Der Turmbau zu Babel

KEHRSEITE Montag: Kommunikationstraining. Die Frau stöhnt leise, schon beim Aufwachen. Was soll sie anziehen? Das rollenspiel-erprobte Businesskostüm oder ...

Montag: Kommunikationstraining. Die Frau stöhnt leise, schon beim Aufwachen. Was soll sie anziehen? Das rollenspiel-erprobte Businesskostüm oder etwas Bequemes für die unausweichlichen Entspannungsübungen zwischendurch?

Im Trainingsraum trifft sie die anderen, manche sind unsicher, andere erwartungsvoll. Einer ist genervt, wippt ungeduldig mit dem Fuß. Er weiß, sein Büroschreibtisch ist brechend voll, und er hat wirklich Wichtigeres zu tun, als mit albernen Spielchen seine Zeit zu verplempern.

"Heute brauche ich zwei Gruppen", sagt die Trainerin, "eine Hälfte wartet vor der Tür". Die Frau geht mit hinaus. Als sie wieder hineinkommen, erfahren sie: Einen Turm sollen sie bauen, mit Pappkärtchen, Schere und Kleber, so hoch wie möglich, aber transportfähig. Und was machen die anderen so lange? "Die schauen euch zu, auf geht's!"

Die TurmbauerInnen sind missmutig, fühlen sich wie Tiere im Zoo. Und dann: absurd, so ein Turm aus Papier, Kindergartenkram. Normalerweise, denkt die Frau, die einen Bauberuf gelernt hat, normalerweise entsteht ein Bauwerk zuerst als Idee, dann als Zeichnung. Der Plan wird viele Male besprochen und geändert. Vielleicht wird später ein Modell gebaut und erst ganz zum Schluss der Turm selbst. Und hier bauen wir einfach drauflos?

Die Beobachtungsgruppe verzieht keine Miene, schweigt und führt Strichlisten. So fügen sich die Bauleute in ihre Aufgabe, hocken sich zum Basteln auf den Boden. Nun trüge sie lieber Jeans, denkt die kurzberockte Frau. Sie setzt sich auf einen Stuhl, fühlt sich nicht wohl da oben, erhaben über den anderen, distanziert.

Doch entziehen kann sie sich dem Bauvorhaben nicht. Sie probiert, die Pappstreifen zusammenzustecken, jedes Stockwerk ein Viererelement. Sie schlägt es den anderen vor, freut sich, als ihre Idee angenommen wird. Alle arbeiten sich den gemeinsamen Turm hinauf, ohne störende Zieldiskussion, ohne Kompetenzgerangel. Scheren und Klebstoff kreisen. Verbesserungsvorschläge werden pragmatisch angenommen oder verworfen. Selbst die Entscheidung, ob das (heftig schwankende) Gebäude nun fertig ist, fällt fast einstimmig.

Es folgen Bewährungsprobe und Präsentation des Pappkameraden. Viele stützende Hände und ein Lift bringen das Werk zur Seminarleitung, eine Etage tiefer. Kichern, Gelächter, aufgeregte Stimmen, der gesamte Turmbautrupp engagiert sich, drängt durch eine schmale Tür, das Werk vorzustellen.

Auch die Frau zwängt sich ins Zimmer. Vor ihr bilden breite Männerrücken eine undurchsichtige Mauer.

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