Asterix und die Wutbürger

Bretagne In der Nähe von Nantes soll ein Großflughafen gebaut werden. Doch die Gegner haben eine ganz andere Vision und wollen sich davon nicht abbringen lassen
Der kostümierte Wutbürger
Der kostümierte Wutbürger

Foto: Jean-Sebastien Evrard/AFP/Getty Images

Das Ganze erinnert an das kleine rebellische Dorf, das der tumben Übermacht trotzt. Die aufmüpfigen Gallier heißen hier „Zadisten“, und statt gegen die Römer geht es wider Frankreichs Regierung und ein Projekt, das die Kritiker für Wahnsinn halten.

Zur „Zone à Defendre“ (die zu verteidigende Zone) fährt man über die kleinen verschlafenen Dörfer nördlich von Nantes. Es gibt keinen „Eingang“ zur „ZAD“ oder eine Grenzlinie, aber schnell merkt man, dass in diesem idyllischen Nirgendwo der südlichen Bretagne etwas nicht stimmt. Schon nach fünf Minuten in der Zone tauchen die ersten Barrikaden auf.

Das Gelände gehört eigentlich dem Flughafenbetreiber Vinci. Seit 40 Jahren läuft hier die Planung für einen neuen westfranzösischen Airport. Fast ebenso lange wächst der Widerstand. Knapp fünf Jahre schon halten Aktivisten das 1.600 Hektar große Areal besetzt. Doch jetzt macht der Betreiber ernst. Soldaten und Polizisten sollen die Flughafengegner und ihre mittlerweile zu Hunderten aus ganz Europa angereisten Unterstützer vertreiben. Und die Szenen mit Wasserwerfern und Tränengas erinnern mitunter statt an Asterix doch eher an die Startbahn West oder Stuttgart 21.

An diesem Sonntag ist alles ruhig. Doch die Barrikaden auf den Seitenarmen der Hauptstraßen wollen so gar nicht in die unberührte Landschaft aus Wiesen, Wäldern und kleinen Äckern passen. „Stopp l’aeroport“ (Stoppt den Flughafen) haben eifrige Aktivisten auf Straßen und Schilder gesprüht und „ralentir“ (verlangsamen) oder Sprüche wie „Être des cons pressé ou être décompresser“ (entweder ein gestresster Depp sein oder relaxen).

An einer Weggabelung stehen leere Tische und Stühle. Dann taucht der erste Zadist auf: Eine Heugabel in der Hand und ein Tandem schiebend, geleitet Marcel die Besucher ins nahegelegene Sabot – einem der 30 Stützpunkte der Flughafengegner auf dem Gelände. Der Weg ist nicht leicht. Man watet durch schlammigen Boden, steigt über aufwendig gestapelte Bretter, Drähte, Autoreifen und Müll.

Es geht um viel mehr

Das Sabot selbst ist ein Ort wie aus Henri David Thoreaus Roman Walden: Eine ausgebaute Laube, vor der sich ein riesiger Garten erstreckt. Dort ziehen die Zadisten ihr eigenes Gemüse, allerdings ist es wohl auf absehbare Zeit nicht mehr genießbar. „Die Ernte können wir nun vergessen“, erklärt Sabot-Bewohnerin Lisa. „Das Tränengas hat uns den Boden und das Gemüse zerstört.“ Letzte Woche seien auf den Garten vier Stunden lang hunderte Tränengasbomben niedergegangen.

Seit Wochen versuchen Militär und Polizei das riesige Areal mit allen Mitteln zu räumen. Ende des Jahres sollen nach Willen der Regierung Hollande und gegen den Widerstand ihrer grünen Koalitionspartner die ersten Bagger und Planierraupen anrücken. Doch so einfach lassen sich die Gegner des Milliarden-Projektes nicht unterkriegen. Ihre Taktik: möglichst viele Orte in der Zone in Beschlag nehmen und sobald ein Stützpunkt geräumt ist den nächsten Schuppen besetzen.

