Überwachen? Wir doch nicht!

Alles vorbei Die Überwachungsaffäre wurde beendet, die Überwachung selbst nicht. Dennoch bleiben Fragen offen. Eine Chronik der ungeklärten Ereignisse.

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Ist es nicht toll, Leute? Monatelang mussten wir uns Sorgen machen, dass unsere Privatsphäre aufs intimste verletzt wird, dass unser gesamtes Leben offengelegt wird und dass unsere Grundrechte mit Füßen getreten werden. Doch endlich ist alles vorbei! Kanzleramtsminister Pofalla erklärt die Affäre für beendet, Bundeskanzlerin Merkel stimmt ihm zu und die Regierung insgesamt sieht nur noch ein paar unbedeutende Detailfragen, die geklärt werden müssen. Friede, Freude, Pustekuchen oder wie das Sprichwort auch immer heißt.

Damit jeder sich einen Überblick verschaffen kann, welche unbedeutenden Details noch zu klären wären, möchte ich im Folgenden eine kurze Übersicht über merkwürdige Dinge geben, die im Zusammenhang mit der Überwachungsaffäre geschehen sind.

Die schmutzige Liste

Juni 2013

US-Geheimdienstkoordinator James Clapper wird im März in einer Anhörung des Senats danach gefragt, ob die NSA Millionen von Daten von US-amerikanischen Staatsbürgern sammelt. Seine Antwort darauf: "No, sir." Nach den Enthüllungen durch Edward Snowden stellte sich das natürlich als einzige Lüge heraus. Seine Ausrede ist besonders dreist: Am 21. Juni schrieb er einen Brief an den Senat, der besagte, dass er die Frage falsch verstanden habe und es ihm außerordentlich Leid tue. Wirklich? Was ist an "Werden Millionen von Daten von der NSA gesammelt?" falsch zu verstehen? Eigentlich müssten ihm bis zu fünf Jahre Haft drohen für seine Lüge gegenüber dem Senat, aber Obama belohnt ihn lieber, indem er ihn als "Aufklärer" der NSA-Affäre einsetzt. Zumindest das Weiße Haus stellt sich gegen diese Entscheidung.

Juli 2013

Die Maschine von Boliviens Präsident Evo Morales wird in Österreich aufgehalten und durchsucht, weil vermutet wird, dass sich Edward Snowden darin befindet. Andere Länder, wie Italien und Spanien erteilen für kurze Zeit ein Überflugsverbot. Warum? Ist Europa in seiner Gesamtheit so amerikahörig geworden, dass man selbst bei dem kleinsten Verdacht und ohne direkte Anweisung solche Maßnahmen ergreift? Und warum hatte keines der europäischen Länder den Arsch in der Hose, Snowden Asyl zu gewähren, damit der Überwachungsskandal wirklich aufgeklärt werden kann? Fragen über Fragen..

Ebenfalls im Juli besuchte unser Überwach.. ähh Innenminister die USA und kam mit einer tollen Botschaft zurück: 45 terroristische Anschläge wurden durch PRISM verhindert! Nun ja, diese Zahl wurde zwar immer wieder geändert und man weiß bis heute nicht genau, ob sie stimmt und was für Anschläge das waren, aber nehmen wir sie einmal als gegeben hin. PRISM existiert seit 2005, und nimmt man die Zahlen des Nationalen Terrorabwehrzentrums der USA, so gab es seit 2005 weltweit 81 419 Terrorakte (Quelle: Die Wahrheit über die Wahrheit). 0,06% aller Anschläge, die mit Sicherheit existente Dunkelziffer außen vor gelassen, wurde also verhindert! Das ist natürlich die Aushebelung der Grundrechte weltweit wert. Die Zahlen sind verdammt schwammig. Und bis heute haben wir zum edlen Ziel der Terrorabwehr immer noch nichts Konkretes gehört, obwohl das die einzige Rechtfertigung für PRISM und Co. ist.

August 2013

Jetzt wird es lustig. Denn der Skandal dauerte nun bereits Monate an, und die Regierungen müssen nun etwas tun, um ihn zu beenden, damit das angekratzte Image nicht völlig zerstört wird. In diesem Monat häufen sich die mysteriösen Ereignisse.

