Von Biden und Böhmermann

Rezeption der US-Wahlen Die gesellschaftliche Linke freut sich über Bidens Sieg, als ob es ihrer wäre. Erbaulicher indessen ist Böhmermanns sehenswertes „ZDF Magazin Royale“

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Es gibt wenig schöneres für die liberalkonservative Politik der Alternativlosigkeit als eine „Gefahr von Rechts“. Ein hässlicher, unanständiger Populist, der alle niederen Impulse der Menschen mobilisiert
Es gibt wenig schöneres für die liberalkonservative Politik der Alternativlosigkeit als eine „Gefahr von Rechts“. Ein hässlicher, unanständiger Populist, der alle niederen Impulse der Menschen mobilisiert

Foto: Robyn Beck/AFP/Getty Images

„Make America Great Again“, fordert der Spiegel Joe Biden auf. Führe uns, vom Steuer der Führungsmacht aus, in eine heile, versöhnte, vernünftige Welt. Eine Welt, in der die klugen Wissenschaftler und erfahrenen Experten uns sagen, wo es lang geht und nicht etwa gierige Geschäftsleute oder dämliche Demagogen. Wo wohlartikulierte Menschen mit Abitur nach einer tiefsinnigen Debatte entscheiden, was zu tun ist und nicht irgendwelche schielenden, nach Schnaps stinkenden Spinner, die ihre halbseidene Wahrheit im Internet aufgegabelt haben und, wie jüngst in Leipzig, wie eine regelrechte Affenhorde durch die Stadt ziehen.

Es gibt wenig schöneres für die liberalkonservative Politik der Alternativlosigkeit als eine „Gefahr von Rechts“. Ein hässlicher, unanständiger Populist, der alle niederen Impulse der Menschen mobilisiert; der noch den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel, zum Coronavirus und zu was nicht in Frage stellt und am laufenden Band unverhohlen rassistisch und sexistisch vor sich hin brabbelt ist ihnen ein Geschenk des Himmels. Denn eines weiß man definitiv: Die Linken werden wie ein Mann parat stehen und den Liberalkonservativen vor dem Faschisten verteidigen. Was bleibt uns allen auch anderes übrig? Wenn wir schon in der Verteilungsfrage recht wenig mitzureden haben, so können wir wenigstens die basalen zivilisatorischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts vor einem Rollback bewahren: das Recht der Frau, über ihren Körper zu bestimmen, zum Beispiel. Wurde es nicht zuletzt in Polen wieder angegriffen? Die Absicht, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen; irgendwelche Mindestmaßnahmen, um eine Überforderung der Krankenhäuser zu unterbinden – all das finden wir gut, all das versetzt uns zugleich in ein Boot mit der CDU, mit dem Gelbwestenverprügler Macron oder eben mit Joe Biden. Aus dieser unsichtbaren Koalition von Linksaußen bis zur Mitte bezieht der hässliche Populist wiederum seine Kraft, indem er triumphierend auf die angebliche Komplizenschaft zwischen der „globalistischen Plutokratie“ und dem „Kulturbolschewismus“ hindeutet, damit den Klassenhass in altbewährter Manier antisemitisch umleitet und für die eigene Sache nutzbar macht.

Was tun? Darauf hat ausgerechnet Jan Böhmermann in seiner neuen Sendung recht eloquent geantwortet: „die Durchgeballerten bei Telegram sind das, was schmelzende Eisberge und heiße Dürresommer für den Klimawahnsinn sind. Symptome und Warnzeichen eines größeren Problems“ – und zwar der ökonomischen Ungleichheit. Über diese gilt es aufzuklären, was Böhmermann auf seinem Telegramkanal auch selbst in Angriff nehmen will. Denn wenn man weiß, dass Antisemitismus (und darauf läuft der Verschwörungsglaube immer hinaus) der „Sozialismus der dummen Kerls“ ist, dann weiß man auch, dass er nur durch eine vernünftige Kritik der bestehenden sozialen Verhältnisse zu widerlegen ist. Eine Kritik, die auch die Joe Bidens dieser Welt nicht aus der Pflicht entlassen darf; die klar benennen muss, in wessen Interesse sie eben agieren und dass sie sich mit den Trumps in den meisten Fragen einig sind.

Dem Spiegel gefällt eine solche Herangehensweise natürlich nicht. Warum bleibt Böhmermann denn nicht einfach dabei, die dummen, ungebildeten Hildmanns, Naidoos, Wendlers abzuwatschen? So wird es nichts, mit dem gemeinsamen Marsch zum Pfad der Tugend, zum Licht der Vernunft. Vielleicht aber sollten wir, die wir uns links von so tugendhaften Patriarchen wie Kretschmann, Biden, van der Bellen wiederfinden, da auch gar nicht gemeinsam marschieren wollen. Vielleicht sollten wir den Sieg Bidens als die leichte Besserung der Kampfbedingungen zur Kenntnis nehmen, die sie ist: Es ist schön, dass er gewonnen hat. Er wird leichter zu bekämpfen sein. Und zu bekämpfen ist er auf der Ebene der Verteilungsfrage.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anton Stortchilov

Ein Linker aus Hessen.

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