Hochgefühl am Spülautomat

Alltag Denken Sie negativ! Wer jederzeit mit dem Schlechtesten rechnet, lebt ein Leben voller positiver Überraschungen
Ausgabe 31/2021
Lobpreiset den Herrn: Das Spülgerät, es funktioniert!
Lobpreiset den Herrn: Das Spülgerät, es funktioniert!

Foto: robertkalb photographien/IMAGO

Was bin ich für ein Glückspilz! In der Küche steht ein neuer alter Geschirrspüler. Ich habe ihn gekauft, Leute haben ihn gebracht und angeschlossen, und jetzt ist Folgendes: Er funktioniert. Ich betrete die Küche nur mehr lächelnd, in einem Gefühl innerer Gnade!

Falls Sie, liebe Lesende, auch so was erleben wollen, machen Sie es wie ich: Haben Sie Pech! Viel, viel Pech. Kaskaden von Pech. Vor drei Wochen ging’s los: Das verzweifelte Kind ruft an: Sportunfall, sein zweites Knie ist ramponiert. Zuerst denken wir, es ist nicht so schlimm. Locker nehmen wir zwei kleinere Hürden: CD-Brenner der einen Radiologie ist kaputt, andere Radiologie brennt falsches Knie, das vom letzten November, auf die CD. Dann aber erfahren wir: mehrere Operationen nötig, eine monatelange Reha ist zu erwarten. Das Kind überlegt, sein Studium ein Jahr später zu starten. Aber: Kindergeld wäre dann für alle Zeiten perdu.

Das Bahnticket zu den Großeltern muss storniert werden. Mit dem Gutschein will ich eine spätere Fahrt für mich alleine buchen, denn meinem Vater geht es nicht gut. Ich soll bald kommen, heißt es. Das stornierbare Ticket lässt sich im Portal nicht umbuchen. Also Hotline. Jetzt kommt querschießend ein neues Element hinzu – die Flutkatastrophe, deren Ausmaße mich natürlich demütig stimmen: Hotline ist deshalb ausgesetzt. Ich schreibe eine E-Mail. In der Küche repariert ein Handwerker den Geschirrspüler-Ablauf. Zeitgleich zu seinen Tätigkeiten reißt – wie er sagt – „altersbedingt“ der Schlauch. „Kaufen Sie ein neues Gerät!“, befiehlt er. Ich soll unterschreiben, sein Kuli geht nicht, als ich einen Stift aus der Schublade unseres maroden Küchenschranks hole, bricht das Ding zusammen.

Charité ruft an: OP muss zwei Tage verschoben werden. Taxikosten zur vorstationären Aufnahme müssen wir jetzt selbst bezahlen, denn Aufnahme und OP liegen zu weit auseinander, immerhin: Die Fahrt zum erneuten PCR-Test, die können wir einreichen.

Eine Lappalie, einerseits. Andererseits: Das wird doch langsam zur Regel! Ich sehe klar ein Muster: Das Schicksal hat sich gegen uns verschworen und keinen interessiert es! Ist doch Quatsch, denke ich. Um 10.04 Uhr erhalte ich eine Mail: „Geschirrspüler bis morgen reserviert“, um 10.11: „der kunde hat es gekauft tut mir leid“. Passiert halt mal, sage ich mir und lese: „Dein Spreadshirt-Konto wurde gehackt! Schnelle Aktion erforderlich!“ Da gibt es null Zusammenhänge, null ..., murmle ich.

Acht Stunden verbringe ich insgesamt in der Bahn-Hotline. Ich buche die neue Reise mit neuem Geld. Nach anderthalb Wochen mit wenig Schlaf übernimmt magisches Denken: Ich verschiebe meinen Mammografie-Termin: Ist ja wohl klar, was da jetzt rauskäme. Ich google „Pechsträhne“ und lache laut auf: Da schneiden sich Leute in den Finger, verlegen ihren Schlüssel und schmeißen Tassen auf den Boden. Pechsträhne? Das ist doch Alltag.

Wobei: Ob manche jetzt ganz ähnlich über mich denken: Mann, die hat vielleicht Probleme!? Erwartet vielleicht jeder, dass eine bestimmte Anzahl von Dingen schiefläuft und bei Abweichungen hat man halt Pech oder Glück. Wer also davon ausgeht, dass 80 Prozent aller Sachen, die er anpackt, fehlschlagen, weil das bei ihm der Normalfall ist, der ist leicht zufriedenzustellen. So wie ich jetzt! Mal gucken, wie lange es vorhält. Einiges ist ja noch offen. Die Bahn: Immerhin wurde mir offiziell bestätigt: Ich bin nicht die Einzige ohne Stornierungsbutton. Der Küchenschrank ist noch im Aufbau und die Operationen stehen bevor. Aber hey, ich schaue meinen Geschirrspüler an und weiß aufgrund einer bizarr haltlosen Übergeneralisierung: Alles wird gut!

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