Hätte ich neulich Abend nur wenige Minuten früher das Badezimmer betreten und demzufolge dort nur wenige Minuten früher das Radio angemacht, wäre es zu dieser Kolumne nie gekommen. Denn, nie, liebe Leser, hätte ich dann den jungen Weltstar-DJ Felix Jaehn aus Mecklenburg-Vorpommern (berühmt durch seinen OMI-Cheerleader-Remix) sagen hören: „Den Konjunktiv versuche ich und auch viele meiner Freunde grad eh zu streichen, weil das bringt einen halt nicht weiter. Ich find das grad so ein ganz großes Thema bei mir: Worthygiene, wo ich grad am Arbeiten bin und da gehört der Konjunktiv mit dazu.“
Krass. Eine Welt ohne Konjunktiv. Wie die wohl aussähe? Höhö. Hätte ich mir diese Frage nie gestellt, wäre ich nie wegen ihr stundenlang wach gelegen, nie hätte ich zuletzt das Internet nach weiteren Konjunktivkombattanten durchsucht, nie hätte ich gehört, wie diese die schillernde Schädlichkeit dieser Verbform beschrieben: Das Perfide am Konjunktiv sei, dass er keinen Handlungsdruck aufbaue. Ewig könne man da vor sich hin überlegen, was man getan hätte, was man tun würde, wenn nur ... Und tatsächlich tue man nichts. Der Konjunktiv verhindere es. Er lähme. Welcher Tölpel den wohl erfunden hat? Um drei Uhr nachts bin ich überzeugt davon, dass ich ohne Konjunktiv schon längst schön schlafen würde und schließe mich im Stillen der Konjunktivvernichtungstruppe um Felix Jaehn an. Als gefühlt drei Minuten später der Wecker klingelt, erleide ich einen üblen Rückfall, indem ich denke: Ach, wie super wäre es, wenn ich jetzt noch zwei, drei Stunden weiterschlafen könnte. Ganz typischer Konjunktivfehler! Indikativnutzer („Ich schlafe noch zwei, drei Stunden weiter – und zwar jetzt!“) hätten geschickt den notwendigen Handlungsdruck erzeugt und schon wieder geschlafen, während ich mühsam von der Matratze auf den Teppich kullere. Klar, bei derart weichgespülten Gedanken.
Gleich zwei Konjunktive noch vor dem ersten Kaffee! Aber damit ist jetzt Schluss: Ich mache Kaffee, ich trinke ihn. Zwar hätte ich gerne noch gedacht, dass ich am liebsten wieder ins Bett verschwinden würde, aber ich denke es nicht. In der S-Bahn werde ich von Rechtfertigungskonjunktiven überfallen: Wenn ich nicht aufgestanden wäre, hätte man mir in Bälde gekündigt, erst den Job, dann die Wohnung, danach hätte ich keine Brücke gefunden ... und so weiter, lauter Quatsch, den ich gar nicht würde denken müssen, wenn ich noch schlafen würde. Die Konjunktivvernichter haben recht. Zur Beruhigung könnte ich ... nein ... zur Beruhigung gönne ich mir einen Aperol Spritz. Aber: Glück im Unglück. Auf dem Weg zum Job gibt es keinen Aperol Spritz. Trotz hohem Handlungsdruck kann ich mich nicht alkoholisieren. Stattdessen vertilge ich einen Krapfen, der mir Marmelade aufs Kleid spritzt. Ein nichtswürdiger Passant findet das amüsant. Am liebsten würde ich dem den Restkrapfen an den Kopf werfen. Was heißt würde? Wir Konjunktivvernichter machen einfach, das bringt die Menschheit weiter. Gesagt, getan. Rote Schlieren rinnen seine Brillengläser runter. Ja, bin ich von Sinnen? Ich könnte vor Scham im Boden versinken. Da war‘s schon wieder: könnte! Ich höre Alarm. Kommen jetzt Konjunktivjäger, mich zu verhaften? Der Alarm wird immer lauter. Aber woher? Ich müsste ihn doch lokalisieren können? Ich lokalisiere ihn jetzt! Ja, es ist mein Wecker. Und ich denke: Ach, wie super wäre es, wenn ich jetzt noch zwei, drei Stunden weiterschlafen könnte.
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„Hätte, hätte, Fahrradkette“
Welch abgrund-dumme gesellschaftliche Redewendung! Dagegen ist doch der Ausspruch, „Wenn das Wörtchen wenn nicht wäre, dann wär mein Vater Millionär!“, geradezu philosophisch.
