Berlins Bürgermeister Kai Wegner: Duzen statt Gendern

Kolumne Knackig, markig, unverstellt: So gibt sich der neue Hauptstadt-Regierende Kai Wegner. Klar, da ist kein Platz für geschlechtergerechter Sprache. Oder etwa doch? Hören wir ihm zu – und lassen uns überraschen
Ausgabe 22/2023
Schuldeutsch der 1940er, 50er, 60er, 70er, 80er, 90er, 00er Jahre ... wie hättest du’s gern?
Schuldeutsch der 1940er, 50er, 60er, 70er, 80er, 90er, 00er Jahre ... wie hättest du’s gern?

Foto: Imago/Rust

Bekanntlich hat der neue Berliner Bürgermeister der Gendersprache den Kampf angesagt. Oder auch nicht. Verbürgt jedenfalls sind Kai Wegners Worte: „Und ich werde so schreiben, wie ich es in der Schule gelernt habe.“ Nach dieser aufsehenerregenden Klarstellung liefen die Recherchen in der Berliner Verwaltung auf Hochtouren. Wann und wo ging der Wegner zur Schule? Welches Deutsch genau hat er dort gelernt? Will er in seiner Korrespondenz auch zur alten Rechtschreibung zurückkehren, die zu seiner Schulzeit gelehrt worden sein müsste? Und was nun, wenn er nicht immer aufgepasst hat? Welche Lücken sind eventuell zu beachten und durch Wegner-Spezial-Varianten zu ersetzen?

Das alles ist zu klären, schließlich will man es sich mit dem neuen Chef nicht gleich verscherzen. Ein Satz, den Wegner übrigens niemals so formulieren würde. Denn Wegner sagt statt „man“ immer „du“. Zumindest vor einem Jahr noch, im Interview mit „Jung & Naiv“, in dem er zweieinhalb Stunden diesbezüglich rumduzt. Also nochmal im Wegner-Deutsch: Du willst es dir mit dem neuen Chef ja nicht gleich verscherzen. Deshalb solltest du wissen, wie der Neue sich ausdrückt. Denn nur dann kannst du dich mit ihm auf Augenhöhe unterhalten.

Er will nicht und er tut es doch

Alte Verwaltungshaudegen müssen sich allerdings schon gefragt haben: Kann das mit diesem komischen „du“ wirklich das Deutsch sein, das Wegner in den 1980ern in einer Berliner Schule gelernt hat? Du willst ja nichts unterstellen, aber das klingt bestenfalls nach einem Anglizismus, der eher so aus den 2020ern stammt, you get it? Frechere müssen eingewendet haben: Manche Leute verwenden kein „man“, weil es zu sehr nach „Mann“ klingt und deshalb als genderunsensibel gilt. Und wo du schon dabei bist, wenn du dem Wegner zum Beispiel in diesem Interview länger zuhörst, ohne einzuschlafen, dann stellst du fest: Seine Lehrerinnen und Lehrer müssen ihren Schülerinnen und Schülern, darunter der kleine Wegner, schon damals die Existenz eines generischen Maskulinums komplett verschwiegen haben. Und wenn du ganz aufmerksam und ehrlich bist, musst du zugeben: Der Wegner spricht eigentlich genau wie im aktuellen Berliner „Leitfaden für eine geschlechtergerechte Sprache in der Verwaltung“ vorgesehen. Also jener Leitfaden, gegen den er sich nach allgemeiner Auffassung vermeintlich ausgesprochen hat.

Hä? Weiß er selbst, wie er redet? Agiert er fremdbestimmt? Will er sich die Sprache seiner Jugend jetzt im Bürgermeisteramt erst wieder zurückerobern? Auf all diese Fragen gibt es bislang keine Antwort. Klar wurde aber: Nicht jeder (und jede, wie Wegner sagen würde) erinnert sich noch glasklar an die Sprache, die er (oder sie) in der Schule gelernt hat. Was tun? Um allzu großen Aufruhr all jener zu vermeiden, die jetzt auf Wegner-Briefe hoffen, die mit „Lieber Bürger“ ansetzen, muss die Verwaltung künftig wohl oder übel ihre Schreiben in mehrfachen Varianten aussenden. Wegner hat ja bereits angekündigt, das Personal entsprechend aufzustocken. Zur Auswahl stehen könnten: Berliner Schuldeutsch der 1940er, 50er, 60er, 70er, 80er, 90er, 00er Jahre und so weiter, unterteilt noch nach Ost/West sowie politischen Einstellungen und Frühstücksvorlieben. Wegner unterschreibt dann jeweils die Fassung, mit der er sich gerade identifiziert. Die Verwaltung kopiert die Unterschrift für die anderen Fassungen.

Für die Jüngsten wird es kniffliger, denn die kennen zusätzlich verschiedene Deutschvarianten aus verschiedenen Schulfächern. Aber: kein Problem. Bis die volljährig sind, checkt eine KI über die Social-Media-Profile, welche Sprachvariante jeweils bevorzugt wird, und passt alle Anschreiben einfach automatisch an.

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