Als Erstes wäre da das US-amerikanische Unternehmen "Lavabit". Angeblich nutzte Edward Snowden diesen Dienst zur Verschlüsselung von E-Mails. Weil Snowden natürlich ein Verräter ist, nahm sich die US-Regierung heraus, Lavabit unter Druck zu setzen und wollte Daten von dem Unternehmen haben. Dessen Gründer weigerte sich allerdings und traf eine harte Entscheidung: lieber gab er sein Geschäft auf, als dass er seine Nutzer verrate, so seine Aussage. Genaue Informationen sind allerdings nicht bekannt, da er von US-Regierung gezwungen wird, den Mund zu halten. Erst wird ein Unternehmen so unter Druck gesetzt, dass es das Geschäft aufgibt und dann wird den Beteiligten verboten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Das sind schon stark faschistische Züge.

Das nächste Ereignis betrifft Glen Greenwald, den NSA-Enthüllungsjournalisten des Guardian. Sein Lebenspartner, David Miranda, wurde am 19. August in London am Flughafen grundlos festgehalten, durchsucht und verhört. Ein Terrorabwehrgesetz der Briten erlaubt es, verdächtige Personen bis zu neun Stunden in Gewahrsam zu nehmen. Miranda wurde fünf Minuten vor dem Verstreichen dieser Zeit wieder freigelassen. Ging von ihm wirklich eine Gefahr aus? Wohl eher kaum. Aus welchem Grund wurde er dann festgehalten? Einschüchterung ist wohl die einzige Antwort, die einem darauf einfällt; eine offizielle (ehrliche) Antwort werden wir wohl nie erhalten.

Wenn wir gerade einmal beim Thema "Übereifer" der Polizei sind, ist noch eine Geschichte erwähnenswert, die sich am selben Tag in Darmstadt/Griesheim abspielte. Eine Gruppe von 20 Spaziergängern in Begleitung der ARD gingen zum Dagger-Komplex, in dem NSA-Aktivitäten vermutet werden, zum "protestieren". Mit diesem Begriff muss man an dieser Stelle vorsichtig sein, denn sie hatten keine Schilder dabei, haben sich nicht störend verhalten und waren allgemein friedlich. Dennoch schien es notwendig, dass Polizei, Militärpolizei und am Ende sogar ein Polizeihubschrauber (!) anwesend waren. Schlussendlich waren mehr Mitglieder der Exekutive als Protestierende anwesend, und ein Spielzeughubschrauber wurde beschlagnahmt, da es sich angeblich um eine "Mini-Drohne" handelt, mit der man Aufnahmen machen wollte. Auch hier wieder eindeutig faschistische Züge bei den Mitteln, die angewandt werden, um eine kleine Gruppe von Bürgern einzuschüchtern.

Als letztes Beispiel soll die heutige (20. August) Meldung aus Großbritannien dienen. Guardian-Chefredakteur Rusbridger berichtet, dass er massiv von der britischen Regierung unter Druck gesetzt wurde, damit er jegliches Material von Snowden vernichtet. Sogar juristische Schritte wurden ihm angedroht. Schlussendlich wurden entsprechende Festplatten unter der Aufsicht von zwei Mitarbeitern des Geheimdienstes GCHQ zerstört. Rusbridger beschrieb diesen Vorgang als "bizarr". Ich beschreibe ihn wieder als "faschistisch", da es eine Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit ist.

Nichts passiert?

Das sind also ein paar unbedeutende Detailfragen, die bezüglich des Überwachungsskandals noch zu klären sind. Ich bin mir sicher, man würde noch mehr Beispiele finden, wenn man lange genug recherchiert. Diese Ereignisse allein sind allerdings bereits beunruhigend genug.

Aber es ist bald Wahlkampf in Deutschland und wer möchte sich denn bitte noch über solche Sachen Gedanken machen? Und wie bereits erwähnt, wurde die Überwachungsaffäre nicht für beendet erklärt? Ich persönlich sehe das etwas anderes, und zumindest bis zur Bundestagswahl (wahrscheinlich länger), werden diese Ereignisse in meinen Gedanken bleiben und meine Wahl entscheidend beeinflussen. Und ich kann nur jedem raten, nein, ich möchte jeden darum bitten, das Gleiche zu tun.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steve König

Männlich, 24 sucht Demokratie zum zusammen alt werden. Ernsthafte Absichten sind ein Muss.

Steve König

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