Mit üblen Absichten

Die Ratgeberin Unsere Kolumnistin bewirbt sich – und verbreitet Angst und Schrecken
Ausgabe 16/2017

Viele Jahre galt ich als unbescholtene Bürgerin. Jetzt habe ich mich verdächtig gemacht. Es laufen Ermittlungen gegen mich. Der Grund: Ich bewarb mich auf einige Stellenangebote hin und verbreitete damit Angst und Schrecken. Die von mir angeschriebenen Unternehmen gerieten in Panik. Sonderarbeitsgruppen wurden eingesetzt, um hinter meine üblen Absichten zu kommen: Warum bewirbt die sich bei uns? Was will die von uns? Uns ausnehmen, quälen, vernichten?

Aus Selbstschutz luden mich einige besonders mutige Unternehmen gar zum Verhör vor. Ungeschickterweise ahnte ich anfangs noch gar nichts von dem Zähneklappern, das ich ausgelöst hatte. Entsprechend blauäugig und unvorbereitet schlenderte ich zum gegenseitigen Kennenlernen. Erst die bohrenden Fragen ließen mich aufhorchen: Warum bewerben Sie sich gerade bei uns? Wieso gerade jetzt? Wann gestehen Sie endlich, dass Sie unser Unternehmen durch Ihre Arbeitskraft in den Abgrund reißen wollen?

Da ich keinen Anwalt dabeihatte, redete ich mich um Kopf und Kragen. Immerhin: In der so erzeugten Verwirrung konnte ich bislang immer noch rechtzeitig flüchten und untertauchen. Nachdem mir das einige Male passiert war, habe ich jüngst ein Coaching besucht, das einen auf derartige Verhörsituationen vorbereitet. Die Trainerin bestätigte gleich zu Beginn all meine Erfahrungen: Ja, jeder Stellenbewerber gilt den betroffenen Unternehmen als potenzieller Schädling. Es gibt ja so viel Übel, das Mitarbeiter Arbeitgebern zufügen können. Viele bewerben sich nur, damit sie endlich mal ausgiebig krankfeiern können. Und in den wenigen Tagen ihrer Anwesenheit frönen sie dann ihrer Unfähigkeit. Andere wollen mobben, veruntreuen oder gar morden und töten. Alles schon vorgekommen. Und selbst erstklassige Premium-Mitarbeiter stellen für Arbeitgeber ein gewaltiges Risiko dar. Die zerstören Firmen nämlich, indem sie völlig skrupellos und unerwartet kündigen – manche noch in der Probezeit. Letztlich ist es doch so: Alle wirklich guten Mitarbeiter haben bereits einen Job, den sie loyal, wie sie sind, dann auch behalten. Wenn eine sich schon bewirbt, da stimmt doch was nicht mit der. Da ist Vorsicht geboten. Das muss man als Bewerber verstehen, die Fragen nicht persönlich nehmen und – ganz wichtig – das Gespräch immer „auf Augenhöhe“ führen.

Nichts leichter als das. Denn ich verstehe diese Bedenken absolut. Auch ich habe ja Angst, dass das Unternehmen mich vernichten und in den Abgrund reißen wird. Ich meine: Ist es nicht verdächtig, dass es überhaupt Mitarbeiter sucht? Hat es nicht gerade erst zig andere Mitarbeiter entlassen? Das ist doch komisch. Da muss man als Bewerber doch mit ebenso geschickten Kennenlern-Fragen nachbohren: Wieso haben Sie gerade mich eingeladen? Was ist mit meinem Vorgänger passiert? Geht es ihm gut? Wie gut genau? Die Stelle ist also derzeit nicht besetzt. Hm. Warum nicht? Erklären Sie bitte diese Lücke in Ihrer Firmenhistorie? So, und jetzt stellen Sie sich mal vor, ich rufe morgens an und sage: Ich bin krank. Wie reagieren Sie?

Merkwürdigerweise stellt sich die Trainerin ein Gespräch „auf Augenhöhe“ ganz anders vor, nämlich so: Nur das Unternehmen stellt Fragen. Die sind raffiniert, hinterhältig oder provozierend. Man beantwortet sie gleichbleibend freundlich und kontert sie auf keinen Fall mit Gegenfragen. Denn mit Leuten, die so misstrauisch sind wie es selbst, will kein Unternehmen dieser Welt etwas zu tun haben.

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