Faulsein ist effizient: Lasst uns produktiv weniger arbeiten!

Meinung Bald werden Arbeitgeber die Vier-Tage-Woche fordern und Workoholism als produktivitätsschädigend ächten: Wer zu viel arbeitet, schafft weniger, sagt eine Studie. Das sollten wir ausprobieren!
Ausgabe 10/2023
In Deutschland wird pro Jahr nur zwei Stunden mehr gearbeitet als in Norwegen
In Deutschland wird pro Jahr nur zwei Stunden mehr gearbeitet als in Norwegen

Foto: Imago/Panthermedia

Liebe Freunde der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, wir müssen jetzt stark sein und genau aufpassen. Natürlich könnten wir auch hemmungslos die Ergebnisse der neuen Pilotstudie aus Großbritannien feiern. 61 britische Unternehmen testeten von Juni bis Dezember 2022 die Vier-Tage-Woche, 56 behalten sie nun bei, weil die Leute an vier Tagen so viel wegarbeiteten, als hätte man die Sechs-Tage-Woche eingeführt.

Genial! Dementsprechend die Presseresonanz: Focus: „Darum sollten Sie nur vier Tage die Woche arbeiten“, SWR: „Vier-Tage-Woche macht glücklich“, Tagesschau: „Weniger Fehltage durch die Vier-Tage-Woche“, hier in dieser Zeitung: „Vier-Tage-Woche: ‚Großer Durchbruch‘ in Großbritannien, NDR: „Vier-Tage-Woche an Grundschule“ ... Halt, nein, Letzteres war nichts Gutes, sondern etwas Fürchterliches, das gerade noch einmal abgewendet werden konnte.

Die Vier-Tage-Woche bringt nur bei Erwachsenen Höchstleistungen, für Grundschüler wäre dasselbe verheerend, ganze Generationen wäre verloren. Nun zum Kleingedruckten der besagten Studie: Deutschland gilt den Studienverfassern als ein Land, in dem die Vier-Tage-Woche bereits verwirklicht ist. Wir arbeiten überaus wenig und hochproduktiv. Die prominenteste Studienautorin, die Bostoner Soziologieprofessorin Juliet Schor, präsentierte 2022 dazu Zahlen in ihrem TED-Talk „The Case for a 4-Day Work Week“. Ab Minute 5:21 geht‘s los: Ganz vorne liegt Norwegen mit durchschnittlichen 1.384 Arbeitsstunden pro Jahr und einer Produktivität von 90 (Die Berechnung bleibt ein Geheimnis).

Produktivität unterm mathematischen Strich

In Deutschland wird pro Jahr nur zwei Stunden mehr gearbeitet als in Norwegen, aber diese zwei Stunden haben es offenbar in sich: Die Produktivität sinkt gleich auf 74. Die Briten wiederum arbeiten 282 Stunden mehr im Jahr als wir – und die Strafe folgt auf dem Fuß: Die Produktivität beträgt lächerliche 59. Am längsten schuften die US-Amerikaner, mit jährlich 379 Stunden mehr als wir, und – Tatar! – deren Produktivität plantscht auf 34? 12? 4,3? Das wäre logisch. Aber, es kommt ganz anders: US-Amerikaner arbeiten produktiver als wir, 76 lautet hier die Zahl ohne Maßeinheit. 22,5 Millionen Mal wurde der TED-Talk geguckt. So weit ich sehen konnte, wunderte sich niemand darüber. Vielleicht wissen alle außer mir, dass Elon Musk die USA im Alleingang auf 76 hoch pusht und ohne ihn dümpeln sie bei 34.

So muss es sein. Denn sonst würde Juliet Schor ja andere Zahlen vorlegen zum Beweis ihrer These: Weniger Arbeitsstunden führen zu höherer Produktivität. Wie auch immer. Für uns hierzulande folgt vor allem eins daraus: Bevor wir fordern, unser Arbeitspensum in vier Tagen statt in fünf Tagen erledigen zu dürfen, sollten wir uns eine solide Ausgangsbasis dafür schaffen. Am besten, wir fahren langsam, ganz unmerklich unsere Produktivität etwas herunter.

Jeden Tag ein kleines bisschen, jeder kann mitmachen. Mal ein zusätzlicher Plausch mit Kolleginnen, mal gemütlich einen Tee aufkochen, mal ein Spaziergang durch die Büroflure. Wenn wir dann gesamtgesellschaftlich das Produktivitätslevel von UK erreicht haben, dann ok. Dann können wir die Vier-, oder national angepasst ja eher gleich die Drei-Tage-Woche fordern, einfach weil wir dann wieder bisschen Luft zur Beschleunigung haben. Denn sonst, liebe Lesende, drohen unliebsame Nebenwirkungen. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Oder, wie es demnächst heißen soll: „Fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke.“ Das ist zwar länger, aber: „Unter Umständen“, so das Gesundheitsministerium, „verändert sich die Lesedauer nicht.“ Probieren Sie einfach mal aus, welche Umstände das sind.

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