Fuck die Beauty!

Die Ratgeberin Unsere Kolumnisten fragt sich, wann endlich den Hässlichen die Welt gehören wird
Ausgabe 06/2018
Schönheit liegt im Auge des Betrachters
Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Foto: Imago/Leemage

Um wichtige Dinge nicht zu vergessen, klebt man sich bekanntlich einen Erinnerungszettel an den Badezimmerspiegel. Bei unseren Vormietern war das die Erkenntnis: „Du bist wunderschön.“ Gemessen an der Größe des Schriftzugs müssen sie das für ziemlich wichtig gehalten haben. Eine Woche lang lebten auch wir mit diesem Wissen. Denn die Vormieter hatten vergessen, den Satz mitzunehmen. Oder sie dachten, wir könnten ihn gebrauchen (so wie wir aussahen?!).

Es waren zehrende Tage: Morgens neben meinem zerknitterten Gesicht funktionierte „Du bist wunderschön“ als Satire, mittags fühlte ich mich zu einem beleidigten „Kann ich mir nix kaufen von!“ provoziert, und abends – wenn ich mich in einer kurzen Aufwallung fast schon wunderschön zu finden begann – erinnerte mich der Satz daran, dass ich lediglich so „wunderschön“ wie heute morgen aussah, keinen Deut besser. Wahnsinn. Wie hatten die Vormieter das ausgehalten? Waren sie vor dem Satz geflüchtet? Denn leicht wegzukriegen war der nicht.

Während ich die Buchstaben abkratzte, überlegte ich Variationen: „Du bist Wunder was!“, „Du bist ... (Platz für Notizen)“ oder „Du schon wieder?!“. Letzteres käme bei mir hin. Ich guck nämlich recht oft im Spiegel nach, ob meine Haare noch tolerabel sind. Habe ich einige Stunden friedlich vor mich hin gelebt, sehen die oft aus, als hätte ich zwei Wochen auf der Straße verbracht. Auch das kann natürlich wunderschön sein, sagt die Body-Positivity-Bewegung. Einfach, weil jeder Körper (inklusive Haaren) wunderschön ist, so wie er ist. Und zwar, das ist der Trick: egal, wie er aussieht. Ansichten, dass es schönere und weniger schöne Körper in schöneren und weniger schönen Zuständen gibt, entspringen veraltetem, diskriminierendem Denken aus dem letzten Jahrtausend. Totaler Quatsch.

Wer das glaubt, glaubt auch, dass die Erde eine Scheibe ist. Die Beweisführung dazu lese ich im Internet: „Wenn 1.000 Menschen sagen, dass du hässlich bist, und nur einer sagt, dass du hübsch bist, wer irrt sich dann? Die 1.000 oder der eine?“ Man sollte meinen, die Sachlage sei zumindest grob einzuschätzen. Jedoch: Es geht – historisch falsch, aber egal – so weiter: „Es gab eine Zeit, zu der mehr als 1.000 Menschen sagten, die Erde sei eine Scheibe. Nur einer sagte, sie sei eine Kugel. Wer hat geirrt?“ Natürlich nicht der wunderschöne Galileo Galilei.

Bei so viel Schönheit um mich herum ist klar, dass ich ganz aus dem Häuschen gerate, als das neue Jahr mir den neuen Bestseller Fuck Beauty von Nunu Kaller zuspült. Endlich sagt’s mal eine, denke ich. Was da wohl drinsteht? Vielleicht: „Du hast das Recht, hässlich zu sein und dich auch hässlich zu finden. Du musst nicht jedes Mal, wenn du in den Spiegel guckst, denken: Wow, was für ein Anblick! Ja, du darfst deine jämmerlichen Haare hassen. Keiner darf dich zwingen, diese Haare zu lieben. Wäre ja noch schöner! Du darfst lieben, wessen Haare du willst. Jawoll! Es ist nicht deine Pflicht, wunderschön zu sein. Auch hässliche Leute haben viel Spaß im Leben. Überhaupt: Den Hässlichen gehört die Welt!“ Derartige Parolen erhoffe ich mir.

Aber daraus wird nichts. Denn: „Es ist Zeit, dass wir Frauen uns mal klarmachen, wie schön wir eigentlich sind“, sagt die Autorin von Fuck Beauty in einem Interview. Also ich kann mir diesen Ratschlag nur so erklären: „Fuck die Beauty der anderen Frauen, denn du allein bist die Schönste im ganzen Land.“ Alles andere wäre ja auch kaum zu verkraften.

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