Eule oder Mops

Die Ratgeberin Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Unsere Kolumnistin sieht sich beim Bäcker eine Schrippe holen. Und der hat gerade ein agiles Verkaufsseminar hinter sich
Ausgabe 35/2018
Augen auf beim Schrippenkauf
Augen auf beim Schrippenkauf

Foto: CTK Photo/Imago

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Ich sehe mich beim Bäcker eine Schrippe holen.

Der Bäcker hat gerade ein agiles Verkaufsseminar hinter sich. „Eine Schrippe?“, sagt er. „Da kommen wir gleich noch zu. Erst mal interessieren mich Ihre Erwartungen an den Schrippenkauf. Stellen Sie sich vor, die Schrippe wäre ein Tier, welches Tier wäre die Schrippe für Sie?“

Als geschulte Teilnehmerin methodisch avancierter Workshops erwidere ich elegant: „Ich heiße Susanne und hoffe, dass der Schrippenkauf mich von meinem bohrenden Hunger befreit, dass ich danach satter und energiegeladener bin, dass ich meine Arbeit besser erledigen kann.“ – „Das sind ja ziemlich weitreichende Vorstellungen, hochinteressant“, sagt der Bäcker und zieht ein Flipchart aus dem Backofen, auf dem er „satt“, „Energie“ und „bessere Arbeit“ notiert. „Und das Tier?“ – „Nun denn, ein Uhu!“, stoße ich unüberlegt aus. „Aha, Augen größer als der Magen, was?!“, feixt er und malt einen Uhu auf. Ich krame nach Schrippengeld.

„Moment“, säuselt der Bäcker. „Wir wollen auch die anderen Kunden hier hören. Jeder kommt dran.“ Der Barthipster hinter mir setzt an: „Ich heiße Milos, und mir geht’s ganz ähnlich wie Susanne. Ergänzen möchte ich jedoch, dass Susannes Kauf zugleich auch ihre Ressourcen für künftige Sättigungen schmälert. Und: Ihre Erwartungen erfüllen sich erst, wenn sie in das Brötchen auch hineinbeißt.“ – „Und es hinunterschluckt!“, wirft ein Grundschulkind noch ein, das reklamiert, dass es gleich zu spät zur Schule kommen werde, sollte sich die Erwartungsabfrage noch lange hinziehen. „Tier?“, will der Bäcker von Milos wissen, während er bereits einen Mops aufmalt.

Dann sollen wir zu dritt über die von uns erwartete Erfüllbarkeit unserer Erwartungen sprechen. Die Diskussion in meiner Gruppe schweift etwas ab, weil Uwe gleich seinen neuen Perso abholen will. „Die kommen einem dort mit einem ganzseitigen Erwartungs-Fragebogen! Es ist die Hölle!“ – „Schreib doch einfach was aus den Broschüren ab. Da steht doch drin, welche Erwartungen man an den Perso haben soll“, rate ich. Aber: Hat er schon versucht, war aber zu unpersönlich. Es seien individuelle Erwartungen gefragt, wie „dass der neue Perso meine Brieftasche weniger aufbläht als der alte, dass ich damit schneller über Grenzen komme, dass ich damit besser Türen öffnen kann“.

Während der Bäcker auf dem Flipchart gerade „satt“, „Energie“ und „bessere Arbeit“ durchstreicht, erzähle ich, dass ich nach dem Schrippenkauf eine Kolumne schreiben werde, ohne eine einzige Leserin zu fragen, was sie von der Lektüre erwartet. Leser werden natürlich auch keine gefragt. „Am liebsten überrasche ich sie“, flüstere ich. „Das ist ja Wahnsinn!“, ruft Bart-Milos entsetzt aus. „Da schreibst du völlig an den Leuten vorbei. Und noch schlimmer: Selbst falls nicht, lerntheoretisch völliger Unsinn. Was die Leute nicht erwarten, können sie nicht einordnen, das vergessen sie sofort wieder. Das ist erwiesen.“ Da fällt es mir wie Federn aus meinen Uhu-Augen:

In fünf Jahren, liebe Leser, werden Sie natürlich nirgendwo mehr einfach so irgendwelche Kolumnen vorgesetzt bekommen. Starten wir deshalb gleich heute in die Zukunft: Erarbeiten Sie jetzt in der Gruppe Ihre Erwartungen an die nächste Kolumne und einigen Sie sich auf ein Tier, das diesen Erwartungen am ehesten entspricht. Sie haben zwei Wochen Zeit.

Bis dahin werde ich mir hoffentlich eine Schrippe erarbeitet haben.

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