Lisa lebt hier seit sieben Monaten. Die 31-jährige Deutsche aus dem Rheinland kam eher zufällig ins ZAD und ist dann hängengeblieben. Geld habe sie zwar keines mehr, aber im Sabot komme man mit sehr wenig aus: „Hier habe ich gelernt, wie man Ackerbau betreibt, Gemüse anbaut und sich fast vollständig selbst versorgt. Wir sind zu 80 Prozent autonom.“

In der Laubenküche sitzt das Sabot-Kollektiv. Es wird Gemüsesuppe gekocht, Kaffee getrunken, geraucht und diskutiert. „Der Flughafen ist nur ein Symbol, uns geht es um viel mehr“, erklärt Lisa, die sich in ihren dicken Wollpulli kuschelt. Kapitalismus, das sei ewiges Wachstum, Konsum, Druck, Schnelligkeit – kurz: ein Wahnsinn für Mensch und Natur. „Hier sollen nicht nur das ZAD-Gelände einbetoniert, sondern Hochgeschwindigkeitstrassen verlegt, Straßen und Einkaufszentren gebaut werden. Alles, was das System am Laufen hält.“ Die Zadisten wollen dagegen ihre Gemeinschaftsinsel erhalten und vor allem das wunderschöne Fleckchen Erde und seine biologische Vielfalt.

Vinci und die Regierung haben andere Pläne. Sie wollen ein neues Verkehrskreuz im Westen von Paris: Die drei Flughäfen der Hauptstadt und jener in Nantes reichen angeblich nicht aus, um die Passagiere nach Nordwestfrankreich zu bringen. Die lokalen Protestinitiativen halten den Planern vor, dass sie Alternativen wie die Erweiterung bestehender Flughäfen nicht geprüft hätten. Außerdem gebe es keine aktuellen Studien, die eine dringende Notwendigkeit des Flughafenbaus nachweisen. Die Pläne stammen schon aus den sechziger Jahren. Offiziell werden die Kosten auf zwei Milliarden Euro taxiert, die Gegner allerdings schätzen sie auf das Doppelte.

Für Premierminister Jean-Marc Ayrault ist der Flughafenbau dennoch eine Herzenssache. Schon als Bürgermeister von Nantes hat er sich für das Projekt stark gemacht. Auf die Sozialisten ist deshalb in der ZAD niemand gut zu sprechen: „Schlimmer als Sarko“, „Alles eine Clique“, so sehen es die ZAD-Bewohner.

Kritische Anwohner wehren sich schon lange gegen das Großprojekt. Die ersten Aktivisten und Besetzer von außerhalb kamen 2007. Sie leben in Wohnwagen, Baumhäusern und auf verlassenen Gehöften des Vinci-Geländes, das als größtes besetztes Gebiet Europas gilt.

An diese Morgen ist der Himmel grau über der ZAD, es nieselt leicht, feuchte Kälte liegt in der Luft. „Heute ist gutes Wetter“, meint Sam, der gerade aus der Gemeinschaftsküche der Vacherie stolpert. Das ist wohl alles relativ. Denn seit Wochen hat es immer nur geregnet. Alles sei durchnässt, beklagt der Aktivist. In der Vacherie, einem Ort für Neuankömmlinge und geräumte Zadisten, ist die Lage angespannt. Niemand weiß, wann die Polizei wieder kommt, wen sie als nächstes räumt, festnimmt oder welche Strafen sie verhängen wird. Sams Gummistiefel sind voll braunem Schlamm. Um sich ein wenig zu wärmen geht er rüber zum gemeinsamen Lagerfeuer, das hier rund um die Uhr brennt. Küche, Feuer, Waschzuber und Wäscheausgabe – alles unter dem Vordach der alten Scheune. In der Küche türmt sich Kochgeschirr, in der Mitte stehen Kisten voll frischem Gemüse der Saison: Kartoffeln, Karotten, enorm große Zuccini und Kürbisse.

