Sanftes Affengebrüll

Die Ratgeberin Wie man sich mit Geräuschen aus dem malaysischen Regenwald richtig entspannt
Ausgabe 40/2015
Die Harmonie zwischen Pflanzen und Tieren ist soundtechnisch einfach die Hölle
Die Harmonie zwischen Pflanzen und Tieren ist soundtechnisch einfach die Hölle

Bild: Imago/Blickwinkel

Ich sitze am Ufer und lausche den friedlichen Klängen des Meeres. So steht es auf dem Beipackzettel der CD, die ich gerade höre. Auch „Harmonie und Beruhigung durch gleichmäßiges Geräusch der Wellen“ und „Friedvolle Atmosphäre, weit weg von jeder menschlichen Lärmstörung“ werden mir versprochen – und das, obwohl ich mitten in der Stadt sitze. Es ist toll! Ich höre diese CD öfter, trotz vieler Spötter.

Wenn Freunde und Bekannte das erste Mal davon erfahren, tun sie oft so, als handelte es sich um ein kleines, schmutziges Geheimnis von mir. Da-bei, Leute, es sind doch nur ein paar Naturklänge. Gestern habe ich mich sogar nach längerer Abstinenz mal wie-der in die „Abgeschiedenheit“ des malaysischen Regenwaldes zurückge-zogen und mich dort der „Harmonie zwischen Pflanzen und Tieren“ hingegeben. Viele Jahre traute ich mich das gar nicht mehr. Denn der Regenwald ist nicht gerade ein Zuckerschlecken: hysterisches Dauerzirpen, untermalt von Frosch- oder Krötengequake, Vogelgekrächze, Affengebrülle, und immer wieder durchdringendes Gejaule und Geheule von was weiß ich für Tieren. Man könnte sie vielleicht Biosirenen nennen. Kurz gesagt: Die Harmonie zwischen Pflanzen und Tieren ist soundtechnisch einfach die Hölle.

Wenn mir aber – sagen wir – ein schnuckliges, schallgeschütztes Baumhaus zur Verfügung stünde, in wel-ches ich mich inmitten des tosenden malaysischen Regenwaldes zurückziehen könnte, das wäre schon was. Um dieses zu simulieren, regle ich meist schon nach wenigen Minuten die Lautstärke immer weiter herunter, bis ich bei null angelangt bin und der ganze schön imaginierte Regenwald mit seinen dunklen, buschigen Bäumen und den exotisch bunten Tieren schlagartig in sich zusammenfällt. Ich schlage hart auf meinem Bürostuhl auf. Der Regenwald funktioniert einfach nicht richtig.

Deshalb höre ich lieber die Meeres-CD. Sie versetzt mich zurück in einen grandiosen, aber vollkommen schlaflosen Zelturlaub. Allabendlich schmiegte ich mich damals in meine Isomatte, grinste friedlich vor mich hin wegen der tollen Meeresbrandung, die mich sogleich in den Schlaf wiegte. Doch sobald ich das Bewusstsein für einige Sekunden verlor, interpretierte mein Unterbewusstsein das „gleichmäßige Geräusch der Wellen“ als einen heranpreschenden Konvoi von Lastwagen, die mit gigantischer Geschwindigkeit direkt auf unser Zelt zurollen, wir liegen quasi schon unter ihnen, unser letztes Stündlein schlägt. So war ich schlagartig wieder hellwach. Nur um erneut festzustellen: Ach, wie toll! Ich bin ja am Meer und kann jetzt die „Harmonie und Beruhigung durch gleichmäßiges Geräusch der Wellen“ genießen und sofort wieder in den Halbschlaf hinabdödeln, um dort vom nächsten Lasterkonvoi überrollt zu werden. Tja, ist vielleicht normal, wenn man wie ich die ersten Lebensjahre am Rande einer Schnellstraße verbrachte.

Jedenfalls bleibe ich mithilfe der Meeres-CD schön munter. Und der allerschönste Moment kommt nach 24 Minuten und 28 Sekunden. Dann wird die Meeresbrandung langsam ausgeblendet, und ich kann die sagenhafte Abgeschiedenheit meines Büros genießen: das sanfte Vorbeirauschen ganz kleiner Pkw, manche sogar elektrisch, das melodiöse Klingeln und Fluchen von Fahrradfahrern, zwei, drei Vögel zwitschern vor sich hin, Kinder lachen und krakeelen. Niemals beruhigen mich diese Geräusche mehr, als wenn ich gerade eine halbe Stunde Meeresbrandung ertragen habe.

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