Was willst du mal werden, wenn du groß bist?

Zukunftspläne Das Piratenschiff ist bei der Bundestagswahl gekentert. Gesunken ist es allerdings noch nicht. Doch was tun, damit es wieder auf Kurs kommt?

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Was willst du mal werden, wenn du groß bist?

Foto: Adam Berry/ AFP/ Getty Images

Wortspiele mit dem Namen der Piratenpartei sind immer eine schöne Sache. Die Assoziation mit Seeräubern lässt, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne, viel Raum für Metaphern aller Art. Einige sind sicherlich über- oder untertrieben, doch die Frage, wohin das Piratenschiff denn segeln will, ist durchaus eine berechtigte. Denn eines sollte klar sein: Mit dem jetzigen Kurs (auch im nicht-metaphorischem Sinn) wird man das Ziel Bundestag langfristig nicht erreichen.

Seit der Bekanntgabe des Ergebnisses der BTW13 versucht man intern und (wenn auch weniger) extern, eine Bilanz zu ziehen. Und genau wie in einem Unternehmen zieht man unter der Bilanz einen Strich und rechnet das Vermögen (die Stimmen) aus. Das vergleicht man dann vorzugsweise mit anderen Bilanzen aus den Vorjahren, um zu sehen, wie man sich denn so geschlagen hat. Doch bekommt man dadurch eine verwertbare Aussage? Ist es für eine Partei so einfach, Aktiva und Passiva aufzustellen und daran zu messen, wie erfolgreich man ist?

Viele setzen dies um, indem sie die Wahlergebnisse von 2009 und 2013 vergleichen. Der einfachsten Vergleich kann man dabei natürlich zwischen den BTW-Ergebnissen ziehen: 2,0% in 2009 vs 2,2% in 2013. Von vielen wird aus diesen Zahlen der Schluss gezogen: Nicht so gut wie erhofft, aber immerhin leichter Zuwachs und die Stammwählerschaft konnte gehalten werden. Diese Aussage trifft wahrscheinlich zu, doch hängt am an ihrem Ende noch ein großes "ABER", dass zu gerne übersehen oder heruntergespielt wird.

Die Kehrseite der Medaille

Um die andere Sicht auf das Ergebnis argumentativ zu stützen, sollte die Zeit zwischen den beiden Wahlen betrachtet werden. 2009 waren die Piraten noch neu, wurden bekannt als Protestpartei mit den Themen Netzpolitik und Urheberrecht. Zwei Prozent sind in diesem Licht betrachtet kein schlechtes Ergebnis für die erste große Wahl (auch wenn einem der Einstieg mit Hilfe von Rechtspopulismus anscheinend noch mehr Prozentpunkte beschert). Ein fast gleiches Ergebnis jedoch bei der zweiten Wahl, vier Jahre danach, ist eine andere Sache. Betrachtet man nur diese Ergebnisse, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich innerhalb dieser vier Jahr in der Partei nichts getan hat. Das ist allerdings, wie den meisten bewusst sein dürfte, nicht der Fall. Und das ist auch der Grund, warum das zweite Ergebnis genauso gut/schlecht wie das erste ausgefallen ist.

Ein weiterer Blick in die Vergangenheit offenbart, dass die Piraten nach ihrer ersten Bundestagswahl durchaus viel Präsenz bekamen und auch gewählt wurden:

  • Berlin: 8,9% (September 2011)
  • Saarland: 7,5% (März 2012)
  • Schleswig-Holstein: 8,2% (Mai 2012)
  • NRW: 7,8% (Mai 2012)

Das sind starke Zahlen, z.T. nur ein gutes Jahr alt. Das waren nicht nur Stamm- oder Protestwähler, das waren Menschen, die an die Ideale der Piraten geglaubt und sie gewählt haben. Betrachtet man dagegen die (vorläufigen) Ergebnisse der BTW13 und schaut sich diese Bundesländer an, sehen die Zahlen, sagen wir, ein wenig anders aus (Quelle, vgl. Seiten 14/15):

  • Berlin: 3,4%
  • Saarland: 2,6%
  • Schleswig-Holstein: 2,0%
  • NRW: 2,2%

Ein direkter Vergleich von Landtagswahlen und den (Zweitstimmen) der Bundestagswahl ist natürlich nicht zwingend aussagekräftig, und doch muss man sich fragen: Wo sind hier die ganzen Wähler, die die Piraten in die Landtage wählten? Noch besser ist natürlich die Frage, die wahrscheinlich jede Partei gerne beantwortet hätte: Warum haben sie mich nicht mehr gewählt?