Wo jetzt rund 30 junge Leute kampieren, standen früher die Maschinen des Besitzers, der ihnen Platz gemacht hat. Der 80-jährige Mann hat eigentlich nicht viel mit Hausbesetzern, Autonomen oder Umweltschützern am Hut. Doch auch er soll geräumt werden – das schweißt zusammen. Der alte Bauer habe sogar schon mit seinem Trecker Baumstämme für die Barrikaden rangeschafft, erzählt Sam. Der 27-jährige Franzose ist wie viele hier erst vor ein paar Wochen zu den Besetzern gestoßen. „Unsere Körper sind das Einzige, was wir denen entgegenstellen können“, erklärt er entschlossen. „Auch wenn ich hier nicht geboren oder aufgewachsen bin, will ich dieses Stück Erde hier bis zum letzten verteidigen.“ Wie Lisa aus dem Sabot will auch er zusammen mit den anderen Zadisten eine Alternative aufbauen, um zu zeigen, wie es anders geht, ohne Geld, wie man in Gemeinschaft alles teilt.

„Es liegt etwas in der Luft“

Ihre Nachbarin Marie sieht das ein wenig anders. Die Angestellte ist Ende dreißig und hat eigentlich keine Lust „alles zu teilen“, ohne Geld zu leben und ihr Privateigentum aufzugeben: „Ich brauche meinen Komfort und könnte nicht in Wohnwagen oder Baumhäusern leben“, meint sie beim abendlichen Rotwein vor ihrem Kamin. Sie wohnt im Gegensatz zu Sam und Lisa schon seit 20 Jahren hier und ist mit Land und Leuten verwurzelt. „Trotzdem habe ich von diesen engagierten jungen Leuten eine Menge gelernt“, gesteht sie ein.

Zwar wohnt sie selbst noch „ganz normal“ in ihrem Bauernhaus, doch bei ihr gehen die Besetzer ein und aus: Wäsche waschen, Werkzeug ausleihen, duschen oder einfach nur auf eine gutes Glas Wein. In Maries Garten steht ein riesiger Wohn-Lkw, der fünf Zadisten Unterkunft bietet. Hinter dem Garten sind Feld und ein kleines Wäldchen. Dort leben die Zadisten in Baumhäusern. Auch hier wurde schon geräumt und das Gemeinschaftsbaumhaus abgerissen.

Marie hat gegen ihre angedrohte Räumung geklagt und hofft, das Unvermeidliche noch einige Monate aufschieben zu können. „Die Zadisten haben mir beigebracht, die Dinge etwas lockerer zu sehen, und ich habe ihnen das Weintrinken angewöhnt“, sagt sie und schmunzelt. Ganz am Anfang sei das Zusammenleben nicht so einfach gewesen. Beide Seiten hätten erst aufeinander zugehen müssen. Mittlerweile könne man sich das Leben aber gar nicht mehr ohne einander vorstellen, meint Marie. „Es liegt gerade etwas in der Luft hier und die Leute rücken noch enger zusammen.“

Kaum haben die Polizisten ein Haus mit Gewalt geräumt oder einen Wohnwagen zerstört, wird gleich der nächste Platz besetzt. Seit den ersten Räumungen vor drei Wochen habe sich die Zahl der Besetzer auf dem ZAD nicht verringert, sondern erheblich erhöht, erzählt Lisa. „Ich hoffe, dass noch viele Leute aus ganz Europa kommen.“

Wie lange die besetzte Zone noch dem Druck der Behörden standhalten wird, weiß aber auch in der ZAD niemand. Klar ist nur, dass der Winter hart wird und die Zadisten mehr als nur einen Schluck vom Zaubertrank brauchen, um durchzuhalten.

Susanne Götze ist freie Journalistin und lebt in Paris und Berlin

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