Morgens um viertel vor fünf ist es nachtdunkel. Ich quäle mich aus dem Bett und radele durch die merkwürdig stille Stadt München. Nebelkissen steigen aus den Wiesen im englischen Garten, die Strassen sind leer. Erst rund um den Hof des Abfallwirtschaftsbetriebs wird es lebendig, es ist inzwischen sechs Uhr. Männer in Orange kommen und gehen, darunter auch der Müllfahrer Hans Eder. Mit ihm und den Müllladern Fritz Gattinger, Messud Eker und Orhan Özdemir werde ich heute eine Schicht verbringen. Hier sprechen sich alle mit dem Vornamen an. Hans führt mich in die Halle, wo die großen Müllautos stehen, drei hohe Stufen, dann sitze ich im Führerhaus. Blitzsauber ist es, nur ein Hauch Müllaroma erinnert an den Zweck unserer Fahrt. Um halb sieben rücken wir ins Sammelgebiet aus.
Hans fährt seit acht Jahren Müllwagen. Vorher war er Chauffeur bei der Stadtverwaltung, hat den Referatsleiter gefahren, auch den früheren Oberbürgermeister. Dem alten Job trauert er nicht nach, da gab es lange Arbeitszeiten, abends und am Wochenende, nicht selten hundert Überstunden im Monat. Heute ist die Arbeitszeit geregelt, das gefällt ihm. Natürlich sei das frühe Aufstehen schwer,andererseits, das sagt er später, habe er durch die frühe Arbeitszeit viel mehr von seinen Kindern als andere Väter.
Unser Sammelgebiet liegt im Münchner Süden. Heute wird erst Restmüll gesammelt und zur Müllverbrennung gebracht, dann Biomüll fürs Kompostwerk. An einer Straßenecke treffen wir die Mülllader Fritz, Messud und Orhan. Sie sind schon fast eine Stunde lang unterwegs, haben die ersten Straßenzüge vorbereitet: graue und braune Mülltonnen stehen auf den Gehwegen. Den Anfang der Sammeltour erlebe ich im Müllwagen. Eine kleine Kamera ist auf die Rückseite des Fahrzeugs gerichtet, wir sehen auf einem Monitor in der Fahrerkabine, wie die Lademänner die Mülltonnen an die Hubvorrichtung rollen. Auf einen Knopfdruck werden die Behälter hochgehoben, ins Innere des Wagenaufbaus entleert. Von Zeit zu Zeit presst ein Stempel den Müll zusammen, es knirscht und ruckt. Sobald wir weiterfahren können, drückt einer der Lader auf einen anderen Knopf, und im Fahrerhaus piept es: Das ist der Weckruf, sagt Hans.
Nur neue Fahrzeugmodelle haben solche Monitore, in seiner Lehrzeit hat es das noch nicht gegeben. Damals haben einige Tonnen im toten Winkel dran glauben müssen. Heute lenkt Hans sein Müllauto souverän durch Engpässe, vorwärts und rückwärts.
Nach einer Weile sind die bereit gestellten Behälter geleert, wir müssen ein Stück weit fahren. Messud und Orhan stellen sich auf die hinteren Trittbretter und Fritz steigt zu uns ein. Er verzieht sein Gesicht, als er die Wimpel von FC Bayern München an der Windschutzscheibe hängen sieht - er ist Anhänger der Löwen, TSV 1860 München. Hans grinst. Beide sind im Münchner Süden groß geworden und schließlich doch gleichermaßen stolz über den Bayern-Sieg vom Vorabend. Bei der nächsten Fahrt steigt Messud ein. Er stammt wie sein Kollege Orhan aus der Türkei, in den Münchner Abfallwirtschaftsbetrieben sind Türken die größte Gruppe von ausländischen Mitarbeitern.
Fahrer und Lader sind eine feste Partie, seit vier Jahren arbeiten sie in der jetzigen Konstellation zusammen, fünf Tage die Woche, immer in demselben Gebiet. Hans ist als Letzter dazu gekommen. Die gemeinsame Arbeit gefällt ihm, vorher hat er Jahre lang "rolliert", wurde als Springer eingesetzt, wenn jemand krank oder in Urlaub war, ständig neue Touren mit unbekannten Kollegen, Strecken und Engstellen.
Im Team sind die Abläufe und Bewegungen aufeinander eingespielt, die Rollen verteilt: Orhan rennt voraus und holt die schweren vollen Tonnen aus ihren Verstecken, Fritz und Messud leeren sie aus, dann bringt Messud sie an ihre Plätze zurück. Manchmal muss auch der Fahrer aussteigen und mit anpacken. "Auf dieser Tour seltener", sagt er, hier sind die Grundstücke locker bebaut, deswegen gibt es hier hauptsächlich kleine Tonnen. Bei anderen Touren, wenn viele schwere Großbehälter bewegt werden müssen, sind alle Hände gefragt. Was die Leute dort alles wegwerfen, Kühlschränke, sogar ein Moped habe er einmal im Großbehälter gefunden, sagt Hans.
Ringsum liegen Villen in üppigen Gärten. Der "Effe" hat hier gewohnt, sagt Messud, dann zeigt er mir ein Haus, das schon in einigen Folgen vom "Alten" zu sehen war. Orhan kennt jeden Tonnenstandort. Auf manchen Grundstücken verschwindet er weit hinten im Gebüsch, kommt mit Müllkübeln zurück, manchmal einen an jeder Hand. Viele Eimer stehen in Tonnenschränken, die mit variantenreichen Drehknöpfen, Haken oder Schlössern verriegelt sind. Orhan zieht mehrere Drei- und Vierkantschlüssel aus seinen Hosentaschen, eine Gartentüre öffnet er mit dem Dietrich. Andere Behälter muss er aus einer Halterung heraushebeln oder mit gekrümmtem Rücken aus hintersten Winkeln kaum zugänglicher Tonnenhäuschen heraus pulen. Hier sind Bordsteine zu überwinden, da parken Autos Gehwege zu.