Die entsprechende Gedichtszeile von Heidili führt dann doch zu einer wesentlichen Bedeutung des Konjunktivs: „Wenn das Wörtchen "Wenn" nicht wär, gäbs auch keine Träume mehr“ ..(nach: e-stories.de/gedichte-lesen.phtml?127403, heideli-m@gmx.de)
Sie stellen die Fragen, ob der Konjunktiv dem Erfolgsmenschen im Weg stehe und ob Sie von Sinnen seien, wenn Sie als Konjunktivvernichter Ihren Restkrapfen jemanden an den Kopf würfen. Wenn Sie das realiter getan hätten, dann wäre Ihr Text vermutlich noch ein wenig anders ausgefallen. Oder denken Sie ernsthaft: Wenn ich doch bloß das nächste Mal den Mut dazu hätte? Dabei sieht doch ein angegessener Krapfen gar nicht danach aus, als ob er ein zielgenaues Wurfgeschoss wäre. Ein ernsthafter Konjunktivvernichter, würde Tomaten dafür nehmen. Frau Berkenheger, dürfte ich Sie freundlichst darum bitten, ein bisschen weniger populistisch und etwas sachlicher und vor allem um ein Vielfaches differenzierter über den Konjunktiv zu schreiben. Wenn meine Studenten, die aus den unterschiedlichsten Kulturen und Sprachräumen kamen, denen ich in dreißig Jahren mit viel Geduld und mit großer Leidenschaft den Konjunktiv als wegweisende Bereicherung der deutschen Sprache ans Herz gelegt habe und die ich so erst zum Erlernen der auch für viele Deutschen nicht einfachen Formen zu motivieren vermochte, ihren Text läsen, dann würden Sie von tiefen Zweifeln erfasst. Könnten Sie es wirklich verantworten, wenn heutige Priester und Bischöfe, wenn Wissenschaftler und Politiker auf allen Kontinenten diese Welt, allesamt vom Glauben an die deutsche Redlichkeit abfielen? Wäre doch ihr Text so nie geschrieben worden! Hätten Sie bloß besser ein Loblied auf den Konjunktiv geschrieben! Wenn Sie meine folgenden Erklärungen verstünden, könnten Sie künftig sorgsamer mit dem Thema Konjunktiv umgehen. Würden Sie bitte so freundlich sein, den folgenden Zeilen Ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Tja, der Konjunktiv! Er erfordert genaue Kenntnisse, die ich Ihnen gar nicht absprechen möchte, die aber in Ihrem Text leider auch nicht nur im Ansatz durchschimmern und deshalb Unkundige in die völlig falsche Richtung gelenkt werden.
Zunächst bedarf der Konjunktiv eine klare Differenzierung: Es gibt den Konjunktiv I und es gibt den Konjunktiv II, es gibt den Konjunktiv der Gegenwart und den Konjunktiv der Vergangenheit. All das geht einher mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen und Formen. Wobei die korrekten Formen bei der Benutzung des Konjunktivs zu erheblichem Kopfzerbrechen führen kann, wenn man diesbezüglich nicht völlig klare Anleitung erhält bzw. als Lehrer diese gibt. Ich weiß heute nicht mehr, wie viel chinesischen und koreanischen Studenten ich beispielsweise auf Deutsch die Tiefen des Konjunktivs so einfach wie möglich zu vermitteln hatte, weil sie ohne Konjunktivkenntnisse nicht erfolgreich an einer deutschen Hochschule hätten studieren können.
Da gibt es zum Beispiel den Konjunktiv I (u. a.) zur Formulierung der indirekten Rede, ohne die keine akademische schriftliche Arbeit auskommt. Auch Ihr Leben als Vertreterin der schreibenden Zunft wäre um vieles ärmer und Ihr Job wäre um einiges gefährdeter, wenn Sie delikate Inhalte, die Sie nicht als Zitat, sondern in der indirekten Rede wiedergeben, ohne den Konjunktiv I wiedergeben müssten. Es gab mal Zeiten, da hat man die Überbringer schlechter Nachrichten getötet. Heute können diese den Konjunktiv I benutzen, signalisieren damit inhaltlichen Abstand und Neutralität und können dank dieses wunderbaren Werkzeugs sorgenfrei überleben, auch als Text-Verfasser in seinem Job.
Der Konjunktiv II wird wesentlich vielfältiger in Gegenwart (auch für die Zukunft) und Vergangenheit benutzt. Er bestückt die folgenden Inhalte:
▪ irreale Bedingungssätze (Wenn er Geld hätte, käme er. Wenn er Geld gehabt hätte, wäre er gekommen.),
▪ irreale Wunschsätze (Wenn er bloß Geld hätte! Hätte er doch bloß Geld gehabt!)
▪ irreale Vergleiche (Dabei sieht er aus … als ob er reich wäre / als wenn er reich gewesen wäre)
▪ irreale Aussage (Wenn ich kein Geld hätte, käme ich trotzdem. Wenn ich kein Geld gehabt hätte, wäre ich trotzdem gekommen.)
