Zentralregister-Wahn: Wie mich Berlins Bürokratie Gassi führt

Hunde Doch, doch: Ich bin eine brave Bürgerin. Nur verliere ich langsam den Überblick über meine Alltagspflichten
Ausgabe 25/2022
Unklar bleibt, ob das Sofa auf diesem Foto auch als TÜV-geprüftes Hundesofa registriert ist
Unklar bleibt, ob das Sofa auf diesem Foto auch als TÜV-geprüftes Hundesofa registriert ist

Foto: allOver-MEV/IMAGO

Haben Sie einen Wauzi? Wohnen Sie in Berlin? Dann lesen Sie diese Kolumne vorsichtshalber nicht! Noch könnten Sie sich – genau wie ich noch vor wenigen Tagen – in einem segensreichen Gebotsirrtum befinden. Noch könnten Sie plädieren, ohne Unrechtsbewusstsein, in unvermeidbarer Unkenntnis durch die Straßen zu flanieren, wobei – jetzt ist Ihre Unkenntnis natürlich nicht mehr gänzlich unvermeidbar. Jetzt könnten Sie ja weiterlesen.

Aber vielleicht gehören Sie ohnehin zu denjenigen, die schon längst vom neuen Hunderegister gehört und sich in die entsprechenden Empörungswellen geworfen haben: Waas! Noch ein Register?! 17,50 Euro kostet das?! Wieso nehmen die nicht einfach die Daten vom Finanzamt? Datenschutz? Dass ich nicht lache! Reine Abzocke! Mein Hund kostet sowieso schon so viel! Steuer, Haftpflicht, von Tierarztkosten ganz zu schweigen! Berliner ignorieren Hunderegister! Katastrophal schlecht! Erst ein Sechstel angemeldet. FDP will Hund-Register wegbeißen (schafft es aber nicht): Das ist ein Angriff auf rechtstreue Bürger! Die Übergangsfrist reicht bis Ende Juni. Danach handelt es sich natürlich um ehemals rechtstreue Bürger. Bis zu 10.000 Euro Geldstrafe drohen.

Mein lieber Scholli! Alles komplett an mir vorbeigegangen! „In einigen Jahren“, so erläutere ich einer ebenfalls unwissenden Freundin, „wird sich aus dem zentralen Hunderegister der zentrale Hundefriedhof entwickelt haben.“ Das zeigen die 15-jährigen Erfahrungen des Hamburger Hunderegisters, denn noch unattraktiver als das Anmelden eines Hundes ist sein Abmelden. Die Freundin schaut betroffen auf ihre hochbetagte Lucy. „Apropos“, fällt ihr dann ein: „hast du deinen Führerschein schon umgetauscht?“ – „Muss ich?“ Ich bin verwirrt. Mein Führerschein ist doch noch gut. Mein Name ist noch prima lesbar. „Und guck mal hier“, triumphiere ich, „da steht’s: Gültigkeit unbefristet.“ Offenbar eine glatte Lüge: Wenn ich nächstes Jahr damit noch rumfahre, ist das sogar eine Straftat – hat die Freundin im Internet gelesen.

Der Algorithmus übergeht uninteressantes – wie Behördengänge

Was soll das denn? Wieso werde ich nicht informiert? Ich verdächtige die News-Algorithmen. Seit einigen Jahren lese ich Zeitungen nur noch digital. Irgendwie kam dabei wohl raus, dass ich mich nicht besonders für das Thema Behördenvorgänge interessiere. Fälschlicherweise, liebe Algorithmen! Deshalb lebe ich jetzt in einer wundersamen Welt ohne all diese Dinge. So etwas Tolles wäre mit einer gedruckten Zeitung gar nicht möglich.

Die quälende Frage ist nun aber: Von welchen bevorstehenden Geldbußen weiß ich sonst noch nichts? Nimmt man mir ab, dass ich meine Unkenntnis nicht vermeiden kann? Mache ich mich womöglich schon strafbar, wenn ich nicht regelmäßig aktiv nach neuen Bürgerpflichten google? Ist das vielleicht auch so eine neue Vorschrift, von der ich nichts weiß? Aber wie ginge das überhaupt?

Ratlos sitze ich vor dem Internet. Was soll ich googeln: „Bußgeld“, „Übergangsfrist“, „Bürgerpflicht“? Die Anzahl der Ergebnisse ist schwindelerregend. Ich muss es thematisch etwas eingrenzen: Könnten außen hängende Blumenkästen auf Balkons registrierpflichtig sein, Laptops, Saugroboter, Olivenölvorräte? Muss die Geburtsurkunde aktualisiert, mein aktuelles Gewicht irgendwo eingegeben werden oder sind – wie ja nun in Polen – Schwangerschaften auch bei uns neuerdings zu melden? Zu vieles ist denkbar. Es hilft nichts: Für neue staatliche Vorschriften muss dringend ein eigens dafür reservierter Suchbegriff entwickelt werden. Irgendwas Knackiges wie „Bürger*innenvorschriftenaktualisierung“. Sonst torkeln einfach zu viele vermeintlich rechtstreue Bürger als dreiste Gesetzesbrecher durchs Leben.

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