Um wichtige Dinge nicht zu vergessen, klebt man sich bekanntlich einen Erinnerungszettel an den Badezimmerspiegel. Bei unseren Vormietern war das die Erkenntnis: „Du bist wunderschön.“ Gemessen an der Größe des Schriftzugs müssen sie das für ziemlich wichtig gehalten haben. Eine Woche lang lebten auch wir mit diesem Wissen. Denn die Vormieter hatten vergessen, den Satz mitzunehmen. Oder sie dachten, wir könnten ihn gebrauchen (so wie wir aussahen?!).
Es waren zehrende Tage: Morgens neben meinem zerknitterten Gesicht funktionierte „Du bist wunderschön“ als Satire, mittags fühlte ich mich zu einem beleidigten „Kann ich mir nix kaufen von!“ provoziert, und abends – wenn ich mich in einer kurzen Aufwallung fast schon wunderschön zu finden begann – erinnerte mich der Satz daran, dass ich lediglich so „wunderschön“ wie heute morgen aussah, keinen Deut besser. Wahnsinn. Wie hatten die Vormieter das ausgehalten? Waren sie vor dem Satz geflüchtet? Denn leicht wegzukriegen war der nicht.
Während ich die Buchstaben abkratzte, überlegte ich Variationen: „Du bist Wunder was!“, „Du bist ... (Platz für Notizen)“ oder „Du schon wieder?!“. Letzteres käme bei mir hin. Ich guck nämlich recht oft im Spiegel nach, ob meine Haare noch tolerabel sind. Habe ich einige Stunden friedlich vor mich hin gelebt, sehen die oft aus, als hätte ich zwei Wochen auf der Straße verbracht. Auch das kann natürlich wunderschön sein, sagt die Body-Positivity-Bewegung. Einfach, weil jeder Körper (inklusive Haaren) wunderschön ist, so wie er ist. Und zwar, das ist der Trick: egal, wie er aussieht. Ansichten, dass es schönere und weniger schöne Körper in schöneren und weniger schönen Zuständen gibt, entspringen veraltetem, diskriminierendem Denken aus dem letzten Jahrtausend. Totaler Quatsch.
Wer das glaubt, glaubt auch, dass die Erde eine Scheibe ist. Die Beweisführung dazu lese ich im Internet: „Wenn 1.000 Menschen sagen, dass du hässlich bist, und nur einer sagt, dass du hübsch bist, wer irrt sich dann? Die 1.000 oder der eine?“ Man sollte meinen, die Sachlage sei zumindest grob einzuschätzen. Jedoch: Es geht – historisch falsch, aber egal – so weiter: „Es gab eine Zeit, zu der mehr als 1.000 Menschen sagten, die Erde sei eine Scheibe. Nur einer sagte, sie sei eine Kugel. Wer hat geirrt?“ Natürlich nicht der wunderschöne Galileo Galilei.
Bei so viel Schönheit um mich herum ist klar, dass ich ganz aus dem Häuschen gerate, als das neue Jahr mir den neuen Bestseller Fuck Beauty von Nunu Kaller zuspült. Endlich sagt’s mal eine, denke ich. Was da wohl drinsteht? Vielleicht: „Du hast das Recht, hässlich zu sein und dich auch hässlich zu finden. Du musst nicht jedes Mal, wenn du in den Spiegel guckst, denken: Wow, was für ein Anblick! Ja, du darfst deine jämmerlichen Haare hassen. Keiner darf dich zwingen, diese Haare zu lieben. Wäre ja noch schöner! Du darfst lieben, wessen Haare du willst. Jawoll! Es ist nicht deine Pflicht, wunderschön zu sein. Auch hässliche Leute haben viel Spaß im Leben. Überhaupt: Den Hässlichen gehört die Welt!“ Derartige Parolen erhoffe ich mir.
Aber daraus wird nichts. Denn: „Es ist Zeit, dass wir Frauen uns mal klarmachen, wie schön wir eigentlich sind“, sagt die Autorin von Fuck Beauty in einem Interview. Also ich kann mir diesen Ratschlag nur so erklären: „Fuck die Beauty der anderen Frauen, denn du allein bist die Schönste im ganzen Land.“ Alles andere wäre ja auch kaum zu verkraften.
Kommentare 4
"spieglein,spieglein an der wand,
wer ist die schönste im ganzen land?"
- "geh mal ein schritt zur seite, kann ja nichts sehen!"
"Unsere Kolumnisten fragt sich, wann endlich den Hässlichen die Welt gehören wird"
Wenn der Schwanz nicht mehr der Maßstab ist.
"Unsere Kolumnisten fragt sich, wann endlich den Hässlichen die Welt gehören wird"
Was für eine Frage? Sie gehört ja den Häßlichen, im direkten und übertragenen Sinn. Die Schönen oder angeblich Schönen sind nur die Beute der Häßlichen. Die Welt sollte allen und keinem gehören, den Schönen und den Häßlichen, man sollte etwas von dem oberflächlichen, äußeren Schönheitsideal Abstand nehmen, aber ich halte nichts von einer radikalen Umwertung, da würde nur der Schein durch die Unwahrheit ersetzt. Wie immer man ein Schönheitsideal bildet, gibt es die dadurch Bevorzugten und die Benachteiligten. Es gibt auch gesündere und krankere Naturen. Für wie ungerecht man das halten mag, man muß damit leben und man kann durchaus in einem bescheidenen Maß Sichtweisen der Anderen beeinflussen und sich in ein besseres Licht setzen.
Respekt für die mutige und ehrliche Selbstreflexion der Autorin.
Der Schwanz allein wird bestimmt nicht ausschlaggebend sein, denn auch daran hängt ein Mensch mit kulturell bedingten Vorlieben und Abneigungen.
Daher kommtes doch auch, das weibliche Proportionen, welche hier keinem Ideal entsprechen, bei Männern südlich der Sahara sehr wohl Begierden wecken.
Sind Frauen sich nicht selbst die größte Konkurrenz? wer hat denn den Trend der Bikini-Bridge oder Thigh-Gap überhaupt online befeuert. das waren die Frauen doch selbst. Wer propagiert denn das aktuelle Schönheitsideal? Heidi Klum, die Bravo, die Vogue, YouTube-Bloggerinnen und die Werbung. Und wer sitzt dort an den entscheidenden Stellen, oder ist selbst der Akteur? Richtig. Überwiegend Frauen.
Und wer konsumiert dies hauptsächlich? Das sind doch überwiegend Mädchen und Frauen zwischen 12 und 35. Natürlich geniesen es Männer, wenn Frauen versuchen, diesen Schönheitsidealen hinterherzuhecheln. Wie aber immer wieder Umfragen zeigen, wählen die meisten Männer als lebenspartnerin dann doch Frauen, welche eher dem "Durchschnitts"Bild entsprechen.
Eine Änderung des immer wieder propagierten Schönheitsideals muss daher in erster Linie von den Frauen selbst kommen.