Filz der Funktionäre

Neustart Mehrere Altpolitiker haben sich für eine Fusion von Linken und SPD ausgesprochen. Fraglich ist nur, welche SPD gemeint ist

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Wie sieht die Zukunft der SPD aus?
Wie sieht die Zukunft der SPD aus?

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Ist eine Mehrheit unter den Wählern der SPD dagegen, dass zum Beispiel Edward Snowden in Deutschland politisches Asyl bekommt? Sind ihre wirtschaftlichen Vorstellungen näher bei Hans-Werner Sinn als bei Heiner Flassbeck, Yannis Varoufakis oder Thomas Piketty? Sind sie dafür, dass man umweltschädliche Kraftwerke subventioniert? Finden sie Hartz-IV-Sanktionen in Ordnung und gehen sie mit den ganzen sachgrundlosen Befristungen d’accord? Sind sie für die Erhöhung des Rüstungsetats?

Ich weiß es nicht. Keiner weiß das wirklich. Freunde dieser Politik, Funktionäre, Bürgermeister, Minister a.D., nennen sich jedenfalls „die wahre SPD“. Sie wollen kein Rot-Rot-Grün, keine Verstaatlichungsdebatten, sondern eine solide Politik der „linken Mitte“. Eine Art Union ohne ihre Rechtsausleger. Vor 20 Jahren galt das mal als ein unschlagbares Erfolgsrezept und Parteienforscher stellten sich die Frage, ob die Union jemals wieder regieren würde. Doch dann verweigerte der linke Rand der liberalen Führung die Gefolgschaft: die Linkspartei ist entstanden. Sie wollte die SPD von außen, ob als gnadenlose Konkurrentin oder als unbequeme Koalitionspartnerin, wieder nach links prügeln und zur vollumfänglichen Revision der Politik der Schröderjahre zwingen. Daran ist die Linke gescheitert. Weder ist sie den Weg der Syriza gegangen und hat die diskreditierte SPD abgelöst, noch konnte sie die SPD in eine dezidiert linke Koalition locken. Weder 2005-2009 noch 2013-2017 haben die Sozialdemokraten nach dem Kanzleramt gegriffen. „Die wahre SPD“ setzte sich durch, mit allen bekannten Folgen für die politische Kultur im Land.

Überhaupt war „die wahre SPD“ immer stärker als die SPD der schönen Worte und ambitionierten Wahlprogramme. Das ist nicht die Schuld der Sozialdemokraten, sondern liegt schlichtweg an der inneren Verfasstheit der deutschen Parteien, in denen Funktionäre und Amtsträger immer ein Übergewicht gegenüber der Basis haben. Auf Parteitagen und in anderen Gremien entscheiden halbe Berufspolitiker, die gerne ganze Berufspolitiker werden wollen und sich in Patronagenetzwerke von Menschen in Amt und Würden einbinden lassen. Selbst Mitgliederentscheide sind niemals Ergebnisse einer unbefangenen Meinungsbildung zu einer Sachfrage: die entsprechenden Mehrheiten werden über dieselben Patronagenetzwerke organisiert. Und auch wenn in Zeiten der Krise Parteirebellen ihr Haupt erheben, wie Frank Schäffler seinerzeit in der FDP oder eben Kevin Kühnert bei der Abstimmung zur Großen Koalition, können sie den Kurs ihrer Partei allgemein nicht ändern.

Die Linke ist da in vielerlei Hinsicht anders. Während es in der SPD als ein Skandal galt, dass Müntefering seinen Wasserhövel nicht als Generalsekretär durchbekam, war die knappe Kampfabstimmung um den äquivalenten Posten in der Linken auf dem letzten Parteitag kaum eine Notiz in der Presse wert: man redete über die inhaltliche Rede von Sahra Wagenknecht und die hitzige Debatte im Anschluss daran. Die Genoss*innen nahmen dabei keinen Blatt vor den Mund und schimpften ihre Fraktionsvorsitzende teilweise aus wie ein ungezogenes Kind. Auch der Ministerpräsident Ramelow und die Angehörigen der Regierung in Berlin oder Brandenburg sind in der Partei keineswegs unberührbar. Der einmalige „Winterabschiebestopp“, den der Ministerpräsident verhängt hatte, wurde ihm in der Partei nicht etwa als ein Verdienst angerechnet: er wurde stattdessen gefragt, warum in den darauffolgenden Wintern wieder abgeschoben wurde. Gegen die Brandenburger Abgeordneten, die dem Polizeiaufgabengesetz zugestimmt haben, wurden prompt Parteiausschlussverfahren beantragt.

