Hätte, hätte, Fahrradkette

Sprache Steht der Konjunktiv dem Erfolgsmenschen im Weg?
Ausgabe 35/2019
Hätte, würde, könnte: nicht zweifeln, einfach reinbeißen
Hätte, würde, könnte: nicht zweifeln, einfach reinbeißen

Foto: Imago Images/Imagebroker

Hätte ich neulich Abend nur wenige Minuten früher das Badezimmer betreten und demzufolge dort nur wenige Minuten früher das Radio angemacht, wäre es zu dieser Kolumne nie gekommen. Denn, nie, liebe Leser, hätte ich dann den jungen Weltstar-DJ Felix Jaehn aus Mecklenburg-Vorpommern (berühmt durch seinen OMI-Cheerleader-Remix) sagen hören: „Den Konjunktiv versuche ich und auch viele meiner Freunde grad eh zu streichen, weil das bringt einen halt nicht weiter. Ich find das grad so ein ganz großes Thema bei mir: Worthygiene, wo ich grad am Arbeiten bin und da gehört der Konjunktiv mit dazu.“

Krass. Eine Welt ohne Konjunktiv. Wie die wohl aussähe? Höhö. Hätte ich mir diese Frage nie gestellt, wäre ich nie wegen ihr stundenlang wach gelegen, nie hätte ich zuletzt das Internet nach weiteren Konjunktivkombattanten durchsucht, nie hätte ich gehört, wie diese die schillernde Schädlichkeit dieser Verbform beschrieben: Das Perfide am Konjunktiv sei, dass er keinen Handlungsdruck aufbaue. Ewig könne man da vor sich hin überlegen, was man getan hätte, was man tun würde, wenn nur ... Und tatsächlich tue man nichts. Der Konjunktiv verhindere es. Er lähme. Welcher Tölpel den wohl erfunden hat? Um drei Uhr nachts bin ich überzeugt davon, dass ich ohne Konjunktiv schon längst schön schlafen würde und schließe mich im Stillen der Konjunktivvernichtungstruppe um Felix Jaehn an. Als gefühlt drei Minuten später der Wecker klingelt, erleide ich einen üblen Rückfall, indem ich denke: Ach, wie super wäre es, wenn ich jetzt noch zwei, drei Stunden weiterschlafen könnte. Ganz typischer Konjunktivfehler! Indikativnutzer („Ich schlafe noch zwei, drei Stunden weiter – und zwar jetzt!“) hätten geschickt den notwendigen Handlungsdruck erzeugt und schon wieder geschlafen, während ich mühsam von der Matratze auf den Teppich kullere. Klar, bei derart weichgespülten Gedanken.

Gleich zwei Konjunktive noch vor dem ersten Kaffee! Aber damit ist jetzt Schluss: Ich mache Kaffee, ich trinke ihn. Zwar hätte ich gerne noch gedacht, dass ich am liebsten wieder ins Bett verschwinden würde, aber ich denke es nicht. In der S-Bahn werde ich von Rechtfertigungskonjunktiven überfallen: Wenn ich nicht aufgestanden wäre, hätte man mir in Bälde gekündigt, erst den Job, dann die Wohnung, danach hätte ich keine Brücke gefunden ... und so weiter, lauter Quatsch, den ich gar nicht würde denken müssen, wenn ich noch schlafen würde. Die Konjunktivvernichter haben recht. Zur Beruhigung könnte ich ... nein ... zur Beruhigung gönne ich mir einen Aperol Spritz. Aber: Glück im Unglück. Auf dem Weg zum Job gibt es keinen Aperol Spritz. Trotz hohem Handlungsdruck kann ich mich nicht alkoholisieren. Stattdessen vertilge ich einen Krapfen, der mir Marmelade aufs Kleid spritzt. Ein nichtswürdiger Passant findet das amüsant. Am liebsten würde ich dem den Restkrapfen an den Kopf werfen. Was heißt würde? Wir Konjunktivvernichter machen einfach, das bringt die Menschheit weiter. Gesagt, getan. Rote Schlieren rinnen seine Brillengläser runter. Ja, bin ich von Sinnen? Ich könnte vor Scham im Boden versinken. Da war‘s schon wieder: könnte! Ich höre Alarm. Kommen jetzt Konjunktivjäger, mich zu verhaften? Der Alarm wird immer lauter. Aber woher? Ich müsste ihn doch lokalisieren können? Ich lokalisiere ihn jetzt! Ja, es ist mein Wecker. Und ich denke: Ach, wie super wäre es, wenn ich jetzt noch zwei, drei Stunden weiterschlafen könnte.

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