▪ Höfliche Bitten (Könnten Sie mir bitte etwas Geld leihen? Dürfte ich Sie fragen, ob Sie mir etwas Geld leihen könnten?
Alle diese verschiedenen Bedeutungen kamen übrigens in meinem obigen Eingangstext vor.
Was bedeutet der folgende Satz: Wenn der Chef mich fragte, machte ich die Arbeit?
▪ Ohne Konjunktiv (= Wiederholung in der Vergangenheit): Immer, wenn der Chef mich fragte, machte ich die Arbeit.
▪ Mit Konjunktiv II (Dies ist ein typisches Beispiel für das Formenproblem, da in diesem Fall die Formen des Präteritums mit denen des Konjunktiv II der Gegenwart identisch sind. Die Bedeutung wird sofort sichtbar, wenn man alternative Konjunktiv II Formen benutzt): Würde der Chef mich fragen, würde ich die Arbeit machen (oder auch: … machte ich die Arbeit).
Der identische Satz drückt also einmal eine Wiederholung in der Vergangenheit aus und einmal eine mögliche einmalige Handlung in der Gegenwart bzw. Zukunft aus. Die erkennbaren Konjunktiv-Alternativen, können den Unterschied machen.
Der Konjunktiv II umschreibt in der Regel den weiten Bereich der Irrealität. Sie benutzen das Beispiel, „Ach, wie super wäre es, wenn ich jetzt noch zwei, drei Stunden weiterschlafen könnte“, und verbinden damit die Assoziation, dass kein Handlungsdruck aufgebaut werde und man ewig vor sich hin überlegen würde. Das aber beschreibt aus meiner Sicht nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit, da es viel weniger als das Folgende vorkommt. Ich denke ein jeder kennt die Erfahrung, schon einmal liegen geblieben zu sein. Seien Sie ehrlich an diesem Punkt! Für mich stand immer zu erst, das wunderbare sprachliche Vermögen, die Irrealität, also die bisherige Nichtwirklichkeit beschreiben und mir ausmalen zu können. Ja, was wäre das doch schön, weiterschlafen zu können! Es war dann immer genau diese wunderbare, fantasievolle Vorstellung, die mich am Ende dazu bewegt hat, genau die erforderlichen Maßnahmen dazu kurz entschlossen zu ergreifen, aufgrund derer ich die Irrealität dann zur Realität habe werden lassen können und höchst zufrieden weitergeschlafen habe.
Fazit: Für uns Menschen ist die Bereicherung des Konjunktivs in Wirklichkeit unverzichtbar. Die Möglichkeit, die für die Entwicklung der Menschheit so unglaublich wichtigen Vorstellungen von bisher noch nicht Verwirklichtem sprachlich ausdrücken zu können, ist ein äußerst kostbarer Schatz, der uns maßgeblich von den meisten Tieren unterscheidet und uns regelrecht dazu antreibt, das bisher Unwirkliche Wirklichkeit werden zu lassen. Darüber hinaus sind höfliche Bitten im Konjunktiv II für Menschen unseren Schlags äußerst wichtig. Sagen wir zum Beispiel „Könnten Sie mir bitte einmal den Reis geben“, so formuliert es der Thailänder direkter: „Gib mir den Reis.“ Er braucht den Konjunktiv II als sprachliches Mittel nicht, da sein wunderbares Lächeln der Ausdruck seiner Höflichkeit ist.
Zum Glück also gibt es den Konjunktiv! Könnten Sie deshalb künftig bitte Loblieder über den Reichtum des Konjunktivs anstimmen? Ich wäre Ihnen zu Dank verpflichtet!
Oh, vielen herzlichen Dank für diesen Exkurs.Und jetzt versuche ich mir vorszustellen, wie der oben erwähnte DJ diese Sätze verarbeitete, läse er sie.
Wären ihm die Zusammenhänge bewusst gewesen, wäre wohl ein anderes Lied entstanden. Läse er den Inhalt heute, bekäme er vielleicht ein schlechtes Gewissen und wäre künftig verunsichert. Oh, wenn doch bloß die Menschen etwas mehr von dem verstünden, worüber sie sich in aller Öffentlichkeit auslassen!
Ganz fern von jedweder Besserwisserei, halte ich den Konjunktiv in all seiner Vielfalt tatsächlich für einen bewahrenswerten Schatz unserer Sprache. Die Fähigkeit des Menschen, sich Dinge gedanklich ausmalen und dann sogar sprachlich exakt formulieren zu können, stellt kein Hindernis für Erfolgsmenschen, sondern Antrieb dar!
s. o.