Dieser rebellische Geist der Linken ist kein Zufall. Die Partei versammelte schon bei ihrer Gründung lauter Menschen, die bei der SPD und den Grünen mit viel Aufwand und Herzblut an der Basis arbeiteten, nur um von ihrer Funktionärsriege das politische Gegenteil dessen vorgesetzt zu bekommen, wofür sie kämpften. Asylkompromiss 1994, Kosovokrieg 1998, Arbeitsmarktreformen 2003 und Studiengebühren 2005 steckten ihnen in den Knochen. Bastapolitik war mit dieser Partei nie zu machen. Selbst Koalitionsverhandlungen als solche waren ihr verdächtig. Zugleich ist die Linke eine Partei, die nur selten in Regierungsverantwortung steht. Die Phalanx der Bürgermeister und Minister in der Linken ist klein und ostdeutsch. Und auch die jüngeren Genossen, die in den letzten Jahren zur Linken stießen, gingen bewusst nicht in eine Partei, mit der sie Kommunalpolitiker und Mandatsträger werden können oder die ihnen irgendwelche Vorteile im Staatsdienst verheißt: sie traten der Linken vor allem aus einer idealistischen Identifikation mit den Zielen der Partei bei. Im Streit um die richtige Migrationspolitik haben auch sie schon bewiesen, dass sie nicht einfach parieren, wenn ein wichtiger Genosse was ansagt.

Dieser Unterschied in der politischen Kultur ist es, was eine Fusion der Linken mit der SPD so aberwitzig erscheinen lässt. Nicht die Haltung zur NATO, nicht die Nuancen der sozialen Frage, nein: die innerparteiliche Demokratie ist es, die den Unterschied macht. Es wird ausgesprochen schwer sein, den diese Demokratie gewohnten Genoss*innen zu vermitteln, warum man als eine 8%-Partei einer 12%-Partei beitritt, die bei den jungen Wählern völlig diskreditiert ist und einen wahnsinnigen Wasserkopf an ambitionierten, aber gescheiterten Politikern mitschleppt. Denn um nichts anderes als einen Beitritt würde es sich handeln: mag man sich in der Wählergunst auch noch so sehr in Richtung Augenhöhe bewegt haben, hat die SPD immer noch die siebenfache Anzahl an Mitgliedern. Die Positionen der Linkspartei wären in der neuen Fusionspartei randständig, weil man nirgends die Mehrheiten hätte und gegen die „wahre SPD“ genauso wenig Sonne sehen würde wie Kevin Kühnert auch. Das machen weder die Leute mit, die einst erzürnt bei der SPD oder den Grünen die Türe zugeknallt haben, noch diejenigen, die heute trotz der weitaus besseren Karriereoptionen lieber bei der Linken vorstellig wurden. Niemand ist bei der Linken, weil er in einer Koalition mit der CDU oder der FDP regieren will. Niemand wählt sie, um einer solchen Koalition seine Stimme zu geben.

Die SPD wird sich selbst verändern müssen, wenn sie jenseits der greisen schon-immer-SPD-Wähler noch Menschen erreichen will. Dazu müssen die Strukturen entmachtet werden, die sie zur drögen Funktionärspartei machen und jede Beweglichkeit im Keim ersticken. Das können Leute aus der Linkspartei nicht für die SPD übernehmen. Sie sind gar keine so guten Netzwerker, wie sie nötig wären, um mit dem innerparteilichen Filz der SPD aufzuräumen. Was sie besser können, ist Wähler erreichen. Auf ein Mitglied der Linken gingen bei der letzten Bundestagswahl 70 Wähler, auf ein Mitglied der SPD 20 – und die neuesten Umfragen verheißen keine Besserung des Verhältnisses. Die Linkspartei ist seit Jahren stabil bei ihren 7-11%. Sie kann mit der SPD gegebenenfalls koalieren, wenn die SPD es einmal ernst mit einem Politikwechsel meint. Aber aus ihrem Loch rauskommen muss die SPD schon selbst. Dazu muss sie nicht zwingend so werden wie die Linkspartei. Sie muss aber ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und den Leuten, die gerade CDU, Grüne, FDP und meinetwegen auch die Linke wählen wollen, einen Grund geben, der Sozialdemokratie doch wieder eine Chance zu geben. Hat die SPD diesen Neustart hinbekommen, hat sie erst einmal geklärt, welche SPD jetzt die „wahre“ ist, kann sie sich eine Fusion überlegen – vielleicht mit der Linken, vielleicht mit der Union. Je nach dem.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anton Stortchilov

Ein Linker aus Hessen.

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