Die Antwort darauf wird an vielen Stellen gesucht. Oft wird dabei der Wahlkampf selbst als Grund genannt: zu wenig Medienpräsenz, die Medien ignorieren die Piraten, man wird von den politischen Gegnern mundtot gemacht. Nicht genügend Präsenz im Wahlkampf, die Themen wurden nicht gut genug vermittelt. Der Fehler wird im Detail gesucht, es wird über Aufbau und über die Organisation diskutiert. Dabei fand der Umbruch schon viel eher statt.

Um ihn zu finden, nimmt man sich bspw. diese schöne Seite, die Umfrageergebnisse verschiedener Institute über verschiedene Zeiträume auflistet, platziert den Mauszeigen über der Spalte mit der Überschrift "Piraten" und scrollt nach unten. In den 2013er-Umfragen herrschen dabei Werte im Bereich von 2% bis 4% vor. Kommt man dem Jahresanfang näher, tauche die Zahlen 3 und 4 schon häufiger auf. Geht man weiter bis 2012, findet man im November sogar Werte um die 5%, in Oktober/September sogar 6 bis 7%. Und erst im Sommer: Bis zu 10% gibt es da für die Piraten in den Umfragen! Was ist da passiert? Wo sind diese Werte hin?

Nicht von heute auf morgen

Diese Übersicht zeigt anschaulich, dass das Wahlkampfjahr selbst keinen zu großen Unterschied gemacht hat. Die Verluste von bis zu 8% nahmen ihren Anfang bereits Mitte 2012, die Schwankungen in 2013 sind dabei vergleichsweise gering. Bei der Frage nach dem großem "Warum?" gibt es natürlich keine eindeutige Antwort. Mehrere Faktoren fließen an dieser Stelle ein, manche mit größerem Einfluss, manche mit weniger. Auch muss man natürlich beachten, dass Korrelation nicht zwangsweise Kausalität bedingt, wenn man nach Gründen und Zusammenhängen sucht.

Zum Vergleich sollte man die Wähler vor und nach dem "Umbruch" betrachten. Also wer hat gewählt und warum bzw. warum nicht. Das stellt sich natürlich als Schwierigkeit heraus, selbst wenn man geeignetes statistisches Material hat, aber gewisse Gemeinsamkeiten der üblichen Wähler der Piratenpartei sind aus dem Kontext zu schließen: jung, beruflich eher im IT-Umfeld aktiv und privat auch mehr im Netz aktiv als der Durchschnittsdeutsche, eher links-liberal und bürgerrechtlich orientiert als rechts-konservativ. Für das "Wer" sollen diese Kriterien erst einmal reichen. Beim "Warum" wird es natürlich schon schwieriger, doch wenn wir es an den Themen von dieser Zeit fest machen, dann sind es vorrangig die Reformation des Urheberrechts und Netzpolitik (vor allem Netzneutralität und Datenschutz).

Worauf ich hier hinaus will, wird sicher schon deutlich: Das Programm der Piraten. Als die Partei zusätzlich zu den genannten Kernthemen viele weitere Gebiete in Angriff nahm und ein "Vollprogramm" (obwohl es das noch nicht ist) entwickelte, erntete sie dafür viel Kritik. Die ist allerdings nicht komplett berechtigt, denn kritisiert werden sollte eher die Vorgehensweise.

Dass die Piraten ein erweitertes Programm wollten, ist verständlich. Sie waren zu dem Zeitpunkt schon ein paar Jahre auf der politischen Bühne aktiv und wollten eine breitere Wählerschaft erreichen. Man konnte schließlich nicht ewig nur eine "Netzpartei" bleiben. Doch dabei verlor man genau diesen Punkt, der einen einst stark machte, zu sehr aus den Augen. Dazu kamen natürlich interne Auseinandersetungen wie bspw. über LiquidFeedback und gewisse Partei-Persönlichkeiten. Das äußere Bild bekam Kratzer ab, Wähler fühlten sich enttäuscht und wandten sich ab. Viele dieser Probleme sind heute geklärt oder zumindest entschärft, doch das drang bis jetzt nicht medienwirksam nach außen (Medienblockade usw.)

