Unbedingt! Wichtig!

Die Ratgeberin Alle machen jetzt Sprechpausen. Weil es wirkt. Man muss sie aber auch gekonnt einsetzen können
Ausgabe 16/2015

In jedem Meeting sitzt neuerdings einer, der sich rhetorisch fortgebildet hat und weiß: Sprechpausen machen! Unbedingt! Wichtig! Dass man das Reden unterbricht, gehört also zum guten Ton. Selbst wenn man noch nicht mal bei den eigentlichen Geschäftsthemen angekommen ist, kann es schon losgehen.

Ein Kollege, der gerade ein Coaching auf CD der Sprechtechnikgroßmeisterin Eva Loschky hinter sich hat, möchte mir schnell ein Rezept verraten: „Also, nachdem du die Äpfel geschält und geschnippelt hast, nimmst du (verschwörerisch leise) Butter, (dann volle Lautstärke, um meine bei Butter etwas abgedriftete Aufmerksamkeit zurückzugewinnen) Zucker, ein bisschen Zimt und …“ Sprechpause! Statt den Satz zu beenden, schaut er mich forschend an und trinkt dann einen Schluck Kaffee. Bis vor wenigen Tagen noch hätte ich jetzt freudig „Mehl?“ gerufen, in der Annahme, dass ihm das Wort gerade nicht einfällt. Inzwischen weiß ich aber, dass ich bei „Zimt“ am Ende einer für mich verarbeitbaren Sinnein-heit angelangt bin und deshalb dankbar sein kann für die Pause, die mir gewährt wird. Mehr als 16 Worte am Stück könne keiner verarbeiten, hat der Kollege mir kürzlich erklärt. Und dass ich in der Sprechpause Kino im Kopf erleben würde. „Bilder tauchen auf, Emotionen“ oder zumindest doch quälende Fragen wie: Ja, was denn jetzt? Was? Ist es Mehl?

Oder ist es nicht Mehl? Aber selbst wenn ich ganz sicher weiß, was er sagen wird, nämlich doch wohl „Mehl“, bleibt es spannend, wann er es sagen wird. Denn seine Pausen werden immer länger. Er genießt sie, blüht richtig auf in diesen Pausen. Er sinkt in den sogenannten Loschky’schen Gorillasitz, Bauch raus, Beckenboden locker. Atmet ein, aus, ein und so. Das zieht sich. Um nicht doch noch dazwischenzuquatschen, lenke ich mich mit der Planung einer eigenen Erwiderungssprechpause ab.

Denn ich habe nachgerüstet und mir ein paar Videos von Eva Loschky angeschaut. Zuerst war ich angenehm überrascht. Ganz spritzig die Frau. Bis sie sagte: „Merken Sie, liebe Zuschauer, was Sie jetzt machen? Sie suchen den Stoppknopf, Sie können mich nicht ertragen, diese schnellen, diese vielen Worte, diese Gewehrsalve …“ Aber nein, ich konnte sie sogar ziemlich gut ertragen. Bis zu dem Moment, in dem sie erklärte, man müsse „viel … viel … viel … langsamer reden. U n d dann selbst-verständlich Pau…“ – „eh!“, sagt der Kollege. Oder hat er „Mehl“ gesagt? Ich sehe ihn an. Er guckt zurück – genussvoll schweigend, weil er mich erneut in seinen Pausenbann ziehen konnte. Wahrscheinlich hat er nur „ähm“ gesagt.

Langsam zieht er sein Smartphone aus der Tasche. Wow! Er hat es jetzt echt raus mit den Pausen. Ich nutze die Zeit, um ebenfalls in den Loschky’schen Gorillasitz zu rutschen, ich hole Luft, ein, aus, ei… Jetzt! Jetzt ruft er: „Mehl natürlich. Das war’s.“ Anscheinend hat er das Rezept im Internet gefunden. „Aha!“, stoße ich begeistert aus und: „Weißt du was?“ Fragend schaut er mich an. Und ganz erwartungsvoll. Ich spüre die Spannung der Sprechpause. Wie lange werde ich sie ausdehnen können? Wie lange wird er wissen wollen, was er wissen soll? Ich nippe gelassen an meinem Chai Latte, schaue einen Augenblick aus dem Fenster, denn das ist immer auch so eine Statusgeschichte. Man soll sich nicht hetzen lassen. Und deshalb, liebe Leser, mache ich jetzt nicht nur eine Sprechpause, sondern lege eine höchst dramatische Schreibpause ein. Einen Monat lang werden Sie sich quälen müssen mit der Frage, wie es nun mit meinem Kollegen und mir weitergegangen ist. Per E-Mail werden Sie um Auflösung betteln. Das ist Rhetorik. Der Kollege dagegen schaut ebenfalls aus dem Fenster.

Sicher träumt er davon, wie er mich mit weiteren Sprechpausen beglücken könnte. Und wartet nur noch auf den richtigen Einsatz.

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