In dulci iubilo

Populismus Wie es kommt, dass es kommt, wie es kommt.

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I

Sonne, Landschaft, ein Acker. Spatzen prügeln sich um eine Distel, mutige Tauben haben Klumpen, wo zaghafte Zehen tragen. Ein paar Krähen hacken einander die Augen aus. Häuser, ein Platz, ein Podium, eine Tribüne, ein Podest, etwas Großes. Ein Idyll.
Ein Idyll, also braucht es Musik. Die Freiwillige Feuerwehr schwirrt herab auf das Podium, Amsel, Drossel, Fink und Meise stimmen ihre Instrumente.
Ein Rauschen in der Luft, ein zweites, ganz viele. Die Störche finden sich ein. Klapper die Schnäbel klapp, klapper die Schnäbel klapp, klapper die Schnäbel klapp, löapperdiklapp, klapperaklapp. Sie nehmen Platz auf der Tribüne. Sie picken Zeichen in ihre Telefone, man hat so viel zu sagen, man ist ganz still. Wer nichts zu sagen hat, ist auch still und häkelt oder strickt, was aussieht wie Söckchen, aber doch Beutelchen sind für Telefone, Rosé und Bleu, zartes Lileu. Zwei Elstern servieren Punsch. Ein zappelnder Kapaun besingt seinen umwerfenden Humor und sich selbst. Niemand hört zu.

Es rauscht erneut, klapper die Schnäbel klapp. Der Herr Bürgermeister schwebt ein mitsamt Frau Gemahlin. Sein Amt ist verdient, er hat mal ein Ei gelegt. Es ist groß, gefällig rund, eine Zierde auf dem Sideboard. Seine Gattin, er hilft ihr beim Falten der Flügel, seine Gattin legt Eier in klein und dafür ganz viele. Die sind nicht beschwerlich, sagt sie, und überhaupt: Fällt eines mal runter, fällt’s nicht so auf. Klapper die Schnäbel klapp, klapperaklapp. Sie werden begrüßt, sie danken huldvoll. Zwei Elstern servieren Punsch. Der zappelnde Kapaun besingt den Herrn Bürgermeister, die Frau Bürgermeister, seinen umwerfenden Humor und sich selbst. Niemand sieht hin.

II

Ach, welch ein herrlicher Tag!
Sind sie nicht goldig, die Tauben beim Spiel? Und so kluge Tiere, so klug!
Schau nur die Spatzen, wie frech und wie lebhaft!
Ja ja, der freche Spatz, der freche Spatz, ein wahres Wort. Klein und zäh, klein und zäh.
Und so frech, ich sag's ja.
Hach, man müsste nochmal jung sein. Bei dem Wetter!
Und wie viele Krähen es heute gibt.
Da fällt mir ein: Wie geht’s deinem Garten?
Was machen die Eltern?
Die Kinder gesund?
Das Knie wieder heil?
Wohin in den Ferien?
Hier noch jemand einen Punsch?

III

Da brausen die Lüfte, ein Ausruf erschallt: Der Marabu! Der Marabu! Klapper die Schnäbel klapp, auf, auf sprossen die Telefone, man darf nichts verpassen! Der Marabu senkt sich, er schwenkt sich herab, er landet mit großem Aplomb. Er schreitet, vom Bürgermeister geleitet, von Tusch und von Marschtritt, Hurra! Hurra! Hurra! Er steigt gemessen, gemessen steigt er zwei Stufen empor, er wendet zum Volk sich.
Er wartet.
Ein Storch stupst seinen Nachbarn an: Sieh nur, die Krähen! Fällt dir nichts auf?
Scht klapp!
Man schweigt. Der Marabu fasst sich. Er beginnt:
”Lorem ipsum! Dolor sit amet! Consectetur! Adipisici elit, sed eiusmod tempor -”
Man kennt das, man weiß, was jetzt kommt, man hat es so oft schon gehört, man liest es morgens, man hört es abends, man kennt jedes Wort. Unermessliches Leid, nicht zu tilgende Schuld, ewige Mahnung, nie wieder. Hülsen, gestanzt aus blechernem Band. Man kennt es, deshalb ist man hier, es ist so erhebend, man denkt nichts dabei. Dulce et decorum est in culpa esse.
Was ist mit den Krähen, fragt einer, es werden so viele?
Man hüstelt indigniert. Was gehn uns die Kräh’n an? Krähen sind Pack.
Aber so seht doch, sie hacken einander -
Man hustet vernehmlich, man zischt auf ihn ein: Das stimmt nicht, das träumst du, so etwas geschieht nicht, nicht mehr seit damals, das weiß jedes Kind, deshalb sind wir hier. Scht klapp! Scht klapp!
Dulce et decorum est in culpa esse.

IV

Die Rede endigt, es naht der Moment, die Telefone sprossen wie nie. Der Marabu dreht sich, man reicht ihm ein Seil, dran zieht er, ein Tuch fällt herab, und dahinter erscheint auf steinernem Sockel ein Denkmal aus Gold: zwei storchgroße Krähen, die Augen sind leer.
Befriedigt singt man die Nationalhymne.

V

Sonne, Landschaft, ein Acker. Häuser, ein Festplatz. Ein Idyll. Die Krähen kacken das Denkmal voll. Zerzaust liegt ein Storch, ein einzelner Storch, die Augen sind leer. Klapper die Schnäbel klapp, klapper - das träumt er jetzt wirklich.
Selber schuld.

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