Immer wenn wir – was nicht selten in meiner Kindheit passierte – jene Strecke fuhren, sagte mein Vater: „Do sitzet se jetzt!“ Er sagte es mit einer Mischung aus Genugtuung und Erleichterung. Ich dagegen schaute in stiller Bewunderung aus dem Auto auf jene Festung, in der sich die Helden meiner sehr frühen Jugend befanden: die Mitglieder der RAF. Als Boomer hatte ich gerade die Grundschule hinter mir und verstand entsprechend wenig bis nichts.
Aber aus dem, was ich täglich zu Hause mitkriegte, entwickelte ich eine Faszination für jenen Film, aus dem die RAF entsprungen zu sein schien. Den Plot würde ich so beschreiben: Eine Situation ist so schlimm, dass es – nachdem ein Großteil der Bevölkerung die Wahrheit nicht zur Kenntnis nimmt, sondern in ihrer eigenen kleinen Komödie weiterlebt – quasi zur Pflicht wird, über Leichen zu gehen. Sonst macht man sich selbst schuldig.
Je mehr ich in den folgenden Jahren über diese meine mordenden Helden erfuhr und ihren Film verstand, umso anmaßender fand ich sie. Ich selbst lebte als Volljugendliche in einem anderen Film. Er hieß: „Atomare Endzeit“. Schon sehr bald, davon war ich überzeugt, wäre die ganze Welt verseucht: entweder wegen explodierter Atomkraftwerke oder des nuklearen Dritten Weltkriegs, der als Back-up-Plan da war, sollte Ersteres doch nicht passieren. Vielleicht waren wir sogar schon vorher erledigt – durch das Waldsterben. Dass ich heute diesen Text hier schreibe, schien mir damals sehr unwahrscheinlich. Ich dachte, wir wären unsererseits die letzte Generation.
Und es hätte ja durchaus auch so kommen können, trotz der niedlichen Gründung unseres Regenbogenkollektivs, trotz der ganzen Anti-Atomkraft-Buttons und Friedensdemos, trotz der Einsätze im Schlammpfuhl der geplanten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Als der erste Mitstreiter erklärte, er müsse jetzt untertauchen, denn er habe sich dem Umsägen von Strommasten verschrieben, verstand ich das gut. Andererseits: Würde sägen helfen? Und falls nicht, was dann?
Wie wäre es mit ein wenig Humor?
„Do sitzet se jetzt“, fiel mir damals wieder ein. Und seitdem sind mir Endzeitszenarien suspekt. Wer sich da erst mal hineingebohrt hat, der findet in ihnen leicht den rechtfertigenden Notstand für jedwedes Mittel. Der twittert dann „shit happens“, wie letzten November ein Aktivist, als er erfuhr, eine Blockade könne womöglich am Tod einer Radfahrerin mitverantwortlich sein. Dafür wurde er ebenso gescholten wie für seine Drohung, eine grüne RAF könne entstehen.
Totaler Quatsch sei das. Okay, wie also eskaliert die Letzte Generation dann? Als ich von ihrer Aktion „Bienenschwarm“ las, hoffte ich kurz, sie hätten – in einer irren Kehrtwendung – eine Empfehlung von Luisa Neubauer (FFF) und Anke Engelke aufgegriffen und würden es nun ganz anders, nämlich mit Humor versuchen.
In Bienenkostümen würden sie die im Stau stehenden Autofahrer abklappern und ihnen leckere Schokoweltkugeln, Marke „Letzte Edition“, überreichen: „Möchten Sie heute eine oder zwei Weltkugeln essen?“ Aus ihren eigenen Autos, die selbstverständlich, wenn ein Rettungswagen angetutet kommt, ein wenig vor und zur Seite gefahren würden, damit sich eine Rettungsgasse bilden kann, aus denen würde „I’m sorry, I’m sorry“ von Leepa erschallen.
Aktivisten in Hummelkostümen würden alles filmen. Bei Erfüllung einer Forderung könnten sie eine Umbenennung in Aussicht stellen – und dies wäre jetzt mein Rat an die Bewegung – von Letzter in Vorletzte Generation, und dann in Vorvorletzte und so weiter. Würden sie so die Welt retten? Kann Deutschland die Welt retten? Ich denke nicht. Aber wären sie so sympathischer? Ich finde schon.
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