzt kommt der riesige "Witz" daran: Stellt euch doch einmal vor, ihr wüsstet nicht, welche Worte wem zuzuordnen wären. Was würdet ihr denken, welcher Kandidat zur SPD und welcher zur CDU gehört, allein anhand der Worte? Verkehrte Welt, wie es scheint.

Genau in diesem Punkt liegt die Crux: die etablierten Parteien, besonders SPD und CDU, sind problemlos austauschbar geworden. Es sind kaum noch besondere Ambitionen oder Beweggründe, und erst recht keine Leidenschaft zu finden. Und genau die daraus entstehende Gleichgültigkeit schadet am Ende besonders der Bevölkerung.

Wir sind selbst schuld daran

In der Netzgemeinde ist man sich über diese Gleichgültigkeit und Unfähigkeit bewusst, aber man darf dies nicht mit der Realität verwechseln. Man bekommt den Eindruck, dass ganz Deutschland hinter einem steht, wenn man gegen die USA, die Überwachung und unsere Regierung im Allgemeinen wettert. Das ist allerdings eine Verzerrung der Realität, besonders da man sich auch im Netz nicht allumfassend informiert, sondern sich die Nachrichtenportale und Blogs heraussucht, die so und so die eigene Meinung bestätigen.

In der Realität gibt es dabei nur relativ wenige Menschen, die die Überwachung wirklich gut und sinnvoll finden. Aber es gibt einen sehr großen, wenn nicht gar den größten Anteil, dem es einfach gleichgültig ist. Die meisten von uns haben bereits schon Aussagen wie "Ich hab nichts zu verbergen.", "Dagegen kann man eh nichts machen." und "Supertoll ist die Merkel nicht, aber eigentlich macht sie den Job ganz in Ordnung." gehört. Wir ernten, was wir säen. Wir säen Gleichgültigkeit und wir ernten sie, spätestens nach der nächsten Bundestagswahl.

Darum müssen besonders wir, die "Digital Natives", die "Netzgemeinde", die "Netzaffinen" (oder jede noch blödere Bezeichnung, die euch einfällt), heraustreten und mit anderen Leuten diskutieren und überzeugen, damit diese ihre Gleichgültigkeit verlieren. Mit meiner Oma habe ich schon des Öfteren über dieses Thema geredet, und letztens hat sie mir doch erstaunlicherweise mittgeteilt, dass sie darüber nachdenkt, die Piraten zu wählen (und das war keine direkte Empfehlung von mir). Man kann etwas bewirken, wenn man nur will. Zeigt Leidenschaft, damit andere erkennen, dass Leidenschaft auch angebracht ist. Natürlich immer in gewissen Maßen, denn auch wenn es Spaß macht und sicherlich gerechtfertigt ist, wenn man unsere Politiker beschimpft, macht es beim Gegenüber argumentativ eher weniger Eindruck. Es sei denn, derjenige ist so und so eurer Meinung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steve König

Männlich, 24 sucht Demokratie zum zusammen alt werden. Ernsthafte Absichten sind ein Muss.

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