„NUR JETZT“

Die Ratgeberin Warum es im Internet nie den richtigen Moment für Schnäppchen gibt
Ausgabe 02/2018
Die guten alten Zeiten der unaufdringlichen Schaufensterwerbung
Die guten alten Zeiten der unaufdringlichen Schaufensterwerbung

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Auf einem superneuen, supertollen Notebook schreibe ich diese Zeilen. Ich habe es supergünstig als B-Ware erworben. Und ja, den Nobelpreis der Schnäppchenjäger nehme ich gerne an. Danke. Zwei Tage hält das grenzdebile Superglück bei mir an, dann erreicht mich die erste aufklärerische E-Mail meines Technobilien-Händlers: „Susanne, jetzt bis zu 77 Prozent mit den Angeboten der Woche sparen.“ Aus Höflichkeitsgründen weggelassen ist der Zusatz: „Und nicht nur jene erbärmlichen 11,3 Prozent die du, Susanne, bei deinem Unsinnskauf kürzlich bei uns gespart hast, du kleines Dummerchen.“ In der Tat sind unter den Angeboten Notebooks, die meinem zumindest recht nahekommen.

Zwei Tage später, als ich dieses Ungemach bereits zu 77 Prozent vergessen habe und mich wieder in Triumphgefühlen suhle, brüllt mich eine zweite E-Mail an: „Susanne, spare jetzt bis zu 400 Euro auf unsere Intel-Bestseller!“ Überflüssig zu erwähnen, dass es sich bei diesen Intel-Bestsellern um Notebooks handelt, die meinem zum Teil recht nahekommen. Kurz bilde ich mir sogar ein, dass am Ende der E-Mail steht: „PS: Susanne, du weißt sicher, dass ‚jetzt‘ nicht vor sechs Tagen war, als du dein überteuertes Stück bei uns gekauft hast, just saying.“ Drei Tage später schickt mir der Händler Feuertopf-Emoticons dazwischen den Befehl: „Susanne, spare jetzt bis zu 72 Prozent mit den Angeboten der Woche.“ Tags darauf wird er noch deutlicher, mit Uhrsymbolen geschmückt: „Susanne, spare nur jetzt bis zu 300 Euro mit unserem Intel Notebook Special.“ Ich verstehe: „NUR JETZT“, nicht vor anderthalb Wochen, als ich zuschlug. Hätte ich mal gewartet! Aber wie lange? Immerhin waren vorige Woche noch 77 Prozent und 400 Euro im Angebot.

Unglücklicherweise hat inzwischen mein mesolimbisches dopaminerges Belohnungssystem Wind von diesen E-Mails bekommen. Die Folge: Meine schnäppcheninduziertes Glücksgefühl sackt ab. Habe ich denn irgendeinen Grund, mich über mein neues Notebook zu freuen? Nein! Gut, das alte war schon zehn Jahre alt. Dennoch: Ärgern sollte ich mich! Langsam wird mir das klar – dank meines braven Online-Händlers, der mich auch jetzt in dieser sensiblen Phase der Selbsterkenntnis nicht allein lässt und mir zwischen Blitzsymbolen die Ermahnung schickt: „Susanne, jetzt von 11 bis 13 Uhr mit den Blitzdeals sparen.“ Besonders raffiniert: Zwei Stunden zuvor wollte er noch wissen, ob ich meinen Kauf jetzt endlich mal bereue, sehr geschickt als Frage nach meiner Zufriedenheit getarnt. Da ich schon zu entkräftet bin, um ihm zu antworten, erhalte ich seitdem täglich „New Happy Deals“ von ihm, alle natürlich viel besser als der Old Dumb Deal, den ich mit ihm abschloss. Ja, wie konnte ich nur? Wie konnte ich jemals?

Denn auch all die anderen Internethändler, bei denen ich in meinem Leben irgendwann einmal etwas gekauft habe, überschlagen sich mit E-Mails, die alle nur eines bedeuten: Nein, Susanne, du hast noch niemals ein wirklich lohnendes, einzigartiges Schnäppchen gemacht. Ja ist es nicht toll, denke ich, dass es im Kapitalismus so viele Firmen gibt, denen die Aufklärung ihrer Kunden derart wichtig ist. Unermüdlich sagen sie es einem: Schau Kunde, jeder Kauf ist im Grunde eine Dummheit. Ihr seid alle Deppen. Völlig schleierhaft ist mir allerdings, warum derartige E-Mails für gewöhnlich als Werbe-E-Mails bezeichnet werden. Denn ich erhalte sie immer erst, nachdem ich etwas gekauft habe. Alles andere würde auch gar keinen Sinn machen.

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