Mit Kamel und E-Gitarre

Fernsehtipp Seit zwölf Jahren findet das Musikfestival au Désert in der Wüste Malis statt. 2011 hat Désirée von Trotha die Musiker und Besucher mit der Kamera begleitet

“Gratulation an Bombino aus dem Niger! Er hat sich der Kalaschnikow verweigert und stattdessen zur Gitarre gegriffen!” Mit diesen Worten beginnt Woodstock in Timbuktu – die Kunst des Widerstandes, den der WDR heute um 23:15 zeigt. Der Titel ist gut gewählt. Denn wie soll man sich das legendäre love, peace and happiness Konzert von 1969 mit Joan Baez, Joe Cocker und Jimi Hendrix in der sagenumwobenen Wüstenstadt am Rande der Sahara vorstellen? Eins macht die erste Einstellung sofort klar: Einen Jimi Hendrix haben sie hier auch. Nur eben einen, der nach dem Bürgerkrieg in den 90er Jahren in Mali seine Waffe gegen eine E-Gitarre eingetauscht hat und die traditionelle Bekleidung der Touareg-Nomaden trägt.

Die Dokumentation von Désirée von Trotha folgt über drei Tage dem Festival au Désert, dass im Januar 2011 vor den Toren Timbuktus in Mali stattfand. Seit elf Jahren gibt es das Musikfestival, das Besucher aus aller Welt anlockt und von Touareg oder Kel Tamashek wie sie sich selbst nennen, organisiert wird. Die Konzerte finden gleichzeitig mit dem traditionellen Treffen der Nomaden statt, bei dem sich Familien und Clans auf ihrem Weg in den Norden Malis in Timbuktu begegnen. Für die Kel Tamashek ist das Festival au Désert deshalb ein Spagat zwischen einer kulturellen Öffnung und der Bewahrung ihrer nomadischen Kultur.

Mit dem legendären Konzert in Woodstock hat das Festival au Désert vor allem seine weltoffene und friedliche Haltung gemein. Der Film stellt in Interviews nicht nur die Organisatoren und Musiker des Festivals vor, sondern geht auch auf die Probleme ein, mit denen sich die Kel Tamashek als Nomaden im Vielvölkerstaat Mali konfrontiert sehen. In einem spannungsreichen Umfeld aus Armut, Wasserknappheit, Islamisten und dem malischen Staat versuchte das Festival au Désert für Verständigung und Frieden zu stehen.

Angenehm unaufgeregt zeigt von Trotha das Festival 2011. Die Musiker bei ihren Auftritten nimmt sie genauso in den Blick wie die Besucher. Dass sie als Fotografin gearbeitet hat, sieht man dem Film an. Die Touareg in ihren traditionellen Gewändern, die Kamele, die Wüstenlandschaft, jede Einstellung könnte eine Fotografie sein. Durchbrochen werden diese Reiseführermotive von Aufnahmen, die Alltägliches zeigen und das Afrika-Bild des Zuschauers durcheinander rütteln: Die Organisatoren des Festivals arbeiten selbstverständlich an einem MacBook. Und Touareg-Frauen schauen gerne französische Serien im Fernsehen und schreiben per Handy SMS.

Timbuktu vor den Islamisten

Es stimmt ein bisschen wehmütig den Film zu sehen, zeigt er doch ein Timbuktu bevor Touareg Rebellen und die islamistische Gruppierung Ansar Dine den autonomen Wüstenstaat Azawad im Norden Malis ausgerufen und Islamisten einen Großteil der Weltkulturerbe-Stätten in der Wüstenstadt zerstört haben. Der Rückblick, den der Film auf den Bürgerkrieg in den 1990er Jahren bietet, wirkt wie eine Vorschau auf die Ereignisse des Frühjahrs 2012.

Die Dokumentation versucht dabei nicht, ein objektives Bild des Geschehens zu zeigen. Im Gegenteil: Man merkt den Aufnahmen an, dass Désirée von Trotha versucht, die Zuschauer für die Kel Tamashek, ihre Lebensweise und die Wüste einzunehmen. Immerhin lebt sie selbst seit mehr als zwei Dekaden für jeweils sechs Monate im Jahr bei den Nomaden in der Sahara. Vielleicht ist es auch diese Verbundenheit, die sie selbst im Film auftreten lässt. Man sieht die Regisseurin sowohl als Besucherin des Festivals als auch im Gespräch mit ihren Interviewpartnern. Im Gegensatz zu klassischen Dokumentationen behauptet sie also nicht einen Standpunkt außerhalb des Geschehens einzunehmen.

Einen kleinen Wermutstropfen hat dieser sehenswerte Film allerdings: Désirée von Trotha erklärt die Situation der Kel Tamashek sehr ausführlich und fast schon bevormundend. Sie hätte ihren eigenen Aufnahmen ruhig mehr zutrauen können. Die Geschichte der Nomaden bedarf nicht immer eines erklärenden Kommentars. Und vor allem hätte sie ihrem Publikum zutrauen können, selbst die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Woodstock in Timbuktu von Désirée von Trotha läuft am 13. Septemer 2012 um 23:15 im WDR

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