Früher war es körperlich noch anstrengender, als alle Tonnen aus Metall waren, keine Räder hatten und angehoben werden mussten. Aber auch heute haben die Lader Probleme mit den Bandscheiben. Messud deutet auf Rücken und Schulter: kaputt, sagt er. Auch der Fahrer hat einen strapazierten Rücken.
Ein Grundstück beobachtet Orhan misstrauisch, bevor er es betritt: hier macht ein "böser Hund" immer wieder Probleme. Die Besitzerin hat ihnen gedroht: "Betreten Sie meinen Grund nie wieder!" Trotzdem stellt sie die Tonne nicht selbst auf die Straße, also müssen die Mülllader hinein gehen.
Die erste Runde ist geschafft und wir trinken einen Kaffee am Stehtisch vor einem Lebensmittelgeschäft, dann lassen sich die drei Laderkollegen an ihrem Pausenraum absetzen. Hans´ Arbeitstag ist um einiges länger: Er fängt etwa gleichzeitig an, ist eine Dreiviertelstunde vor dem Ausrücken auf dem Betriebshof. Und am Nachmittag, wenn die Lader Feierabend haben, fährt er seine letzte Fuhre zum Kompostwerk oder zur Altpapiersortierung und bringt das Müllauto zurück in den Betriebshof.
Auf der Fahrt zur Verbrennungsanlage und zurück haben wir anderthalb Stunden Zeit, weil uns mehrere Staus auf dem mittleren Ring aufhalten. Ich erfahre, dass seine Tochter ihm das Elvis-Püppchen geschenkt hat, das vor mir mit den Hüften schwingt. Der rote Boxhandschuh, der darüber baumelt, sei von Fritz, der habe früher selbst geboxt, jetzt boxe der Sohn.
Wir machen die zweite Runde und entleeren die Biotonnen. Durch den hohen Feuchtigkeitsgehalt sind sie viel schwerer als die Restmülltonnen. Die Lader mögen sie nicht besonders: jetzt im Sommer stinken sie und im Winter friert die Füllung fest. An manchen Biotonnen wimmelt es von Fliegen und Stechmücken. Manchmal spazieren auch Maden um den Tonnenrand, erzählt Fritz und verzieht das Gesicht. An einer besonders stinkenden Tonne lässt er mich schnüffeln. Früher hatten Müllwerker ein schlechtes Image, sagt Fritz, vor 20 Jahren war der Beruf noch anrüchig, das sei heute besser geworden. Hans empfindet dennoch, dass etliche Leute auf Abstand gehen, wenn er in Schutzkleidung einen Laden betritt.
Beim Leeren der Biotonnen kommen die Lader mit dem Inhalt kaum in Berührung, einige Male wird es trotzdem eklig, etwa, als angegorenes Gras im Eimer festklebt und auch durch mehrmaliges heftiges Rucken nicht aus der Tonne rutschen will. Schließlich gleitet die Biomasse heraus, einzelne Placken bleiben auf dem Entleerungsgestänge liegen. Fritz schiebt sie mit dem Handschuh angewidert auf die Straße. Wie zum Beweis dafür, wie berechtigt die Schmutzzulage ist, von der er mir vorher erzählt hat, und die zusammen mit dem Münchenzuschlag sein Einkommen so aufpäppelt, dass er damit auskommt.
Säcke, Säcke, Säcke, schimpft Orhan. Auf vielen Grundstücken stehen neben den Biotonnen Plastiksäcke mit Biomüll. Die Mülllader müssen sie von Hand ins Wageninnere entleeren und zurücklegen. Das Hochhieven fällt schon dem groß gewachsenen Fritz nicht immer leicht, besonders umständlich ist es aber für den kleinen Orhan, der dazu auf die Hubvorrichtung steigen muss, die kaum dafür gedacht ist.
Schließlich kommen wir wieder am Grundstück mit dem bösen Hund vorbei, jetzt rennt eine Boxerhündin bellend am Zaun entlang. Orhan stellt die Tonne vor der Gartentüre ab, das hat sie nun davon, die Hausbesitzerin. Er schätzt, dass er im Laufe des Tages etwa zehn Kilometer gelaufen ist, an anderen Tagen können es 15 werden. Er beneidet den Kollegen am Steuer, der im Sommer sogar eine kurze Arbeitshose tragen darf: "Das ist eine Versuchshose, bisher nur für Fahrer, die sind eben doch was Besseres." Auch mit der Regenkleidung ist Orhan nicht glücklich: sie ist wasserdicht, doch oft kommt er so ins Schwitzen, dass es unter dem Anorak fast genau so nass ist wie darüber.
Dann ist die Schicht für die Mülllader zu Ende. Ich verabschiede mich von ihnen und fahre mit Hans weiter über die Autobahn zur Kompostanlage. An der Abladestelle steigt Hans aus, und auf Knopfdruck schiebt der Stempel im Innern des Fahrzeugs den Biomüll hinaus. Ein Bagger lädt das angelieferte Material auf ein Förderband um, den ganzen Tag lang, in einer lauten, düsteren, stinkenden Halle. Wir sind froh, dass wir wieder ins Freie dürfen - der süßliche Geruch hängt noch eine Weile in der Fahrerkabine. Um zehn vor zwei verabschiede ich mich von Hans auf dem Betriebshof, er muss jetzt sein Fahrzeug noch sauber spritzen.
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