Machen Sie doch mal was Simples

Die Ratgeberin Bei der Berufswahl hat unsere Autorin, einer neuen Studie zufolge, daneben gegriffen. Genforscher müsste man sein. Die hüpfen offenbar jeden Tag begeistert in ihre Labore
Ausgabe 49/2015
Glücklich ist, wer Genforscher ist
Glücklich ist, wer Genforscher ist

Foto: Newsmakers/USDA/Getty Images

Viele Leute bereuen, dass sie nicht Genforscher geworden sind. Zum Beispiel ich. Denn „Genforscher sind begeistert von ihrem Beruf“, während Journalisten, also ich, total verzweifelt sind. Das kam bei einer Langzeitstudie des Psychologieprofessors Howard Gardner heraus. Wegen dieser Reue ist es sehr wichtig, liebe junge Leserinnen und Leser, möglichst gleich den richtigen Beruf zu ergreifen, nämlich Genforscher zu werden und nicht etwa Journalist, Autor oder womöglich sogar Künstler.

Der Studie zufolge hüpfen die Genforscher jeden Tag begeistert in ihre Labore, weil dort immer genügend Geld und daher auch Zeit für ihre Forschungen vorhanden ist, während Journalisten meist weder das eine noch das andere in ihren Redaktionen vorfinden. Keinesfalls sollte das Genforscherwerden auf später verschoben werden. „Oft gibt es kein Später“, warnt Gardner. Wer einmal in einem System arbeite, in dem Inhalt wichtiger sei als Geld, komme schwer wieder raus. Das kann ich bestätigen. Wer einmal – so wie ich – in die Fänge der Boheme geraten ist, der ist fürs Großkapital meist erledigt!

Nein, Moment, das war jetzt Quatsch. Gerade merke ich: Der Gardner sagt es genau andersrum, also dass man aus einem System, in dem Geld wichtiger ist als Inhalt, nur schwer wieder rauskomme. Merkwürdig. Wie kommt er denn darauf? Ich zumindest lese nicht selten bewegende Geschichten von glücklichen Aussteigern aus hochdotierten Jobs. Nach ihrem Ausstieg arbeiten die früheren Chefärzte, Rüstungskonzernlenkerinnen oder Börsenspekulanten selbstbestimmt als Coaches und raten anderen Aussteigern aus hochdotierten Jobs, endlich auch ihre künstlerischen oder musischen Talente auszuleben, was mit den Händen zu machen oder sogar was wirklich Sinnvolles zu tun, auch wenn dies krass unter- oder gar nicht bezahlt sein sollte. Denn das Tolle ist ja: Im Unterschied zu mir können diese Aussteiger sich das leisten, weil sie meist noch ein bisschen Geld von früher übrig haben.

Eher selten liest man dagegen von einem Aussteiger aus dem kreativen Prekariat. Also von jemandem, der im höheren Erwachsenenalter noch ein glücklicher Genforscher oder wenigstens enthusiastische Vorstandsvorsitzende einer international agierenden Heuschrecke geworden wäre. Und das, obwohl in vielen von uns Bohemiens seit Jahren unterdrückte Talente schlummern. Bei mir zum Beispiel hat ein Coach mal rausgefunden, dass mir Mitarbeiter fehlen. Also dass ich eben so ein Typ bin, der Erfüllung darin findet, anderen selbst ausgedachte Aufträge zu erteilen und dann zu beobachten, wie die diese Aufträge erledigen. So was ist echt fantastisch! Zumindest war es fantastisch, als ich einmal in meinem Leben für kurze Zeit in den Genuss davon kam. „Das ist absolut ihr Ding“, sagte der Coach. In Ermangelung von Mitarbeitern, die sich für mich umsonst abarbeiten wollen, liegt dieses Talent momentan ziemlich brach.

Aber warum sollte es mir besser gehen als dem typischen Weltwirtschaftsführer? Der muss seine musischen Anwandlungen verleugnen, ich mein Befehlsbedürfnis. Genau wie der liebäugle auch ich aus diesem Grund bisweilen mit innerer Kündigung. Ja, manchmal überlege ich sogar, den ganzen Bettel hinzuschmeißen. Mal raus aus dem täglichen Sinnerzeugungshamsterrad, inhaltlich downshiften, was Simples machen, was mit Geld vielleicht. Momentan schwebt mir ein Sabbatical als Private-Equity-Manager vor. Alle Angebote werden sorgfältig geprüft.

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