Ein echter Fascho trägt Stahlkappe

Mode So schnell kann es gehen. Einmal kurz im Internet geshoppt, schon hat man die Nazi-Schuhe an den Hacken. Unsere Autorin weiß: Die Dinger wird man so bald nicht mehr los
Ausgabe 47/2019
Nazis sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Gut für alle, die sich an neue Trends heranwagen wollen
Nazis sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Gut für alle, die sich an neue Trends heranwagen wollen

Foto: Ben Stansall/AFP/Getty Images

Ich habe alle im Internet verfügbaren Nazifüße gesehen. Das kam so: Vor einigen Wochen bestellte ich mir Boots mit dem Beinamen „Combat“. Der ließ mich zwar zögern, aber es war spät, und: immer noch besser als Air Force 1, dachte ich.

Es handelte sich um klassische Doc Martens, 14 Loch, die man drei Jahre lang qualvoll einlaufen muss. Als ich mich Tage später damit im Spiegel begutachte, trifft mich der Schlag: Die untersten 30 Zentimeter von mir sehen aus wie die eines Nazis. Schock! Mithilfe des Internets versuche ich herauszufinden, dass ich mich irre, und zwar so was von. Es gelingt! Aber: Der Sohn wendet ein, dass das Vorhandensein diverser Threads zu der Frage, ob 14-Loch-Doc-Martens Nazischuhe seien oder mit solchen verwechselt werden könnten, meine Einschätzung doch eher bestätige, und zwar so was von.

Die Leute im Internet argumentieren feiner. Erstens komme es drauf an, ob die Schuhe Stahlkappen enthielten. Zweitens auf die Schnürsenkelfarbe. Drittens: Das mit der Schnürsenkelfarbe sei Medienquatsch, nur weiße Schnürsenkel solle man nicht verwenden, denn das stimme schon. Viertens hänge es davon ab, ob ich die Schuhe einfach nur schön fände. In dem Fall sei es okay. In dem Fall ließe sich aber jede naziähnliche Uniform, jedes hakenkreuzartige Gebilde sowie der besagte weiße Schnürsenkel elegant entnazifizieren – durch Schönfinden. Was für ein Quatsch. Außerdem habe ich meine Schuhe keinesfalls nur der Schönheit wegen gekauft. Eine gewisse Alertheit, ein „Allzeit bereit“ sollten sie schon ausstrahlen. Sollten mir Nazis begegnen, dann wissen die gleich, wenn die meine Schuhe sehen, mit der ist nicht zu spaßen. So hatte ich mir das gedacht.

Obwohl diese Schuhe mich bislang mehr behindern als jeder Stiletto. Keinesfalls jedoch sollen die Nazis denken: Ach, da ist ja eine von uns. Tage ziehen ins Land, Wochen, in denen ich die Schuhe allenfalls kurz in der Nacht anziehe. Ich denke über Gamaschen nach, über Empfehlungen: Kleb einfach einen „No Nazi-“Aufkleber drauf, und gut ist. Jaha, was aber, wenn der Aufkleber durch ein herabfallendes Blatt verdeckt wird, während gerade jemand meine Gesinnung prüft? Nicht gut!

Ein Internetuser merkt an, die Nazis aus seiner Gegend liefen alle in Adidas rum. Als ich die Geschichte erhärten will, stoße ich auf die Turnschuhmarke New Balance, die Nazis tragen, weil auf der Seite ein N prangt. Und: Wahnsinn, wie viele Nazifüße ich mittlerweile morgens in der S-Bahn sehe. Noch zögere ich, mich da einzureihen. Ich überlege, mit einem geblümten Rock einen Kontrapunkt zu setzen. Gerade noch rechtzeitig lese ich, dass florale Kombis bei Nazifrauen beliebt seien. Ja, was ist denn nicht beliebt bei denen? Langsam werde ich etwas ungehalten: Haben Nazis eigentlich auch derartige Probleme beim Kleidungskauf?

Hm, vielleicht wissen die noch gar nicht, was sich an den Bändeln ihrer Kapuzenpullis alles ablesen lässt? Dass etwa weiße Bändel bedeuten: Ich arbeite für den Verfassungsschutz. Schwarze Bändel: Hilfe, ich suche Ausstiegsmöglichkeiten aus der Szene. Ausgefranste Bändel dagegen: Ich bin ein Undercover-Journalist. Sie, liebe Leser, halten das für Unsinn? Sehr gut! Bitte kommentieren Sie entsprechend. So verbreitet sich die Wahrheit am besten und hält sich am hartnäckigsten. Ich muss jetzt los. Der Sohn braucht neue Turnschuhe, von New Balance war die Rede. Mamma mia! Ich sehe unsere Füße schon im Internet, Stichwort: moderne Nazifamilie.

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