Fall ich gleich vom Stuhl?

Die Ratgeberin Unsere Kolumnistin leidet an Redeangst. Glücklicherweise gibt es „29 Tipps für eine erfolgreiche Lesung“. Denn dieser Tage liest sie in Berlin aus ihren Texten
Ausgabe 03/2017
„Seien Sie sparsam mit dem Gestikulieren“, rät Ruben Wickenhäuser
„Seien Sie sparsam mit dem Gestikulieren“, rät Ruben Wickenhäuser

Foto: Daniel Lea-Olivas/AFP/Getty Images

Manche Leute tun viel dafür, in einer Versammlung von mehr als zwei Leutchen nur ja nicht im Mittelpunkt stehen zu müssen. Zum Beispiel ich. Wenn es sich jedoch partout nicht vermeiden lässt, dann: lieber vorturnen als vortragen. So dachte ich als Schülerin und wählte Sport, um ein mündliches Abiturprüfungsfach zu vermeiden. Nachdem ich damals meinen durch jahrelanges Coolsein recht schlaffen Mädchenkörper eine Woche lang Tag und Nacht trainierte hatte, schaffte ich es am Prüfungstag kaum die Treppen zur Turnhalle hoch. Ich hatte den Muskelkater meines Lebens.

Obwohl ich seither lieber versuche, die Redeangst in Griff zu kriegen, ist diese meine Grundeinstellung „Lieber vorturnen als vortragen“ immer noch leicht zu erkennen. Ob ich Bewerbungsgespräche führe, ob ich Power-Point-Präsentationen zeige oder mich gar zu Impulsvorträgen bei Familienfeiern hinreißen lasse – ich wedle wie eine Verkehrspolizistin auf Speed.

Das ist schlecht! „Seien Sie sparsam mit dem Gestikulieren“, rät der Autor Ruben Wickenhäuser. Von den Millionen Tipps gegen die Auftritts- und Rumwedelangst, die ich kenne, sind seine 29 die besten. Wegen Wickenhäuser gucke ich, während ich vortrage, immer wieder völlig überraschend auf, um zu kontrollieren: Wie geht es den Zuhörern? Ist schon einer eingeschlafen? Zieht es jemandem? Nestelt ein anderer an seinem Hörgerät herum?

Radar einschalten, nennt das Ruben Wickenhäuser. Dabei darf man aber nicht aufhören, weiter vorzutragen! Und auch sich selbst muss man in diesen Radar einbeziehen. Spreche ich deutlich? Aber nicht überdeutlich? Bibbere ich schon wieder? Ist mir kalt? Dann wieder sehe ich: Oh, da hinten zieht jemand seine Jacke aus. Ist es zu heiß? Ja, das muss ich in der nächsten Lesepause ansprechen.

Jetzt aber, nicht vergessen: Neben dem Rundrumradar muss man sich ebenso voll auf den Inhalt konzentrieren, den man so von sich gibt, das sagt Wickenhäuser. Dann nämlich kann es passieren, dass man von den eigenen Worten mitgerissen wird. Sobald man das bemerkt: genießen. Unbedingt! Allerdings: nicht zu sehr genießen!! Sonst übersieht man, dass da in der zweiten Reihe eine ihre Jacke anzieht. Zu kalt also? Oder will sie flüchten? Vielleicht weil ich zu schnell gesprochen habe? Kurzer Check: Spreche ich zu schnell? Vielleicht. Aber noch wichtiger: Fall ich womöglich gleich vom Stuhl? Weil ich – unablässig redend – zu sehr darauf fixiert bin, die erst noch kommenden Sätze bereits jetzt zu erhaschen, oder darauf, welcher Zuhörer wohl gleich als Nächster einen Anruf bekommen wird. Und während ich noch nach einem Seinsmodus suche, in dem ich gleichzeitig den Saal und meine mit zusätzlichen Hinweisen gespickten Texte sehe, alle meine Körperempfindungen registriere und alles höre, was jetzt und auch in Zukunft zu hören sein wird, überkommt mich oft eine große heitere Ruhe. Denn das ist ja alles Wahnsinn. Wie soll das gehen?

So sitze ich dann wie im Auge des Orkans, die Tipps wirbeln um mich herum, während ich locker nach dem einen oder anderen hasche. Nur Unwissende nennen es wedeln.

Am Dienstag, 24. Januar, wedelt die Ratgeberin live: Von 20 Uhr an liest Susanne Berkenheger die schönsten Kolumnen aus zwei Jahren im Literatursalon in der REH bei Geyersbach, Kopenhagener Straße 17, 10437 Berlin. Eintritt auf Spendenbasis

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