Was nun?

Maßnahmen dagegen gibt es viele; zu viele, als dass man sie hier alle behandeln könnte. Ein paar Ansätze möchte ich jedoch anführen. Das Thema Außenwirkung springt einen dabei förmlich an. Doch um diese ändern zu können, muss innen erst einmal alles stimmig sein. Viele Mitglieder erklären die scheinbare Zerstrittenheit als Folge des basisdemokratischen Ansatzes. Damit haben sie nur bedingt recht, denn wie heißt es so schön: Der Ton macht die Musik. Egal ob auf Twitter, Facebook oder in den Verteilerlisten: sarkastische und ironische Bemerkungen, teilweise auch Arroganz und "Ich-hab-Recht"-Attitüden sind keine Seltenheit. Das muss sich als erstes ändern, wenn man eine bessere Außenwirkung will. Denn im Gegensatz zu den anderen Parteien sind diese Diskussionen öffentlich zugänglich (und das ist auch gut so).

Direkt im Anschluss kommt das Thema Programm. Es ist in den letzten Monaten definitiv besser geworden, man konnte Standpunkte ausweiten und festigen. Und doch hinterlässt es das Gefühl, dass die Piraten sich nicht mehr stark von anderen Parteien abgrenzen. Man sollte sich intensiver auf Punkte konzentrieren, die sich als wichtig erwiesen haben und bereits Anklang bei der Wählerschaft gefunden haben. Das marode, zugunsten der Wirtschaft ausgelegte Urheberrecht reformieren, die Grundrechte im Netz gesetzlich verankern, die Netzneutralität sichern. Das sind Themen, warum die Partei gewählt wurde. Sie sind nicht verschwunden, aber sie wurden ein wenig aus den Augen verloren.

Das heißt natürlich nicht, dass das komplette Programm zusammengestrichen werden sollte. Offene Regierung und Basisdemokratie sind bspw. sehr wichtige Ansätze, die einerseits Hand in Hand mit anderen Themen gehen (siehe Spionageaffäre) und andererseits auch Menschen interessieren, die sonst eher weniger typische Piratenwähler sind. Nach all den Bestechungs- und Lobbyaffären gibt es sicher viele Menschen, die sich mehr Transparenz wünschen. Man muss ihnen allerdings auch zeigen, dass es funktionieren kann und als gutes Vorbild vorangehen (*zwinker zwinker*)

Es ist ein Dilemma für (echte) bürgerrechtliche Parteien. Vielen Menschen in Deutschland geht es gut, Themen wie die NSA-Affäre tangieren sie nur am Rand, solange sie weiterhin Google, Facebook und Amazon nutzen können. Die Arbeitslosenquote ist gesunken, gegen Ausländer hat man eigentlich nichts, aber.. und mit der Regierung ist man im Großen und Ganzen zufrieden. Es ist schwer, zufriedenen Menschen die Augen gegenüber Missständen zu öffnen. Nicht, weil sie diese nicht sehen, sondern weil sie diese nicht sehen wollen. Vielleicht sind die Piraten besser beraten, wenn sie sich, zumindest vorerst, auf die Menschen konzentrieren, die diese sehen und sehen wollen. Diese ehemalige (und hoffentlich zukünftige) Wählerschaft kann den Piraten den Weg in die Kommunen, in die Landesparlamente und nicht zuletzt in den Bundestag ebenen. Und von diesem Standpunkt aus kann man sich erweitern und andere Themen stärker in Angriff nehmen. Die Piraten haben sich nicht den Wind aus den Segeln nehmen lassen und kommen, hoffentlich, auf den richtigen Kurs, in welche Richtung er sie auch immer führen mag.

PS: Tut mir Leid, ein letztes Wortspiel konnte ich mir nicht verkneifen.

Disclaimer: Der Autor ist selbst Mitglied in der Piratenpartei seit September 2013 und dieser Beitrag spiegelt seine persönliche Meinung wieder.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steve König

Männlich, 24 sucht Demokratie zum zusammen alt werden. Ernsthafte Absichten sind ein Muss.

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