Allahu Ohlsdorf!

Berlin - Hamburg Ein Städtevergleich

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Neulich hatte ich eine Diskussion mit einem immer besseren Bekannten, die damit begann, dass ich ihm von meinem ersten Besuch in Hamburg vorschwärmte. (Ja tatsächlich, meinem ersten, sieht man von kurzen, vagen Kindheitserinnerungen ab, die im Wesentlichen aus einem Blick auf eine in eine Kurve geneigte S-Bahn bestehen.) Ich habe, wie immer, wenn ich unterwegs bin, die touristischen Pfade nur beschritten, wo es unbedingt nötig war und sie so rasch wie möglich wieder verlassen. Ich bin nämlich versierter ÖPNV-User und Fußgänger, beides Eigenschaften, die ich mir, man verzeihe mir das Selbstlob, hoch anrechne. So hoch, dass sie es mir erlauben, with a sneer auf die blökende Touristenmasse herabzurotzen, die die Tauentzien- und die Mönckebergstraße hinauf und herunter sich wälzt und für die Rathausmarkt und Gedächtniskirche, Potsdamer Platz und Jungfernstieg nur austauschbare, mit der jeweiligen Lokalcouleur besprenkelte Kulissen sind, aufgestellt, damit sich niemand fremd fühlt und am Ende gar verläuft. Ausgenommen werden sie hier wie dort und finden das auch noch schön. Aber wer aus Hannover kommt, findet's bekanntlich überall schön.

Wie sich vielleicht inzwischen denken lässt, lebe ich in Berlin und habe meine Nase in den vorstehenden Zeilen auch darum so hoch geschraubt. Ein anderer Grund liegt natürlich darin, dass ich irgendwie meinem Einleitungssatz einen Sinn geben muss. In der Diskussion nämlich mit dem immer besseren Bekannten schwärmte ich davon, wie gelassen mir Hamburg doch erscheint und wie selbstverständlich es doch es selbst sei, ganz im Unterschied zu Berlin, das beständig und aufgeregt mit dem Finger schnipsend am Bein der Geschichte hochspringt und "Aber ich bin doch auch noch hier! Ich hab auch Brot und Butter!" ruft. (Dem widersprechen, mag man glauben, die Pinguine in der Friedrichstraße, die alle rumlaufen, als schauten die Völker der Welt immer noch unentwegt auf diese Stadt und darin ausgerechnet auf sie. Aber der Widerspruch ist nur ein scheinbarer, diese Leute sind alle zugezogen, vermutlich aus Schwaben.) Mit meinen Sottisen konnte ich jedoch kein bisschen punkten, im Gegenteil. Mein Bekannter führte nämlich ins Feld, dass er eine ganze Zeitlang in Hamburg gelebt habe und jetzt schon einige Jahre in Berlin, und dass es ihn auch jetzt noch immer wieder erleichtere und erfreue zu erleben, wie tolerant und lässig und locker Berlin doch sei. Im Gegensatz zu Hamburg, wo man eben nicht selbstverständlich man selbst sei, sondern selbstverständlich stets eben darauf poche und somit klar mache, jemand Besseres zu sein, kurz: wo man die Nase in für jeden anderen erniedrigender Höhe trage.

Nun könnte man darauf verweisen, dass der echte Berliner, also der, der die Mauer und Eberhard Diepgen überstanden hat und jetzt auch Mehdorns Rache lässig wegsteckt, dass dieser Berliner eben nicht tolerant, sondern ignorant sei und dass das Verkaufen des anderen für das eine wesentlicher Bestandteil dessen sei, was man den Berliner Mutterwitz nennt. Aber darauf will ich gar nicht hinaus. Ich will auch nicht darauf hinaus, dass die Nasenhöhe in Schmargendorf oder Wannsee sich wohl kaum hinter der in Harvestehude verstecken muss und dass Buckow und Tonndorf einander bequem am After riechen könnten, ohne dass einer von ihnen sich dazu bücken müsste. Auf all das will ich nicht hinaus, denn das sind Diskussionen, die nirgendwoanders enden als bei dem sicheren Gefühl: schad ums Bier.

Worauf ich hinaus will, ist natürlich ganz einfach: Ich will recht haben! Das ist ja das Schöne am Schreiben, dass man nachträglich recht haben kann, indem man nämlich einfach ein paar neue Argumente auftischt, die der andere dann nurmehr lesen kann und dann vielleicht kraftlos "Ja, aber" sagen und doch schon verloren hat. Ich war nämlich heute nochmal in Hamburg.

Es gibt in Berlin das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park, das einen eigenen Text verdient hätte, denn es ist mein liebster Platz in der ganzen Stadt, wenn ich mal so richtig, aber so ganz richtig mies drauf bin. Denn dann ist ein Sonnenaufgang im Winter über diesem realsozialistischen Gotteshaus das Imposanteste und zugleich das Niederschmetterndste, was ich in so einer Stimmung gerade gebrauchen kann. - In Hamburg gibt es den Ohlsdorfer Friedhof, da war ich heute. Ich weiß jetzt schon, dass das der mir liebste Ort in dieser Stadt ist und bleiben wird, und ich freue mich darauf, ihn über die Jahre zu begleiten. Denn man wandelt dort durch parkene Poesie. Klar gibt es auch hier den üblichen Nazarenerkitsch, klar gibt es die selbstgeadelten Pfeffersäcke, die noch unter der Erde auf ihre angekaufte Würde achten. Aber es gibt auch einen so schlichten, so ganz ohne Pathos und unaufdringlich sich eröffnenden Gedenkort wie den der Hamburger Feuerwehr. Auf manchen Grabstein legte jemand in zarter Geste einen Kiesel. Und zwischen den vielen Kreuzen und den hohl trabenden Bibelsprüchen gibt es dort, ganz selbstverständlich und als habe man sich nichts dabei gedacht, das Grab einer Araberin und das eines Türken, dazwischen liegt ein Grieche und um die Ecke, ganz ohne jeden Unterschied liest man zwischen zwei deutschen Namen einen persischen.

Und dafür, Hamburg, dafür lieb ich dich.

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